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"Das Vermögen des Herrn Süß"

Die Geschichte des Stuttgarter Hofjuden, der die Armen und Reichen des Landes zugunsten des verschwenderischen Herzogs Karl Alexander von Württemberg schröpfte, sollte aus der Perspektive der 30er-Jahre erzählt werden. Doch daraus ist nicht viel geworden.

Von Christian Gampert | 04.08.2012
    Wer einen Gebrauchtwagen verkauft und behauptet, das Auto sei nicht nur wie neu, sondern sogar noch besser als im Urzustand, sagen wir mal: mit verbreiterter Spur, tiefergelegt, mit neuem Frontspoiler – der muss dann schon was bieten. Der Regisseur Dieter Wedel hat im Vorfeld viel Wind gemacht: Seine Wormser "Jud-Süß"-Inszenierung vom letzten Jahr sei nun viel reifer geworden, sie werde an die ganz aktuelle Finanzkrise angekoppelt, und die Geschichte des Stuttgarter Hofjuden werde aus der Perspektive der 1930iger Jahre erzählt, als ökonomischer Druck und Arbeitslosigkeit dem Antisemitismus Auftrieb gaben.

    Post actum muss man leider diagnostizieren: Aus dem Projekt ist nicht viel geworden. Wedel spielt vor allem am Anfang einige Filmsequenzen in Schwarz-Weiß ein, die offenbar an Veit Harlans "Jud Süß" anknüpfen möchten, die Szenen mit erbosten württembergischen Volksgenossen aber in eine irgendwie rußig-proletarische 30iger-Jahre-Welt verlegen. Und die Figur des Joseph Oppenheimer wird nun von Tom Quaas gegeben, der den jüdischen Finanzberater bei Hofe etwas mehr auf heutig trimmt als im letzten Jahr Rufus Beck. Das war's auch schon.

    Quaas macht das gut, sogar sehr gut, im Ensemble sind mit Roland Renner, Philipp Otto und Peter Striebeck (der den alten Juden gibt) ein paar exzellente Theaterleute, die aber nur ein bisschen Sommertheater bieten; dazu der sich auf eine einzige, wächserne Pose beschränkende Dieter Laser als General, der als Brüllaffe der Landstände stets auf Overdrive gestellte André Eisermann und ein paar nett anzuschauende Jungschauspielerinnen. Darum so viel pseudopolitisches Tamtam zu machen, ist schon ein bisschen frech. Es ist Marketingstrategie, Etikettenschwindel, was auch immer – aber die besseren Kreise des Rhein-Neckar-Raums, sprich: Industrie, Politik und öffentlich-rechtliche Verantwortungsträger, folgen natürlich gern der Einladung zu Sekt, Büffet und Schauspiel vor historischer Kulisse. Es ist ja auch was Feines, im lauschigen Garten neben dem Kaiserdom zu stolzieren, ständig fotografiert zu werden und sich dabei gegenseitig zu versichern, dass man gegen den Antisemitismus sei.

    Die Veranstaltung hat also vor allem eine Selbstbestätigungsfunktion für lokale Eliten, und sie dient der Nobilitierung der sogenannten "Metropolregion Rhein-Neckar", worunter man verstehen muss, dass ein paar früher sehr sympathische Provinznester sich nun als Metropole fühlen möchten. Was Wedels Inszenierung anbetrifft, so bedient sie die Bedürfnisse dieses Publikums perfekt, und sie kitzelt nebenbei auch den Gemeinsinn ihrer Klientel: das viele Geld, das Süß Oppenheimer den schwäbischen Landständen per Zwangsverordnung aus der Tasche zieht (um die Repräsentationssucht seines Herzogs zu befriedigen) – was ist das anderes als die Vermögensabgabe für Reiche, wie sie jetzt die SPD fordert? Freilich aus ganz anderen Gründen, um die Liquidität des Staates zu sichern.

    Also, reiche Menschen treffen sich in Worms, um sich durch die Blume auf dem Theater sagen zu lassen, dass jetzt mal die Reichen bluten, also etwas mehr zahlen sollten. Das ist schön, aber wahrscheinlich folgenlos. Denn Wedels Inszenierung hoppelt zwar technisch perfekt, aber ohne dramaturgischen Zugriff durch Joshua Sobols Stück (wie viel von dessen Text ist eigentlich noch übrig?). Der liebestolle Schwabenherzog Karl Alexander, gespielt von dem stets jovial krähenden Walter Plathe, möchte halt immer nur Frauen flachlegen, bei Bedarf auch mit Gewalt, statt die Staatsfinanzen zu sanieren. Schaut man sich im solariumgebräunten überalterten Publikum um, so stellt sich durchaus die Frage, wer aus dem bundesdeutschen Geldadel denn ein Interesse am Fortkommen dieser Gesellschaft hat. Und wer aus den stramm ideologisch organisierten multinationalen Firmen, die ganze Logen gemietet hatten, aus der etablierten Wachstumsdenke auszuscheren bereit wäre.

    Ob die aktuelle Finanzkrise einen neuen Antisemitismus auszulösen vermag, gegen die angeblich jüdische Finanzwelt, ist derzeit eine eher hypothetische Frage. Sicher ist nur: Sie vernichtet die Lebensleistung von vielen.