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"Das Volk will einmütig ein friedliches, ein plurales, ein liberales Pakistan"

In den vergangenen Wochen häufen sich die Terroranschläge der Taliban in Pakistan. Wie groß ist nun die Gefahr, dass sie das politische System in Pakistan aus den Angeln heben? Das pakistanische Volk sei gegen die Islamisten und werde sich gegen sie zur Wehr setzen, sagt der pakistanische Anwalt Athar Minallah.

    Jasper Barenberg: Dramatisch muss man die Lage in Pakistan wohl nennen. Zwei Jahre nach dem demokratischen Neuanfang sind die Taliban auf dem Vormarsch. Ihre Terroranschläge der vergangenen Wochen machen vor allem eines deutlich: die Aufständischen können inzwischen jederzeit und an jedem beliebigen Ort zuschlagen. Wie groß also ist die Gefahr, dass sie das politische System in Pakistan aus den Angeln heben? – Für Demokratie und Rechtsstaat im Land setzt sich Athar Minallah ein, Anwalt am Obersten Gerichtshof in Islamabad und ein Aktivist der sogenannten "Anwaltsbewegung". – Wie groß ist die Gefahr, dass die demokratische Regierung die Macht an die Aufständischen verliert? Das habe ich Athar Minallah vor dieser Sendung gefragt.

    Athar Minallah: Ja, diese Gruppen stellen sicherlich eine gewisse Bedrohung, eine Gefahr für das Land dar. Aber die kürzlich erfolgte Operation im Swat-Tal und auch schon die Zeit vorher hat doch gezeigt, dass das pakistanische Volk entschlossen ist, gegen diese Bedrohung zu kämpfen. Darüber hinaus hat auch die seit zwei Jahren schon andauernde pakistanische Anwaltsbewegung herausgestellt, dass Hoffnung und Optimismus besteht, dass die Dinge sich zum Besseren wenden. Es hat sich gezeigt, dass die Bevölkerung wirklich Anteil und Mitbestimmung haben will über das gesamte politische System. Sie wollen durchsetzbare Rechte haben und für diese Rechte sind die Menschen in Pakistan bereit zu kämpfen. All diese Ereignisse haben also gezeigt, dass das Volk Pakistans entschlossen ist, dass es Widerstandskraft hat, um die terroristische Bedrohung zu bekämpfen. Ich bin vollkommen überzeugt und sehr zuversichtlich, dass diese Hand voll Terroristen niemals die Oberhand behalten werden. Das pakistanische Volk ist entschlossen, diese Bedrohung zurückzuweisen, und mehr als das, sie zu bekämpfen.

    Barenberg: Viele Beobachter, Herr Minallah, zweifeln allerdings an der Fähigkeit und an der Entschlossenheit der pakistanischen Regierung im Kampf gegen die Taliban. Warum sind Sie so zuversichtlich?

    Minallah: Ja sicherlich steht die Regierung auch unter Druck von Seiten des Volkes. Die Militärmachthaber sehen sich gezwungen zu reagieren. Sie müssen etwas tun. Sie haben ja deswegen auch diese Operation in der Swat-Gegend durchgeführt. Sie haben gezeigt, dass sie die eigentlichen Rückzugsgebiete und die Rückhaltpositionen der Terroristen stören und zerstören können. Jetzt laufen die Operationen in der Gegend Waziristan an. Das alles sind Reaktionen der Regierung, und sie sind deswegen erfolgreich, weil eben das Volk sie unterstützt. Das ist der große Unterschied, der wahrscheinlich nicht genügend gesehen wird. Sogar die Armee ist jetzt unter Handlungsdruck, denn Angehörige der Armee sind getötet worden. Es geht um Pakistan. Das Volk will einmütig ein friedliches, ein plurales, ein liberales Pakistan. Auch die zwei Jahre unserer Anwaltsbewegung haben gezeigt, dass wir eine friedliche, eine pluralistische, eine moderne Gesellschaft wollen. Dieser Wandel ist im Gange, und er wird kommen.

    Barenberg: Die USA verstärken gerade ihr ziviles Engagement in Pakistan. Sie erhöhen aber auch massiv ihren militärischen Einsatz. Unbemannte Drohnen töten von Afghanistan aus mutmaßliche Aufständische. Unterstützen Sie diese Politik?

    Minallah: Nun, die amerikanische Regierung hat sicherlich in der Vergangenheit ganz offensichtliche Fehler begangen, etwa den, dass sie Pakistan mit den anderen Ländern der Region des Mittleren Ostens in einen Topf geworfen hat. Man hielt Pakistan für eine Art arabischen Staat, was es ja überhaupt nicht ist. Das war sicherlich ein entscheidender Fehler der Bush-Regierung. Auch hat die frühere Regierung alles auf eine Karte gesetzt, eben auf den Herrscher Pervez Musharraf, und dabei das Volk Pakistans missachtet. Die jetzige amerikanische Regierung legt sehr viel mehr Wert auf die Zivilgesellschaft, auf die Rolle der politischen Führung. Sie unterstützt die Zivilgesellschaft, sie hält auch die Zivilregierung des Landes für unterstützenswert. Das ist also sicherlich ein guter Wandel. Dennoch bleibt noch abzuwarten, was daraus entstehen wird. Jedenfalls ist Pakistan nunmehr als ein souveräner Staat anerkannt, der auch als ein Bündnispartner der USA zu betrachten ist. Wir betrachten dies als einen positiven Wandel. Es bleibt abzuwarten, was daraus noch entstehen wird.

    Barenberg: Unternimmt die Regierung in Islamabad genug, um Demokratie und Rechtsstaat im Land zu stärken?

    Minallah: Wir erleben sicherlich einen Neuansatz mit dieser neuen Regierung, die nach den Wahlen von 2008 ins Amt gekommen ist. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass dieser Erfolg ganz wesentlich dieser pakistanischen Anwaltsbewegung zu verdanken ist. Er hat einen Mentalitätswandel herbeigeführt, die Anwaltsbewegung hat die Wichtigkeit des Rechtsstaates, die Wichtigkeit der Verfassung, den Vorrang der Verfassung und der Institutionen, vor allem der demokratischen Institutionen ganz deutlich herausgestellt. Die neue Regierung hat sicherlich ihre Schwächen, aber die Bevölkerung und auch wir, die Rechtsanwälte, wir setzen sie ja unter Druck. Wir kämpfen und treten ein für den Rechtsstaat, der ein ganz wesentlicher unerlässlicher Grundpfeiler der Demokratie ist. Wir treten ein für die Stärkung der Institutionen, denn nur mit einem Rechtsstaat in Pakistan, nur dann, wenn institutionelles Gefüge diesen Rechtsstaat stützt, werden wir die Herausforderungen, die vor dem Land liegen, bewältigen können. Ohne den Rechtsstaat werden die Bürger auch sich nicht als Teilhaber des demokratischen Systems fühlen, und wenn sie sich nicht als Teilhaber fühlen, werden sie auch nicht dafür kämpfen. Deshalb ist das Volk Pakistans entschlossen, dafür einzutreten und diesen Wandel zu unterstützen. Die Regierung kann gar nicht anders, als darauf zu reagieren. Das Parlament hat wie die Regierung sicherlich gewisse Schwächen, das Parlament funktioniert noch nicht in vollem Umfang. Dennoch: die Leute in Pakistan sind überzeugt und sind voller Zuversicht, dass es gelingen wird, diesen Augenblick zu nutzen und jetzt die Chance zu nutzen, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und starke Institutionen in Pakistan durchzusetzen.

    Barenberg: Zum Schluss, Herr Minallah: Was wird die Bewegung der Anwälte tun, um dazu einen Beitrag zu leisten?

    Minallah: Nun, zunächst einmal war es unser Ziel als Anwaltsbewegung, dass die Justiz wieder in Gang kommt. Aber das war nicht unser Hauptziel, dass die Justiz wiederhergestellt wird, sondern dieser Reformprozess der Justiz sollte uns als ein Beispiel, als ein Vorbild dafür dienen, dass in Zukunft niemand mehr den demokratischen Prozess aus den Angeln heben würde. So sind auch die Kriegsrechtsmaßnahmen zurückgenommen worden – nicht nur rechtlich gesehen, sondern auch in praktischer Hinsicht. Eine echte Demokratie ist in Gang gekommen. Der Diktator, der Selbstherrscher, musste das Land verlassen. Die Justiz ist in einen Reformprozess eingetreten. Sie will sich von innen heraus reformieren. All jene Richter, die der Anordnung des Obersten Gerichtshofes nicht gefolgt waren, dass sie nicht mit dem Diktator Pervez Musharraf zusammenarbeiten dürften, sind mittlerweile aus ihren Ämtern entfernt worden. So ist also dieser umfassende Reformprozess des gesamten Justizwesens erfolgreich in Gang gesetzt worden und das ist etwas, was es auch für die Zukunft aufrecht zu erhalten gilt. Wir als Anwälte müssen ebenfalls unseren Berufsstand reformieren. Etwas, was in unserem Berufseid und auch in unserer Standesethik festgelegt ist, nämlich dass der Rechtsstaat, die Herrschaft des Rechts über allem steht. Das müssen wir mit aller Entschlossenheit durchsetzen, denn nur der Rechtsstaat ist auch die Grundlage dafür, dass Wohlstand nach Pakistan einzieht, und dass wir alle diese Aufgaben, die vor dem Land liegen, meistern.