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Das Volljährigkeitsalter sinkt in der Bundesrepublik Deutschland von 21 auf 18 Jahre

Von einem auf den anderen Tag wurden am 1. Januar 1975 rund 2,5 Millionen Jugendliche zwischen 18 und 21 zu mündigen Bürgern. Damit schwand eine Regelung, die fast einhundert Jahre Bestand hatte. Auslöser für die Gesetzesänderung waren die jugendlichen Protestbewegungen der 60er Jahre gegen verkrustete Herrschaftsstrukturen. Auch wenn die Herabsetzung der Volljährigkeit nicht zu den ausdrücklichen Forderungen der Bewegung zählte, eröffnete die politische Debatte darüber kein Geringerer als Willy Brandt 1969 in seiner Regierungserklärung:

Von Hartmut Goege |
    Diese jungen Menschen müssen aber verstehen, dass auch sie gegenüber Staat und Gesellschaft Verpflichtungen haben. Wir werden dem hohen Hause ein Gesetz unterbreiten, wodurch das aktive Wahlalter von 21 auf 18, das passive von 25 auf 21 Jahre herabgesetzt wird. Wir werden auch die Volljährigkeitsgrenze überprüfen.

    Im Wettstreit um das junge Wählerpotential beschlossen nur ein Jahr später die Parteien, das Wahlalter auf 18 zu senken. Eine wichtige Vorentscheidung für die spätere Volljährigkeitsregelung. Noch im selben Jahr führte dazu das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit eine groß angelegte Befragung durch. Über fünf Jahre lang stritten Sozialverbände, Kirchenkreise, verschiedene Gremien, Jugendhilfen und Publikationen über alle Aspekte der neuen Altersgrenze. Die Zeitschrift "UNSERE JUGEND" schrieb 1973 beispielsweise:

    Im Gegensatz zum Wahlrecht der 18-Jährigen handelt es sich bei der beabsichtigten Vorverlegung der Volljährigkeit um eine revolutionäre Veränderung der familiären Ordnungsstruktur, in einem Ausmaß, dass man sich fragen muss, ob damit nicht das Verfassungsgebot, die Familie unter den besonderen Schutz des Staates zu nehmen, verletzt wird.

    Andere warnten vor dem Beispiel DDR, das seine 18-Jährigen schon 1950 als junge Erwachsene aus der Obhut der Familie in die Arme der Staatsgewalt getrieben habe. Doch ein Großteil der Kritiker sorgte sich um die möglicherweise fehlende Reife, wenn es um die Risiken von Rechtsgeschäften ging. Die Betroffenen selber äußerten sich unterschiedlich:

    Wenn ein Jugendlicher die Konsequenz hat mit 18 wählen zu dürfen, dann müsst' er eigentlich auch die Konsequenz kennen, die er damit einschließt, dat er sich zum Beispiel 'nen Wagen kauft.

    Is' es für 'nen 18-Jährigen nicht noch vielleicht viel zu gefährlich, also so viele Gefahren bestehen übers Ohr gehauen zu werden, dass also der Jugendliche, also mit 18 Jahren, die Sachen noch nicht so gut überblicken kann.


    Katastrophenszenarien wie verschleuderte Erbvermögen und in den Ruin getriebene Jungunternehmer wurden an die Wände gemalt. Soziologen, wie Vigo Blücher hielten dagegen.

    Stellen sie sich doch vor, wie die jungen Leute im Freizeitbereich gelernt haben, ihr eigenes Leben zu führen, wie sie innerhalb der Familie, und zwar meistens in Harmonie mit den Eltern doch ihre eigenen Wege gehen, wie sie selbst Geld verdienen, wo hat es das früher gegeben, dass 15-, 16-Jährige Oberschüler in den Ferien Geld verdienen, weil sie irgendwelche Reisen unternehmen wollen. Das zeugt doch von Initiative.

    Die Kirche fürchtete einen Anstieg der Frühehen. Auch wenn Männer nun schon mit 18 statt mit 21 Jahren heiraten durften, wurde doch die Ehemündigkeit der Frau, als Schritt zur Gleichberechtigung, von 16 auf 18 angehoben. Erste empirische Untersuchungen des Deutschen Jugendinstituts nach Inkrafttreten des Gesetzes meldeten Entwarnung in allen Bereichen. Damit wurde nur bestätigt, was in den Schlussberatungen des Deutschen Bundestages alle Parteien in seltener Übereinstimmung formuliert hatten. Heinz Starke für die CDU-Opposition:

    Die 18 bis 21-Jährigen nehmen in unserer Lebens- und Rechtsordnung bereits heute umfangreiche Pflichten und Verantwortlichkeiten war. Wir schaffen meines Erachtens mit diesem Gesetz eine weitere Voraussetzung zur vollen Integration und auch zur Möglichkeit der Loyalität der jungen Generation zu unserer freiheitlich-demokratischen Rechts- und Gesellschaftsordnung.

    Heute allerdings fühlen sich immer mehr junge Erwachsene von Staat und Gesellschaft im Stich gelassen. Mit zunehmender Jugendarbeitslosigkeit droht auch die einstmals gepriesene Loyalität zu verschwinden.