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"Das war aus meiner Sicht ein Durchbruch in diesem Wahlkampf"

Ganz ohne "Parteibrille" meint Franz Müntefering über Frank-Walter Steinmeier beim Fernsehduell: "Er war sehr überzeugend, das war Kanzlerformat".

    Dirk Müller: Mehr Medien-Hype war wohl nie vor einem TV-Duell in Deutschland. Die Kanzlerin trifft auf ihren Vizekanzler und umgekehrt. Aber ein Fernsehduell, das vielleicht tatsächlich den Ausgang der Bundestagswahlen noch einmal nachhaltig beeinflussen könnte. Darauf haben zumindest beide gesetzt.
    Am Telefon in Berlin ist nun SPD-Chef Franz Müntefering. Guten Morgen!

    Franz Müntefering: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Müntefering, jetzt müssen Sie uns erst einmal verraten: was hat die Kanzlerin denn gut gemacht?

    Müntefering: Sie hat nicht die Arbeit der Großen Koalition kritisiert, denn da ist ja eine Menge Gutes passiert und da soll man auch keine Steine nachschmeißen.

    Müller: Dann könnte man ja so weiter machen?

    Müntefering: Nein, das kann man nicht. Das ist für die Demokratie nicht gut. Es ist nötig, dass die Große Koalition zu Ende geht, und Steinmeier hat ganz zu Beginn deutlich gemacht, eine Alternative ist nötig und die Alternative ist möglich, und zwar er im Kanzleramt und die SPD als entscheidende politische Kraft.

    Müller: Ist das eine Zweckalternative, oder eine politische?

    Müntefering: Das ist eine politische. Es geht um die Richtung. Wenn es Schwarz-Gelb gibt, dann gibt es eben weiter Atomkraft, und zwar mehr, dann gibt es keine Mindestlöhne, dann gibt es steuerliche Entlastungen für die Reichen, dann wird der Kündigungsschutz geschleift. Das ist schon was anderes als der Deutschlandplan von Frank-Walter Steinmeier, der ja auf Arbeit und Zukunftsfähigkeit des Landes ausgerichtet ist.

    Müller: Also demnach, Herr Müntefering, ist die FDP der Teufel und nicht die CDU?

    Müntefering: Nicht der Teufel. Wir reden nicht über Teufel, sondern wir reden darüber, was politisch vernünftig ist in diesem Land, und deshalb geht es darum, dass FDP und CDU/CSU nicht doch noch das machen können, mit dem sie 2005 Gott sei Dank gescheitert sind. Damals war die ganze marktradikale Ideologie auf der Höhe der Zeit und wir haben das Gott sei Dank verhindern können und haben das sehr stark sozialdemokratisch einfärben können. Aber es soll sich keiner eine Illusion machen. Wenn Westerwelle das Sagen hat mit Frau Merkel an der Seite, dann nimmt das keine gute Richtung in Deutschland.

    Müller: Herr Müntefering, wenn Westerwelle so schlimm ist, wie Sie gerade sagen, dann kann die SPD ja auch niemals mit Westerwelle zusammenarbeiten.

    Müntefering: Es kommt darauf an, wer mit wem zusammenarbeitet und welche Konstellation sich daraus ergibt. Wir haben ja auch nicht zum Ziel, mit ihm zusammenzuarbeiten. Wir möchten, dass wir so stark wie möglich sind, und natürlich: Am ehesten sehen wir auf die Grünen und hoffen und wissen, dass wir mit denen zuerst eine gute Politik machen können. Wenn das nicht möglich sein wird, wird man sehen, welche Konstellationen ansonsten möglich sind. Wichtig ist jedenfalls, dass die Sozialdemokratie die stärkste Kraft, die entscheidende Kraft wird und damit Frank-Walter Steinmeier ins Kanzleramt kommt.

    Müller: Wenn Sie Rot-Grün-Gelb letztendlich im Hinterkopf haben, dann dürfte es keine Frage sein, dass die SPD, wie stark auch immer, die stärkste Kraft ist. Das heißt, Gelb könnte doch in irgendeiner Form mitmischen – bei Ihnen?

    Müntefering: Ja, klar. Das haben wir ja auch in unserem Wahlprogramm schon aufgeschrieben. Wir haben ja genau deutlich gemacht, welche Reihenfolge es da gibt. Die Demokratie muss ja regierungsfähig sein. Die demokratischen Parteien müssen im Prinzip miteinander können. Wir sind Konkurrenten, aber keine Feinde. Es schließt sich aus eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei, so wie sie sich darstellt auf der Bundesebene – für uns, für die anderen Parteien auch, und deshalb: Alle anderen müssen irgendwie miteinander können. Das ist auch ein Teil Demokratie, die Kompromissfähigkeit, die da unverzichtbar sein muss.

    Müller: Und für die Linkspartei gilt das nicht, weil sie nicht demokratisch ist?

    Müntefering: Das gilt nicht, weil sie ökonomisch ignorant ist, weil sie europaskeptisch bis –feindlich ist und weil sie mit unseren Soldaten in der Welt umgeht, als ob das aggressive Krieger wären. Es kommt noch die Person von Lafontaine hinzu, das will ich nicht verschweigen.

    Müller: Oskar Lafontaine ist immer noch das Trauma der SPD?

    Müntefering: Das hat mit Trauma nichts zu tun, aber er ist einer, der den Laden verraten hat und der versucht hat, auf diese Art und Weise sich einen Namen zu machen und viel Geld zu verdienen.

    Müller: Und in vielen Bundesländern sagt man jetzt, die SPD und die Linkspartei sind gar nicht inhaltlich voneinander so weit entfernt. Zum Beispiel aus dem Saarland haben wir das gestern gehört. Aber das gilt eben nicht für die Bundespolitik?

    Müntefering: Ja, so ist das. Auf der Bundesebene gibt es andere Aufgaben, die internationalen Aufgaben, die großen ökonomischen Zusammenhänge, und die werden von Lafontaine und Co auf der Bundesebene ignoriert. Da gibt es viel Populismus. Auf der Landesebene müssen unsere Länder wissen, die da Verantwortlichen, ob sie mit den dort handelnden Linken zusammenarbeiten können. In Berlin passiert das, da ist das für die Stadt ganz gut und für das Land ganz gut gelaufen, da ist nichts dagegen einzuwenden.

    Müller: Kommen wir, Herr Müntefering, doch vielleicht in dem Zusammenhang noch mal auf gestern Abend zurück, und zwar auf Angela Merkel und noch auf Guido Westerwelle, der ja nicht dabei war. Aber wenn Sie Westerwelle letztendlich in eine politische Ecke drängen, die politisch nicht gewünscht ist vonseiten der SPD, warum kann man nicht gleich mit der CDU weitermachen?

    Müntefering: Nein, weil eine große Koalition nicht die ideale Ausgangslage ist für eine Demokratie. Ich glaube, dass es wichtiger ist, dass bei den großen Parteien eine auf dem Feld ist, eine auf der Reservebank. Wenn die Menschen auf die Reservebank gucken und die sehen da Westerwelle und Lafontaine sitzen, dann glauben sie nicht, dass das eine Alternative sein könnte. Deshalb: Da ist ein Wechsel dringend vonnöten.

    Müller: Aber Sie haben doch selbst gesagt, die Arbeit der Großen Koalition war recht gut.

    Müntefering: Ja, aber ich habe auch gesagt, das muss nicht ewig dauern. Es gibt eine bestimmte Zeit, da ist es ganz gut, dass man mal erfährt, wir sind keine Feinde, sondern nur Konkurrenten, aber trotzdem das bleibt, das ist ja nicht neu, das haben wir im Regierungsprogramm stehen und das sage ich hier zum 25. Mal: Es ist nicht sinnvoll, lange Große Koalition zu machen.

    Müller: Jetzt haben wir die jüngsten Umfragen gehört, die Blitzumfragen, die im Anschluss an das Fernsehduell erhoben wurden. Demnach soll Frank-Walter Steinmeier etwas besser abgeschnitten haben als Angela Merkel. Reicht das denn für die SPD?

    Müntefering: Etwas sehr besser hat er abgeschnitten. Da bin ich ganz gewiss, dass die Meinung bei den Menschen auch so ist und dass das keine Parteibrille ist. Er war sehr überzeugend, das war Kanzlerformat, was er da gezeigt hat, ganz ohne Zweifel.

    Müller: Bis jetzt hat die Bevölkerung das noch nicht so erkannt.

    Müntefering: Ja. Deshalb war ja auch der Termin gestern sehr wichtig. Gestern ging es um die Frage, wer wird Kanzler sein, und deshalb gibt es auch gar keinen Grund zur Reklamation von irgendwem. Gestern ist nicht über die Parteien gesprochen worden, wenigstens nicht im Vordergrund, sondern über die beiden, die als einzige für das Kanzleramt zur Verfügung stehen, und da war Kanzler Steinmeier eine sehr überzeugende Alternative.

    Müller: Haben Sie, Herr Müntefering, denn bislang eine überzeugende Erklärung dafür gefunden, auch für sich selbst, warum es der SPD im Moment so schlecht geht?

    Müntefering: Na ja, das ist natürlich so, dass mit dem Auftreten anderer Parteien wir einen Teil unserer Wählerinnen und Wähler verloren hatten in den vergangenen Jahren, aber ich bin sicher, dass wir eine Chance haben, in diesem Wahlkampf – der kommt ja jetzt in seine heiße Zeit – aufzuholen und dann zum guten Schluss dafür zu sorgen, dass ein Ergebnis da ist, das anders ist als manche sich vorgestellt haben. Gestern Abend haben manche zum ersten Mal in Offenheit die beiden in Konkurrenz miteinander gesehen und da ist klar geworden, eine Alternative gibt es, Steinmeier ist ein guter Kanzler und er weiß, von was er redet. Das war den ganzen Abend deutlich. Er hat auf der Grundlage von Fakten und Sachkunde gesprochen. Das ist eine Vision, die ganz praktisch angelegt ist bei ihm. Er hat eine Vorstellung über das, was in Deutschland passieren soll. Frau Merkel war, wie sie ist: sehr allgemein.

    Müller: "Opposition ist Mist", das haben Sie einmal gesagt, Herr Müntefering. Deshalb ist die Opposition gestern Abend beim Fernsehduell gleich draußen geblieben. War das in Ordnung?

    Müntefering: Das habe ich ja gerade schon erklärt. Es ging nicht um die Parteien, sondern es geht um die Frage, wer soll Kanzler sein, und da kommen im Ernst nur die beiden infrage, Herr Westerwelle ganz sicher nicht.

    Müller: Also die SPD ist inzwischen auch auf die Person angewiesen, nicht mehr auf die Partei?

    Müntefering: Das ist immer so. Die Kanzler haben in unserer Demokratie eine besondere, eine ganz wichtige Rolle. Es ist auch ganz zweifellos so, dass die Wählerinnen und Wähler in hohem Maße sich auch daran orientieren. Die Werte werden auch immer besonders im Vordergrund mitgeliefert dabei und Steinmeier hat gestern Abend die große Chance gehabt und er hat sie hervorragend genutzt. Das war aus meiner Sicht ein Durchbruch in diesem Wahlkampf. Da haben viele Menschen zum ersten Mal in diesem Wahlkampf wirklich die Argumente gehört und die beiden vergleichen können und da war Steinmeier ein starkes Pfund.

    Müller: SPD-Chef Franz Müntefering bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Müntefering: Bitte schön, Herr Müller. Tschüß!