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"Das war ein sehr mulmiges Gefühl"

Gegen Mittag sind dann alle wieder an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen, schätzt Otto-Uwe Schmiedt, Bürgermeister der Inselgemeinde Fehmarn, nachdem das Wintertief Daisy viele Orte von der Außenwelt abgeschnitten hatte. Mit den Rettungsmaßnahmen ist Schmiedt zufrieden - und zieht Parallelen zu dem Unwetter aus dem Jahre 1979.

Otto-Uwe Schmiedt im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Nach dem schneebedingten Verkehrschaos vom Wochenende beginnt der Verkehr in Mecklenburg-Vorpommern wieder zu rollen. Nur auf der Bundesautobahn A20 in der Nähe von Greifswald war die Fahrbahn Richtung Norden zunächst noch weiter gesperrt. Mit einzelnen Behinderungen durch Räumfahrzeuge müsse weiterhin gerechnet werden, niemand im Lande sitze mehr in eingeschlossenen Fahrzeugen oder gar in Häusern fest. Schauen wir auf Schleswig-Holstein. Hier haben sich die Einsatzkräfte in der Nacht zu den meisten der eingeschlossenen Orten vorgearbeitet. Meterhohe Schneewehen hatten am Wochenende im Osten von Schleswig-Holstein Landstraßen und Gleise blockiert. Viele kleinere Orte in Küstennähe wurden von der Außenwelt abgeschnitten. Grund war das Wintertief Daisy, das mit eisigem Sturm und Schnee über das Land hinwegfegte. Am mobilen Telefon erreichen wir nun Otto-Uwe Schmiedt, Bürgermeister der Inselgemeinde Fehmarn. Guten Tag, Herr Schmiedt!

    Otto-Uwe Schmiedt: Moin moin!

    Breker: Wo erreichen wir Sie genau gerade?

    Schmiedt: Ich bin gerade unterwegs in meine letzten beiden Dörfer, die in Kürze gegen Mittag dann auch wieder notdürftig an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen sind.

    Breker: Das heißt, Herr Schmiedt, noch sind einige Dörfer auf Fehmarn von der Außenwelt abgeschnitten. Wie viele Menschen sind da betroffen?

    Schmiedt: Das sind jetzt zwei Ortslagen mit 60 und einmal 40 Einwohnern. Also jetzt sind noch 100 Menschen betroffen, aber wie gesagt, wir sind dabei. Jetzt bis Mittag 13 Uhr Leistungsziel wollen wir da durch sein, dass die Dörfer in eine Richtung jedenfalls wieder mobil sind.

    Breker: Haben Sie Kontakt zu den Menschen in den abgeschlossenen Gemeinden?

    Schmiedt: Gott sei Dank ist das Telefon ja ein wunderbares technisches Hilfsmittel. Man ruft schon mal kurz an und dann hört man "uns geht es gut. Wann ist es so weit?" Dann sagt man "okay, es ist morgen so weit." "Ja, geht ja gar nicht anders." Also viel Verständnis!

    Breker: Strom funktioniert also?

    Schmiedt: Gestern Morgen um neun Uhr war circa eine Stunde komplett Stromausfall auf der Insel. Das war ein sehr mulmiges Gefühl, weil dann ja kein Festnetz mehr geht, es geht keine Heizung mehr. Das Wasser ging noch nicht wieder, weil die Notstromaggregate in den Pumpwerken nicht angesprungen sind. Man kann nicht kochen. Das war schon so eine Sache, wo ich dachte, oh, jetzt geht es richtig los.

    Breker: Sind Sie der Ansicht, Herr Schmiedt, dass die Menschen auf Ihrer Insel inzwischen das Schlimmste hinter sich haben?

    Schmiedt: Wir haben jetzt abnehmenden Wind gehabt. Die Nachhut ist da, würde ich mal sagen. Wir haben jetzt leicht einsetzenden Schneefall. Wenn der unter Kontrolle bleibt und nicht mehr wird, dann könnte ich jetzt in diesem Moment sagen, wir haben das Schlimmste hinter uns.

    Breker: Halten denn die Deiche, Herr Schmiedt?

    Schmiedt: Das war gestern Abend dann noch das I-Tüpfelchen auf der Katastrophenlage. Wir haben mit viel Manpower, Personal, Material die beiden Unterspülungen abgesichert. Glücklicherweise ging gestern Abend um 20 Uhr das Hochwasser zurück, so dass die Situation sich bis Mitternacht entspannt hatte. Die werden halten!

    Breker: Kommen Sie denn alleine zurecht auf Fehmarn, oder brauchen Sie Hilfe vom Festland?

    Schmiedt: Wir sind jetzt eigentlich ziemlich auf uns selber gestellt. Wir haben sämtliches technisches Gerät der Kommune, wir haben leistungsstarke Baufirmen auf der Insel. Alle Bagger, die sonst normalerweise woanders sind, arbeiten für uns, alle Radlader, alles was an schwerem Gerät da ist. Und wir haben Gott sei Dank Landwirte, die auch über schweres Gerät und auch Räumgerät verfügen. Das ganze zusammengefasst mit den Fräsen, die wir bekommen haben, einmal aus dem Flensburger Bereich, aus Bredstedt eine Fräse, dann haben wir von der Bundeswehr eine Fräse, die haben eine eigene Fräse, da haben wir die Situation unter Kontrolle. '79 brauchte man 14 Tage, um Fehmarn freizumachen; wir haben es jetzt in drei Tagen geschafft.

    Breker: Sie haben 1979 angesprochen; das war ja nicht das erste Mal. Wurde denn aus 1979 ausreichend gelernt?

    Schmiedt: Es wurde, als das aktuell war - ich kann mich direkt erinnern -, eine ganze Menge gelernt. Auch unsere Schneefräse, die wir hier haben, ist damals angeschafft worden. Dann gab es keine Winter mehr und so langsam geriet alles in Vergessenheit und auch die Meistereien und so haben sukzessive gesagt, na ja, das Gerät brauchen wir sowieso nicht mehr. Mit solchen Schneelagen muss man immer rechnen!

    Breker: Daisy kam ja nicht überraschend, sondern war angekündigt. Wenn Sie einen selbstkritischen Blick zurückwerfen, Herr Schmiedt, waren Sie gut vorbereitet?

    Schmiedt: Selbstkritisch objektiv, wir waren gut vorbereitet. Ich habe Daisy und die Ankündigungen sehr, sehr ernst genommen, weil wir mit 40 Zentimeter leichtem Pulverschnee auf der Insel einrichtiges Opfer für den Orkan und für Schneeverwehungen waren, und genauso ist es eingetreten.

    Breker: Die höchsten Schneeverwehungen bei Ihnen, Herr Schmiedt, waren wie hoch?

    Schmiedt: Ich übertreibe nicht und werde 3,50 bis 4 Meter sagen.

    Breker: Und das hat den Verkehr nachhaltig beeinträchtigt?

    Schmiedt: Auf Landes- und Kreisstraßen, also auf Straßen, die eigentlich der Gemeinde gar nicht gehören, wo ich für den Räumdienst gar nicht zuständig bin, hat das zu erheblichen Behinderungen geführt.

    Breker: Aber Sie mussten ja eingreifen, weil niemand mehr zu Ihnen kam?

    Schmiedt: Die Straßenmeistereien waren am Limit, da war nichts mehr. Es war kein Gerät mehr da, es hat halt nicht mehr funktioniert.

    Breker: Sie haben gesagt, gegen 13 Uhr erwarten Sie, dass die letzten beiden Gemeinden auch einen Zugang haben, also nicht länger abgeschnitten sind. Ist das dann vorläufig?

    Schmiedt: Dann haben wir eine Not-Zugangssituation zu allen Gemeinden und dann müssen wir bis Ende der Woche praktisch den Querschnitt der Straßen erweitern, weil wir im Moment dort zum Teil nur eine Fahrspur haben. Es ist alles stark vereist, also es ist keine richtige Verkehrsverbindung in dem Sinne, wie man sich die vorstellt.

    Breker: Ist denn die Versorgung der Bevölkerung gesichert? Sind ausreichend Lebensmittel vorhanden?

    Schmiedt: Das ist kein Problem, weil ja die Zufahrt vom Festland her, die E47 und die Autobahn, zwar eingeschränkt befahrbar ist, aber ich habe heute die ersten Lieferanten für die Großmärkte gesehen, also das ist gesichert.

    Breker: Sie brauchen keine Unterstützung aus der Luft?

    Schmiedt: Nein, das ist im Moment nicht erforderlich.

    Breker: Herr Schmiedt, Ihr Tag, wie sieht der aus in diesen Zeiten?

    Schmiedt: Dienst rund um die Uhr in der Katastrophenzentrale, nebenbei Verwaltungsdienst und ab und zu mal eine Mütze Schlaf.

    Breker: Ab und zu eine Mütze Schlaf heißt wie viele Stunden?

    Schmiedt: Drei Stunden oder vier Stunden mal, wenn man meint, dass alles so weit von selber läuft.

    Breker: Und wann glauben Sie ist Ihr heutiger Arbeitstag beendet?

    Schmiedt: Ich gehe nachher ins Lagezentrum, dann machen wir eine Zwischenbilanz und dann werden wir entscheiden, ob wir heute Nacht wie die letzten drei oder vier Nächte durchräumen, oder ob wir heute Nacht mal so einen Notdienst fahren und beobachten.

    Breker: Sie sind voller Zuversicht?

    Schmiedt: Sie hören einen optimistischen Bürgermeister.

    Breker: Otto-Uwe Schmiedt war das im Deutschlandfunk, Bürgermeister der Inselgemeinde Fehmarn. Herr Schmiedt, danke für dieses Gespräch und alles Gute.

    Schmiedt: Ja, und tschüß!