Diese Prognose gab gestern der Schätzerkreis für die gesetzliche Krankenversicherung nach Beratungen in Bonn ab. Unterdessen hat Bundesgesundheitsminister Rösler laut über eine Vorkasse-Regelung für die gesetzlich Versicherten nachgedacht. Über seine Gesundheitsreform sprach Jürgen Liminski mit Karin Stötzner, der Patientenbeauftragten des Landes Berlin, und hat sie gefragt, wie sie denn aus Sicht der Patienten die Reform bewertet. Vielleicht gibt es ja auch schon Klagen der Patienten.
Karin Stötzner: Das, was ich höre, ist großes Entsetzen und große Sorge darüber, dass sie das, was auf sie zukommt, nicht finanzieren können. Man darf ja nicht vergessen, dass die alten Reformen schon sehr viel Belastung gebracht haben, Zusatzzahlungen, Praxisgebühr, keine Kostenerstattung für nicht verschreibungspflichtige Medikamente, und nun kommt auch noch die Beitragserhöhung, die Zusatzzahlung, und das alles auf dem Rücken der Versicherten alleine. Das wird schon eine ganze Menge werden.
Jürgen Liminski: Nun gibt es jedenfalls für das kommende Jahr genügend Geld und keine Lücken, hat der Schätzerkreis heute gesagt. Ja man spricht sogar von höheren Einnahmen und einer Liquiditätsreserve, die gebildet werden könne. Sind die Zusatzbeiträge also zu früh, oder zu hoch erhoben worden, oder sollte der Krankenkassenbeitrag nicht erhöht werden?
Stötzner: Das ist eine merkwürdige Information, weil auf der anderen Seite hören wir immer, dass es Milliarden Defizite bei den Kassen gibt. Mit dieser Drohung dieser großen Defizite wird uns die Zuzahlung abverlangt, die höheren Beiträge. Und jetzt auf einmal ist die Reserve da. Wenn ich das aber richtig verstanden habe, was die Politik will, braucht sie diese Reserve, um zunächst den Sozialausgleich für die steigenden Zusatzbeiträge zu zahlen, und insofern kann man wirklich darüber diskutieren, so wie Sie es eben vorschlagen, wem gehört dieses Geld eigentlich und wer darf darüber entscheiden, wofür es verwendet wird.
Liminski: Sollte man den Patienten das Geld zurückzahlen, oder lieber in eine bessere Versorgung investieren?
Stötzner: Ich denke, man sollte es besser in eine Versorgung investieren, in eine gute Versorgung, in eine patientenorientierte Versorgung, weil eine Rückerstattung an die Versicherten wäre wahrscheinlich relativ schnell verpufft. Wir brauchen aber dringend Verbesserungen auch in der Versorgung.
Liminski: Es ist vielleicht noch zu früh für die Antwort auf die kommende Frage, weil die Patienten das noch gar nicht so richtig verdaut haben. Glauben Sie, dass die Patienten sich jetzt etwas betrogen fühlen, weil es eine Liquiditätsreserve geben soll?
Stötzner: Ich fürchte oder ich vermute, dass dieser Gedanke bei den Versicherten noch gar nicht wirklich angekommen ist, dass sie was vorgezahlt haben. Vor allen Dingen sehen es natürlich diejenigen, die geringe Einkommen haben, die wenig verdienen, die ohnehin schon viel zahlen müssen, dass sie an allen Ecken und Enden nicht mehr zurechtkommen, eben auch bei den Gesundheitsleistungen, und sie spüren, dass sie zur Kasse gebeten werden, da wo es möglich ist – denken Sie an die Igel-Leistungen. Also insofern muss man wahrscheinlich auch noch ein bisschen Bewusstsein bei den Patienten dafür schaffen, dass sie sich jetzt mehr einmischen müssen, weil wirklich sehr viel Geld umverteilt wird.
Liminski: Glauben Sie, dass es zu einem solchen Unmut kommt, dass vielleicht der Protest irgendwann auch mal auf der Straße landet?
Stötzner: Ehrlich gesagt, ich würde es mir wünschen, weil das, was da sich jetzt abzeichnet, erfordert eigentlich noch ein ganz anderes Auftreten, eine andere Art von Lobbyismus auch von den Patienten, die genauso auf den Schößen der CDU- und FDP-Politiker sitzen wie die Lobbyisten der Wirtschaftsunternehmen. Das wäre schon schön.
Liminski: Heute hat Minister Rösler eine neue Idee ins Spiel gebracht. Die Patienten sollten erst mal bezahlen und dann den Betrag von der Kasse erstattet bekommen, also eine Vorkasse leisten. Was halten Sie davon?
Stötzner: Ich fürchte, das ist kein guter Vorschlag, denn es kann langfristig zu einer Drei-Klassen-Medizin führen. Dann gibt es die sehr gut versorgten Privatversicherten, dann gibt es diejenigen, die bereit sind, eine Rechnung beim Arzt gleich zu bezahlen und deswegen Privilegien dort haben können, schnellere Termine, und dann die Patienten, die auf die klassische Kassenfinanzierung angewiesen sind, die dann lange warten werden und denen wahrscheinlich die eine oder andere Leistung vorenthalten wird, die sie brauchen können. Das belastet aber vor allen Dingen arme Leute, die das Geld gar nicht haben, und insofern: Das ist keine gute Idee.
Liminski: Wäre es insgesamt patientenfreundlicher, die Medikamentenpreise zu senken?
Stötzner: Die Idee ist sehr gut, aber daran haben sich ja schon viele Regierungen die Zähne ausgebissen, weil einfach die Strukturen der Interessenvertretung derjenigen, die diese hohen Medikamentenpreise in Deutschland verteidigen, besser organisiert sind. Wir wissen, dass in Deutschland wesentlich höhere Preise für Medikamente gezahlt werden als im übrigen Ausland, in Europa oder in anderen Ländern. Das ist ein eingeführter Markt, der im Moment durch die Regierung auch geschützt wird.
Liminski: Hören Sie aus diesem Bereich auch Klagen von den Patienten?
Stötzner: Ja, wir sehen jetzt in der Selbsthilfe vielfältigste Strategien der "Beglückung" von Patientenverbänden und -Organisationen, wo eine sehr große Nähe der Pharmafirmen zu diesen betroffenen Gruppen gesucht wird, sehen allerdings auch, dass diese gesuchte Nähe nicht immer ganz problemlos ist, und ich denke, da brauchen wir mehr Öffentlichkeit, um sichtbar zu machen, wer welche Interessen auch in den Medien, in den Printmedien zum Beispiel vertritt.
Liminski: Um das zu konkretisieren: Glauben Sie, dass die Pharmalobby auch versucht, die Selbsthilfegruppen zu manipulieren?
Stötzner: Manipulieren ist ein schwieriger Begriff. Ich denke, es ist im Faktischen eine Manipulation, weil die Instrumente, die Mittel, die Ressourcen, die die Wirtschaftsunternehmen im Vergleich zu ehrenamtlich organisierten Gruppen haben, natürlich mächtig und gewaltig sind, aber es ist vor allen Dingen erst mal eine Nähe und eine fürsorgliche Belagerung, die viele Gruppen gar nicht als Beeinflussung wahrnehmen, und dieses Bewusstsein dafür muss man schaffen.
Liminski: Unterm Strich, Frau Stötzner, haben Sie den Eindruck, dass die Zeche der Gesundheitsreform von den Patienten bezahlt wird, oder dass das gleichmäßig verteilt wird?
Stötzner: Es wird von den Versicherten und den Patientinnen und Patienten bezahlt werden müssen, denn was ich beobachte, ist, dass die Interessen der Leistungsanbieter, der Wirtschaftsunternehmen jetzt so stark organisiert sind, dass die Politik mit ihren Vorschlägen, auch dort zu sparen, wahrscheinlich nicht im vollen Umfang durchkommen wird, sodass die Hauptlast bei den Versicherten liegt.
Liminski: Die Baustelle Gesundheitsreform wird größer. Das war die Patientenbeauftragte des Landes Berlin, Karin Stötzner. Besten Dank für das Gespräch, Frau Stötzner.
Stötzner: Ich danke Ihnen!
Weitere Informationen zum Thema bei DRadio.de:
Negativ-Echo auf die Gesundheitsreform - CSU will Korrekturen durchsetzen, Aktuell vom 23.9.2010
Gesundheitsreform beschlossen - Künftig steigen nur noch Arbeitnehmerbeiträge, Aktuell vom 22.9.2010
Karin Stötzner: Das, was ich höre, ist großes Entsetzen und große Sorge darüber, dass sie das, was auf sie zukommt, nicht finanzieren können. Man darf ja nicht vergessen, dass die alten Reformen schon sehr viel Belastung gebracht haben, Zusatzzahlungen, Praxisgebühr, keine Kostenerstattung für nicht verschreibungspflichtige Medikamente, und nun kommt auch noch die Beitragserhöhung, die Zusatzzahlung, und das alles auf dem Rücken der Versicherten alleine. Das wird schon eine ganze Menge werden.
Jürgen Liminski: Nun gibt es jedenfalls für das kommende Jahr genügend Geld und keine Lücken, hat der Schätzerkreis heute gesagt. Ja man spricht sogar von höheren Einnahmen und einer Liquiditätsreserve, die gebildet werden könne. Sind die Zusatzbeiträge also zu früh, oder zu hoch erhoben worden, oder sollte der Krankenkassenbeitrag nicht erhöht werden?
Stötzner: Das ist eine merkwürdige Information, weil auf der anderen Seite hören wir immer, dass es Milliarden Defizite bei den Kassen gibt. Mit dieser Drohung dieser großen Defizite wird uns die Zuzahlung abverlangt, die höheren Beiträge. Und jetzt auf einmal ist die Reserve da. Wenn ich das aber richtig verstanden habe, was die Politik will, braucht sie diese Reserve, um zunächst den Sozialausgleich für die steigenden Zusatzbeiträge zu zahlen, und insofern kann man wirklich darüber diskutieren, so wie Sie es eben vorschlagen, wem gehört dieses Geld eigentlich und wer darf darüber entscheiden, wofür es verwendet wird.
Liminski: Sollte man den Patienten das Geld zurückzahlen, oder lieber in eine bessere Versorgung investieren?
Stötzner: Ich denke, man sollte es besser in eine Versorgung investieren, in eine gute Versorgung, in eine patientenorientierte Versorgung, weil eine Rückerstattung an die Versicherten wäre wahrscheinlich relativ schnell verpufft. Wir brauchen aber dringend Verbesserungen auch in der Versorgung.
Liminski: Es ist vielleicht noch zu früh für die Antwort auf die kommende Frage, weil die Patienten das noch gar nicht so richtig verdaut haben. Glauben Sie, dass die Patienten sich jetzt etwas betrogen fühlen, weil es eine Liquiditätsreserve geben soll?
Stötzner: Ich fürchte oder ich vermute, dass dieser Gedanke bei den Versicherten noch gar nicht wirklich angekommen ist, dass sie was vorgezahlt haben. Vor allen Dingen sehen es natürlich diejenigen, die geringe Einkommen haben, die wenig verdienen, die ohnehin schon viel zahlen müssen, dass sie an allen Ecken und Enden nicht mehr zurechtkommen, eben auch bei den Gesundheitsleistungen, und sie spüren, dass sie zur Kasse gebeten werden, da wo es möglich ist – denken Sie an die Igel-Leistungen. Also insofern muss man wahrscheinlich auch noch ein bisschen Bewusstsein bei den Patienten dafür schaffen, dass sie sich jetzt mehr einmischen müssen, weil wirklich sehr viel Geld umverteilt wird.
Liminski: Glauben Sie, dass es zu einem solchen Unmut kommt, dass vielleicht der Protest irgendwann auch mal auf der Straße landet?
Stötzner: Ehrlich gesagt, ich würde es mir wünschen, weil das, was da sich jetzt abzeichnet, erfordert eigentlich noch ein ganz anderes Auftreten, eine andere Art von Lobbyismus auch von den Patienten, die genauso auf den Schößen der CDU- und FDP-Politiker sitzen wie die Lobbyisten der Wirtschaftsunternehmen. Das wäre schon schön.
Liminski: Heute hat Minister Rösler eine neue Idee ins Spiel gebracht. Die Patienten sollten erst mal bezahlen und dann den Betrag von der Kasse erstattet bekommen, also eine Vorkasse leisten. Was halten Sie davon?
Stötzner: Ich fürchte, das ist kein guter Vorschlag, denn es kann langfristig zu einer Drei-Klassen-Medizin führen. Dann gibt es die sehr gut versorgten Privatversicherten, dann gibt es diejenigen, die bereit sind, eine Rechnung beim Arzt gleich zu bezahlen und deswegen Privilegien dort haben können, schnellere Termine, und dann die Patienten, die auf die klassische Kassenfinanzierung angewiesen sind, die dann lange warten werden und denen wahrscheinlich die eine oder andere Leistung vorenthalten wird, die sie brauchen können. Das belastet aber vor allen Dingen arme Leute, die das Geld gar nicht haben, und insofern: Das ist keine gute Idee.
Liminski: Wäre es insgesamt patientenfreundlicher, die Medikamentenpreise zu senken?
Stötzner: Die Idee ist sehr gut, aber daran haben sich ja schon viele Regierungen die Zähne ausgebissen, weil einfach die Strukturen der Interessenvertretung derjenigen, die diese hohen Medikamentenpreise in Deutschland verteidigen, besser organisiert sind. Wir wissen, dass in Deutschland wesentlich höhere Preise für Medikamente gezahlt werden als im übrigen Ausland, in Europa oder in anderen Ländern. Das ist ein eingeführter Markt, der im Moment durch die Regierung auch geschützt wird.
Liminski: Hören Sie aus diesem Bereich auch Klagen von den Patienten?
Stötzner: Ja, wir sehen jetzt in der Selbsthilfe vielfältigste Strategien der "Beglückung" von Patientenverbänden und -Organisationen, wo eine sehr große Nähe der Pharmafirmen zu diesen betroffenen Gruppen gesucht wird, sehen allerdings auch, dass diese gesuchte Nähe nicht immer ganz problemlos ist, und ich denke, da brauchen wir mehr Öffentlichkeit, um sichtbar zu machen, wer welche Interessen auch in den Medien, in den Printmedien zum Beispiel vertritt.
Liminski: Um das zu konkretisieren: Glauben Sie, dass die Pharmalobby auch versucht, die Selbsthilfegruppen zu manipulieren?
Stötzner: Manipulieren ist ein schwieriger Begriff. Ich denke, es ist im Faktischen eine Manipulation, weil die Instrumente, die Mittel, die Ressourcen, die die Wirtschaftsunternehmen im Vergleich zu ehrenamtlich organisierten Gruppen haben, natürlich mächtig und gewaltig sind, aber es ist vor allen Dingen erst mal eine Nähe und eine fürsorgliche Belagerung, die viele Gruppen gar nicht als Beeinflussung wahrnehmen, und dieses Bewusstsein dafür muss man schaffen.
Liminski: Unterm Strich, Frau Stötzner, haben Sie den Eindruck, dass die Zeche der Gesundheitsreform von den Patienten bezahlt wird, oder dass das gleichmäßig verteilt wird?
Stötzner: Es wird von den Versicherten und den Patientinnen und Patienten bezahlt werden müssen, denn was ich beobachte, ist, dass die Interessen der Leistungsanbieter, der Wirtschaftsunternehmen jetzt so stark organisiert sind, dass die Politik mit ihren Vorschlägen, auch dort zu sparen, wahrscheinlich nicht im vollen Umfang durchkommen wird, sodass die Hauptlast bei den Versicherten liegt.
Liminski: Die Baustelle Gesundheitsreform wird größer. Das war die Patientenbeauftragte des Landes Berlin, Karin Stötzner. Besten Dank für das Gespräch, Frau Stötzner.
Stötzner: Ich danke Ihnen!
Weitere Informationen zum Thema bei DRadio.de:
Negativ-Echo auf die Gesundheitsreform - CSU will Korrekturen durchsetzen, Aktuell vom 23.9.2010
Gesundheitsreform beschlossen - Künftig steigen nur noch Arbeitnehmerbeiträge, Aktuell vom 22.9.2010