Dienstag, 19. März 2024

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Das Week-End Fest
Musik für Connaisseurs

Innerhalb der deutschen Festival-Szene besetzt das Week-End eine Nische. Fernab von kommerziellem Denken beweisen die Festivalmacher ein gutes Händchen für außergewöhnliche Klänge. Auch dieses Jahr luden sie internationale Trendsetter, Outsider-Musiker und geheime Stars nach Köln ein.

Juliane Reil im Kollegengespräch mit Bernd Lechler | 19.10.2019
Auf dem Bild ist das Sun Ra Arkestra zu sehen. Die Musiker tragen glitzernde Gewänder.
Das Sun Ra Arkestra unter der Leitung von Alt-Saxophonist Marshall Allen (Raphael Smarzoch)
Bernd Lechler: Köln hat eine lange Tradition experimenteller Musik: Can kamen von hier, Conny Planck hatte hier sein Studio und Karlheinz Stockhausen lehrte an der Musikhochschule. Das bekannteste Festival der Stadt ist seit 2004 die c/o Pop, ganz anders, nämlich eben experimenteller orientiert, ist das Week-End-Fest, das zum neunten Mal stattfindet mit Trendsettern und Altstars einer musikalischen Insider-Szene, in der Stadthalle Köln-Mülheim. Juliane Reil war gestern beim Eröffnungsabend. Wie kann man die Idee dieses Festivals beschreiben? Das altehrwürdige Sun Ra Arkestra neben so einer RnB-Minimalistin wie Tirzah aus England. Ist das Kraut und Rüben, oder gibt es einen roten Faden?
Fans machen ein Programm für Fans
Juliane Reil: Ja, es gibt einen roten Faden, wenn man so will: Das Verbindende ist der Musikgeschmack von den Festivalmachern und Kuratoren. Jan Lankisch, der das Festival mit dem mittlerweile verstorbenen Jörg Waschat aus der Taufe gehoben hat. Und Theresa Nink, die inzwischen mit an Bord ist. Die Idee hinter dem Festival ist ganz einfach, Fans machen Programm für Fans. Da wird genreübergreifend kreuz und quer gedacht. Altes wird wiederentdeckt und herausfordernd mit Neuem kombiniert. Zum Schluss steht ein Programm, das auch popbibelfeste Connaisseurs unter 40 begeistert. Manchmal treten sogar Bands auf, die eigentlich gar nicht mehr aktiv sind. 2013 zum Beispiel die britische Postpunk-Band "Young Marble Giants, die sich in den späten 70er Jahren gegründet hat.
Lechler: Auch so eine Band, die nicht jeder kennt. Was gab es gestern Abend zu erleben?
Reil: Dieses Mal gab es eine starke Ausrichtung zum Jazz. Das Fred Frith Trio um den gleichnamigen britischen Gitarristen hat den Auftakt gemacht. Das Trio steht für freie Improvisation, hat keine Angst vor kakophonischen Ausbrüchen. Durfte ich auch gestern erleben, fand ich etwas anstrengend, muss ich sagen. Die japanische Musikerin Eiko Ishibashi hat zu Anfang ihres Sets mit Querflöte und Loopstation Ambientflächen geschaffen. Hatte auch so seine Längen für mich. Und dann gab es einen Auftritt der Big Band des amerikanischen Bandleaders Sun Ra, der 1993 verstorben ist. Die Band: Das sind Jazzveteranen, deren ältestes Mitglied 95 Jahre ist. War ein toller Auftritt, sehr gute, präzise Musiker. Natürlich macht das Spaß, so etwas zu erleben. Aber der Sound, muss ich sagen, repräsentiert dann doch stark die Vergangenheit – Jazz-Ideen der letzten 50 Jahre, deshalb war es sehr wichtig, fand ich, dass es da einen Kontrapunkt zum Schluss mit Tirzah gab, eine Newcomerin aus London - Mitte 20. Sie singt zu reduzierten Beats, die manchmal wie Störgewitter dazwischenschneiden, zwischen ihre Stimme. Was den Reiz dieser Musikzusammenstellung für die Veranstalter ausmacht, das erklärte mir Week-End-Kuratorin Theresa Nink:
Theresa Nink: "Ich glaube, das ist das Besondere, dass man Künstler hat, die einen ganz unterschiedlichen Background haben. Zum einen super lange Bühnenerfahrung haben wie das Sun Ra Orchestra – das 30 Jahre nach dem Tod von Sun Ra immer noch dessen Erbe und utopischen Ideen auf der Bühne umsetzt und weitergibt - und dann eine junge Performerin wie die britische RnB-Sängerin Tirzah, die über die Gegenwart in London singt. Trotzdem haben die sich etwas zu sagen, wenn die nacheinander spielen."
Risikobereit und unabhängig
Reil: Auch wenn mich die Auswahl musikalisch gestern Abend nicht vom Hocker gerissen hat, schätze ich das Konzept des Festivals, den Mut und die Risikobereitschaft und die Unabhängigkeit vom Week-End.
Lechler: Und das Ganze findet in Köln-Mülheim statt, rechts vom Rhein, Schäl Sick. Das ist kein angesagtes Viertel wie Nippes oder Ehrendfeld. Gehört das wohl auch zur Anti-Mainstream-Haltung der Macher?
Reil: Auf jeden Fall ist es eine bewusste Entscheidung für einen Ort, nämlich die Stadthalle Mülheim. In den 1980er- und 90er-Jahren traten dort viele bekannte Indierockbands auf, heute finden da Messen, Plattenbörsen und Karnevalsveranstaltungen statt. Das ist ein holzvertäfelter Festsaal, der mich an eine Schulaula oder ein Kongresszentrum aus den 70er Jahren erinnert. Die Halle ist ein architektonisches Zeitdokument, das aber immer noch modern wirkt und deshalb spiegelt dieser Ort das Festival auf räumlicher Ebene auch sehr gut wider, wie ich finde.
Lechler: Das andere Festival in Köln, ich habe es schon gesagt, die c/o Pop: ist bekannt in Köln, schon auch gut und renommiert - wie würden sie es vergleichen?
Einmaliger Stand in der deutschen Festivallandschaft
Reil: Die c/o Pop ist viel größer und hat eine andere Ausrichtung. Sie ist aktueller und poppiger. Auf dem Week-End Festival spielen Bands, die nicht auf der c/o Pop spielen würden. Und man muss ganz einfach sagen über die letzten Jahre hat das Week-End immer so einzelne Juwelen gebracht - insbesondere interessante Frauen aus der Elektronik wie Holly Herndon oder Laurel Halo. Insofern ist das Week-End ziemlich einmalig als Festival in Deutschland, und die Macher sind Idealisten, die eben nicht kommerziell denken. Jan Lankisch vertritt in dieser Hinsicht mit dem Week-End ein sehr eigenes Selbstverständnis.
Jan Lankisch: "Wir wollten uns mehr als Musikfans und -liebhaber positionieren. Weniger als Branchenevent, wo man sich trifft, wo man sich austauscht, wie sieht das nächstes Jahr aus, mit diesem und jenem Marketingziel. Ich glaube, viele Festivals haben einen anderen Schwerpunkt, eine andere Orientierung. Wir haben versucht, unsere Nische zu finden und auszubauen. Ich glaube auch, wir haben uns nicht gefunden, sondern dass wir uns jedes Jahr neu erfinden."