Jürgen Liminski: Man hat sich fast schon daran gewöhnt: reiche Scheichs kaufen sich in deutsche Firmen ein, angefangen bei Daimler bis hin jetzt zur Galopprennbahn in Iffezheim, und bei Insidern macht ein neues Stichwort die Runde, erst recht seit die Finanzkrise manche Experten ratlos lässt. Es heißt "Islamic banking", also ein scharia-konformes Investment. Könnte "Islamic banking" ein Weg aus der Krise sein, einer von vielen wenigstens? Darüber im Kontext der Krise selbst wollen wir jetzt sprechen mit einem profunden Kenner der islamischen Welt, der ein Dutzend Bücher über den Islam geschrieben hat, der die islamische Welt als Investment-Banker bereist und jetzt ein Buch geschrieben hat über die Finanzkrise, "Der Absturz - Anatomie einer Systemkrise" heißt es. Es ist Hans-Peter Raddatz, ihn begrüße ich hier am Telefon. Guten Morgen, Herr Raddatz.
Hans-Peter Raddatz: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Raddatz, das Stichwort des "Islamic banking" taucht immer wieder auf. Sagen Sie uns doch bitte mal in drei Sätzen, was das ist.
Raddatz: Gut. Im Gegensatz zum normalen, uns geläufigen Kredit vergeben islamische Banken ihre Gelder an hauptsächlich, in aller Regel jedenfalls, gewerbliche und Handelsunternehmen im islamischen Raum auf der Basis von Beteiligungen. Das heißt, sie dürfen ja bekanntlich keine Zinsen nehmen. Stattdessen wird eine Beteiligung ausgeschüttet am Gewinn der Gesellschaft, die finanziert wird.
Liminski: Das hat ja mit der Religion wenig, oder gar nichts zu tun. Könnte man das vergleichen mit dem Kauf von Aktien?
Raddatz: Ja. Es ist durchaus eine Ähnlichkeit vorhanden, wobei ich vielleicht einflechten darf, dass die Religion insofern eine Rolle spielt, als die Muslime gehalten sind, ihr Vermögen, auch ihr Privatvermögen als Teil des Gemeinschaftsvermögens zu sehen. Sie sind also als gläubige Muslime zumindest gehalten, einen Teil ihres Vermögens auch der Gemeinschaft zugute kommen zu lassen.
Liminski: Was passiert denn, wenn der Gewinn ausbleibt? Wie wird der höhere Anteil am Eigentum bestimmt? Da ist ja doch viel Spekulation im Spiel. Um nicht zu sagen: fängt hier nicht der Basar an?
Raddatz: Der Basar, der fängt in der Tat dann an, wenn der Gewinn ausbleibt. Dann wird natürlich das Engagement Gegenstand neuer Verhandlungen und in aller Regel schlägt sich das so nieder, wenn die Beteiligungen nicht so ertragreich sind, wie man sich das vorgestellt hat, dass sie dann zunächst noch aufgestockt wird, um dem Kreditgeber die Möglichkeit zu geben, halt mehr Einfluss auf die Unternehmenspolitik auszuüben und über den Weg vielleicht die Rentabilität zu verbessern.
Liminski: Liegt es an diesem gewinnorientierten Engagement im Eigentum, wenn man das mal so definieren kann, dass die Scheichs und Potentaten durch die Krise weniger gebeutelt wurden als die Banken vorwiegend in Amerika, aber natürlich auch in Europa, die nur am Profit interessiert waren?
Raddatz: Der Muslime ist in aller Regel sehr risikobewusst und glaubt keineswegs an den Zufall. Sie wissen, ich habe das auch in meinem Krisenbuch ausführlich dargestellt, dass das offizielle Portfolio-Modell im Westen davon ausgeht, dass alle Börsenbewegungen zufallsbedingt sind. Davon geht der Muslime keineswegs aus, sondern er versucht, das Risiko dadurch zu begrenzen, dass er es ganz konkret beurteilt und sein Engagement entsprechend dimensioniert.
Liminski: Sicher ist, Herr Raddatz, dass der Geldbedarf kleinerer Betriebe, der von den heimischen Banken hier nicht gedeckt wird - Stichwort Kreditklemme -, von Kaufleuten aus dem Orient befriedigt werden könnte, die eben über genügend Kapital verfügen. Interessieren sich die Scheichs auch für kleine mittelständische Betriebe?
Raddatz: Jetzt in letzter Zeit immer mehr, insbesondere auch ausgelöst durch die Krise, die natürlich die Muslime nicht ganz unbehelligt gelassen hat, wenngleich ihre Verluste wesentlich kleiner ausgefallen sind als in Amerika und Europa. Aber gerade aufgrund der Krise hat sich im islamischen Bereich die Tendenz ausgebreitet, auch auf kleinere Unternehmen zuzugehen, um eben dieses nämliche Risiko mehr zu streuen als bisher. Das würde selbstverständlich die hier herrschende Finanzierungslücke helfen zu schließen.
Liminski: Herr Raddatz, konkret: Ist "Islamic banking" ein Weg aus der Krise insofern, als dieses System eine gewisse Selbstkontrolle beinhaltet und durch Eigentum mit der wirtschaftlichen Realität verbunden bleibt?
Raddatz: Es kann nicht der Weg, aber vielleicht ein Weg sein, insbesondere deswegen, weil, wie Sie eben mit dem Stichwort Selbstkontrolle gesagt haben, eine Lücke in unserem Banking jetzt deutlich geworden ist oder immer deutlicher wird, durch die Krise ganz besonders, nämlich die Unterfinanzierung der mittleren Industrie und des Gewerbes. Hier können die Muslime tatsächlich unser Bewusstsein für diese Lücke stärken, indem sie sich selbst dort stärker als je zuvor engagieren. Insofern sehe ich im "Islamic banking" eine sehr konkrete Möglichkeit, den etwas stagnierenden und auch höchst ideologisch belasteten Dialog aufzulockern und vernünftiger zu gestalten.
Liminski: Dazu kommen wir vielleicht gleich, aber vorher noch eine andere Frage. Ist "Islamic banking" in der Welt überhaupt weit verbreitet, zum Beispiel bei den sogenannten "emerging markets" in aufstrebenden Wirtschaftsmärkten und Wirtschaftsnationen?
Raddatz: Das kann man so nicht sagen, obwohl die Zuwachsraten des "Islam banking" ganz erheblich sind. Sie sollen zwischen 10 und 20 Prozent pro Anno liegen. Aber der Islam-Bereich insgesamt kann als "emerging market" insofern bezeichnet werden, als er nicht nur bekanntermaßen über Rohstoffe in Form von Öl und Gas verfügt, sondern insbesondere über massiv steigende Investment-Liquiditäten und natürlich - und das sollte überhaupt nicht vergessen werden - einen gewaltigen Konsummarkt mit über einer Milliarde Menschen.
Liminski: Sie gehören zu den Orient-Experten, Herr Raddatz, die eine gewisse Skepsis gegenüber dem Islam nicht verhehlen. Dennoch sind Sie, wenn ich unser Gespräch richtig interpretiere, ein Freund des "Islamic banking". Wie kommt das?
Raddatz: Das ist ganz sicher so. Das kommt vor allen Dingen deswegen, weil ich halt eine sehr breite und auch langfristige Erfahrung in der Region selbst habe und natürlich weiß - und wir wissen es alle im Prinzip -, dass der Wirtschaftsbereich eben wesentlich weniger ideologisch betrieben wird, als das im Kultursektor der Fall ist. Insofern kann dieser Kultursektor durch verstärkte Betonung der Wirtschaftskomponente entspannt werden und aus meiner Sicht in vernünftigere, das heißt also realistischere Bahnen gelenkt werden.
Liminski: Das heißt, "Islamic banking" wäre auch ein nützliches Element des berühmten euro-islamischen Dialogs?
Raddatz: Zweifellos ist das so und so weit ich orientiert bin, haben auch entsprechende Tendenzen begonnen, intensiver diskutiert zu werden. Insofern scheine ich durchaus gut beraten zu sein, an dieser neuen Facette des Dialogs teilzunehmen.
Liminski: "Islamic banking" ein Ausweg aus der Krise? Das war hier bei uns im Deutschlandfunk der Islam-Kenner und Autor der Krisenanalyse "Der Absturz - Anatomie einer Systemkrise", Hans-Peter Raddatz. Besten Dank für das Gespräch, Herr Raddatz.
Raddatz: Gerne!
Hans-Peter Raddatz: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Raddatz, das Stichwort des "Islamic banking" taucht immer wieder auf. Sagen Sie uns doch bitte mal in drei Sätzen, was das ist.
Raddatz: Gut. Im Gegensatz zum normalen, uns geläufigen Kredit vergeben islamische Banken ihre Gelder an hauptsächlich, in aller Regel jedenfalls, gewerbliche und Handelsunternehmen im islamischen Raum auf der Basis von Beteiligungen. Das heißt, sie dürfen ja bekanntlich keine Zinsen nehmen. Stattdessen wird eine Beteiligung ausgeschüttet am Gewinn der Gesellschaft, die finanziert wird.
Liminski: Das hat ja mit der Religion wenig, oder gar nichts zu tun. Könnte man das vergleichen mit dem Kauf von Aktien?
Raddatz: Ja. Es ist durchaus eine Ähnlichkeit vorhanden, wobei ich vielleicht einflechten darf, dass die Religion insofern eine Rolle spielt, als die Muslime gehalten sind, ihr Vermögen, auch ihr Privatvermögen als Teil des Gemeinschaftsvermögens zu sehen. Sie sind also als gläubige Muslime zumindest gehalten, einen Teil ihres Vermögens auch der Gemeinschaft zugute kommen zu lassen.
Liminski: Was passiert denn, wenn der Gewinn ausbleibt? Wie wird der höhere Anteil am Eigentum bestimmt? Da ist ja doch viel Spekulation im Spiel. Um nicht zu sagen: fängt hier nicht der Basar an?
Raddatz: Der Basar, der fängt in der Tat dann an, wenn der Gewinn ausbleibt. Dann wird natürlich das Engagement Gegenstand neuer Verhandlungen und in aller Regel schlägt sich das so nieder, wenn die Beteiligungen nicht so ertragreich sind, wie man sich das vorgestellt hat, dass sie dann zunächst noch aufgestockt wird, um dem Kreditgeber die Möglichkeit zu geben, halt mehr Einfluss auf die Unternehmenspolitik auszuüben und über den Weg vielleicht die Rentabilität zu verbessern.
Liminski: Liegt es an diesem gewinnorientierten Engagement im Eigentum, wenn man das mal so definieren kann, dass die Scheichs und Potentaten durch die Krise weniger gebeutelt wurden als die Banken vorwiegend in Amerika, aber natürlich auch in Europa, die nur am Profit interessiert waren?
Raddatz: Der Muslime ist in aller Regel sehr risikobewusst und glaubt keineswegs an den Zufall. Sie wissen, ich habe das auch in meinem Krisenbuch ausführlich dargestellt, dass das offizielle Portfolio-Modell im Westen davon ausgeht, dass alle Börsenbewegungen zufallsbedingt sind. Davon geht der Muslime keineswegs aus, sondern er versucht, das Risiko dadurch zu begrenzen, dass er es ganz konkret beurteilt und sein Engagement entsprechend dimensioniert.
Liminski: Sicher ist, Herr Raddatz, dass der Geldbedarf kleinerer Betriebe, der von den heimischen Banken hier nicht gedeckt wird - Stichwort Kreditklemme -, von Kaufleuten aus dem Orient befriedigt werden könnte, die eben über genügend Kapital verfügen. Interessieren sich die Scheichs auch für kleine mittelständische Betriebe?
Raddatz: Jetzt in letzter Zeit immer mehr, insbesondere auch ausgelöst durch die Krise, die natürlich die Muslime nicht ganz unbehelligt gelassen hat, wenngleich ihre Verluste wesentlich kleiner ausgefallen sind als in Amerika und Europa. Aber gerade aufgrund der Krise hat sich im islamischen Bereich die Tendenz ausgebreitet, auch auf kleinere Unternehmen zuzugehen, um eben dieses nämliche Risiko mehr zu streuen als bisher. Das würde selbstverständlich die hier herrschende Finanzierungslücke helfen zu schließen.
Liminski: Herr Raddatz, konkret: Ist "Islamic banking" ein Weg aus der Krise insofern, als dieses System eine gewisse Selbstkontrolle beinhaltet und durch Eigentum mit der wirtschaftlichen Realität verbunden bleibt?
Raddatz: Es kann nicht der Weg, aber vielleicht ein Weg sein, insbesondere deswegen, weil, wie Sie eben mit dem Stichwort Selbstkontrolle gesagt haben, eine Lücke in unserem Banking jetzt deutlich geworden ist oder immer deutlicher wird, durch die Krise ganz besonders, nämlich die Unterfinanzierung der mittleren Industrie und des Gewerbes. Hier können die Muslime tatsächlich unser Bewusstsein für diese Lücke stärken, indem sie sich selbst dort stärker als je zuvor engagieren. Insofern sehe ich im "Islamic banking" eine sehr konkrete Möglichkeit, den etwas stagnierenden und auch höchst ideologisch belasteten Dialog aufzulockern und vernünftiger zu gestalten.
Liminski: Dazu kommen wir vielleicht gleich, aber vorher noch eine andere Frage. Ist "Islamic banking" in der Welt überhaupt weit verbreitet, zum Beispiel bei den sogenannten "emerging markets" in aufstrebenden Wirtschaftsmärkten und Wirtschaftsnationen?
Raddatz: Das kann man so nicht sagen, obwohl die Zuwachsraten des "Islam banking" ganz erheblich sind. Sie sollen zwischen 10 und 20 Prozent pro Anno liegen. Aber der Islam-Bereich insgesamt kann als "emerging market" insofern bezeichnet werden, als er nicht nur bekanntermaßen über Rohstoffe in Form von Öl und Gas verfügt, sondern insbesondere über massiv steigende Investment-Liquiditäten und natürlich - und das sollte überhaupt nicht vergessen werden - einen gewaltigen Konsummarkt mit über einer Milliarde Menschen.
Liminski: Sie gehören zu den Orient-Experten, Herr Raddatz, die eine gewisse Skepsis gegenüber dem Islam nicht verhehlen. Dennoch sind Sie, wenn ich unser Gespräch richtig interpretiere, ein Freund des "Islamic banking". Wie kommt das?
Raddatz: Das ist ganz sicher so. Das kommt vor allen Dingen deswegen, weil ich halt eine sehr breite und auch langfristige Erfahrung in der Region selbst habe und natürlich weiß - und wir wissen es alle im Prinzip -, dass der Wirtschaftsbereich eben wesentlich weniger ideologisch betrieben wird, als das im Kultursektor der Fall ist. Insofern kann dieser Kultursektor durch verstärkte Betonung der Wirtschaftskomponente entspannt werden und aus meiner Sicht in vernünftigere, das heißt also realistischere Bahnen gelenkt werden.
Liminski: Das heißt, "Islamic banking" wäre auch ein nützliches Element des berühmten euro-islamischen Dialogs?
Raddatz: Zweifellos ist das so und so weit ich orientiert bin, haben auch entsprechende Tendenzen begonnen, intensiver diskutiert zu werden. Insofern scheine ich durchaus gut beraten zu sein, an dieser neuen Facette des Dialogs teilzunehmen.
Liminski: "Islamic banking" ein Ausweg aus der Krise? Das war hier bei uns im Deutschlandfunk der Islam-Kenner und Autor der Krisenanalyse "Der Absturz - Anatomie einer Systemkrise", Hans-Peter Raddatz. Besten Dank für das Gespräch, Herr Raddatz.
Raddatz: Gerne!