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Das Wunder von Helsinki (3/5)
Die finnische Sauna-Diplomatie

Zur Durchsetzung seiner Ziele bediente sich der finnische Präsident Uhro Kekkonen zuweilen ebenso unkonventioneller wie typisch finnischer Methoden: Er nahm seine Verhandlungspartner wortwörtlich in den Schwitzkasten.

Von Jenni Roth | 25.07.2018
    Einige Männer verlassen in Estland eine Sauna, die nach dem finnischen Präsidenten Kekkonen benannt ist.
    Der finnische Präsident saunierte seine Gesprächspartner in Grund und Boden. Das hat Spuren hinterlassen: Sogar in Estland wurde eine Sauna nach ihm benannt. (imago stock&people)
    Paula Kärjä: "Kekkonen kam zu uns nach Kalajoki und wir wussten, dass er in die Sauna gehen würde. Meine Freundin und ich wollten unbedingt hin und ihn nackt sehen."
    Einmal im Leben den Präsidenten nackt sehen – gar nicht so schwierig. Zumindest nicht in Finnland, anno 1962. Paula Kärjä war damals acht Jahre alt, sie strampelt mit einer Freundin auf einem viel zu großen Fahrrad zum Strand in Kalajoki an der Nordwestküste, so dicht wie möglich ran an den Saunasteg:
    "Wir hatten Glück: Wir standen direkt daneben, als er aus der Sauna kam. Zu der Zeit hatte er keine Sicherheitsleute oder so. Er hat wahrscheinlich gemerkt, dass wir da sind, aber ach, er ist einfach schwimmen gegangen."
    Sauna als Treffpunkt für Diplomaten und Geschäftsleute
    Urho Kekkonen war ziemlich hitzefest. Schließlich wurde er in der Sauna geboren – wie noch zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs üblich. Die Sauna begleitete die Finnen vom Anfang bis zum Ende: Am wärmsten, saubersten Platz im Haus wurden Kinder geboren und auch die letzte Waschung vorgenommen. Heute ist Finnland ein hochtechnologisiertes Land, aber die Sauna immer noch so etwas wie die Seele des Landes.
    Ein prominentes Aushängeschild für die Saunakultur ist dabei der Saunaclub "Saunaseura" am Rand von Helsinki – ein beliebter Treffpunkt für Diplomaten und Geschäftsleute. Schließlich gehören Saunabesuche von Geschäftspartnern in Finnland zur Businessetikette.
    Seppo Pukkila: "Die Leute kommen aus China, Japan, USA. Und die sitzen dann hier auf dem Saunaplatz und zuerst haben die Riesenangst: Was ist das? In manchen Kulturen ist es nicht so, dass zwei Männer nackt, ohne Kleidung sitzt zusammen und reden. Aber hier in Finnland ist das so Jeden-Tag-Kultur und die Finnen mit ihren blauen Augen sagen, ja, so machen wir das in Finnland! Ich hab hier den Hauptdirektor gehabt von der Mitsubishi Group. Ich fragte den Mann, möchtest – möchten Sie, natürlich, mit der finnischen oder internationalen Methode? – Ja, hai, Finnisch! – Ok! Mein Name ist Seppo. Du bist… (lacht) – Man duzt hier. Und ohne Kleidung hast du keine Marke, wie hoch Chef du bist."
    Clubleiter Seppo Pukkila hat hier schon mit so illustren Gästen wie Prinz Charles oder George Bush Senior geschwitzt. Sie kommen her, um die finnische Saunakultur kennenlernen. Die Savu- oder Rauchsauna zum Beispiel, in der ein offener Holzofen ohne Schornstein den Raum heizt: Der Rauch zieht durch die Sauna und entweicht durch Tür- und Fensterritzen. Eine derart heiße Sauna habe auch Urho Kekkonen immer favorisiert – zum Schrecken seiner russischen Verhandlungspartner:
    Seppo Pukkila: "Wenn der Russe sagt nönönönö, der Kekkonen wirft Wasser mehr und mehr, und heizt, 110, 120, der Russe war nicht gewöhnt mit diesem, der war ein richtiger Saunamann, der warf Wasser und so, Temperatur 120, und dann nochmal fünf Liter Wasser auf die heißen Steine – und der Russe sagt jaja, da da, okay, wir machen's so. Finnische Kultur, und politische Entscheidungen werden in Sauna gemacht…"
    Arto Luukkanen sitztin einem Lesesaal der Universität Helsinki
    Arto Luukkanen kennt die Bedeutung der Saunadiplomatie in der finnischen Politik aus jahrelanger Forschung (Deutschlandradio / Jenni Roth)
    Kekkonen – König der Sauna-Diplomaten
    Kekkonen galt als König der Sauna-Diplomatie. Regelmäßig saunierte er seine Gesprächspartner in Grund und Boden. 1960 traf es Sowjetführer Nikita Chruschtschow, der mit einem "Nein" zum Beitritt Finnlands in die Europäische Freihandelsassoziation nach Helsinki gereist war. Wieder und wieder schüttete Kekkonen zischendes Wasser nach. Als er Chruschtschow im Morgengrauen aus seinem Schwitzkasten entließ, hatte er dessen "Ja". Auch 1978 gewann er einen "Saunawettstreit", diesmal mit Verteidigungsminister Ustinow, der ihn zu gemeinsamen Militärübungen drängen wollte.
    Arto Luukkanen: "Er meinte dann: So, jetzt gehen wir raus. Sagte nicht direkt 'njet'. Aber nach dreimal Vorschlagen hat man dann verstanden, Kekkonen will das nicht. Das ist eine Gabe, die Sache so zu regeln. In der russischen Kultur kann man nicht sagen, geht nicht. In so einer Situation muss man ein paar Runden drehen. Das ist die finnische Art, ich glaube, vielen europäischen Anführern würde das gut tun. Was die Sauna macht: Sie bringt Menschen zusammen. Wenn Leute ihre Kleider ausziehen, ist klar, wir sind alle gleich. Und dann ist es leichter, zu einem normalen guten Ergebnis zu kommen."
    Arto Luukkanen kennt die Bedeutung der Saunadiplomatie in der finnischen Politik aus jahrelanger Forschung fast so gut wie Ex-Botschafter René Nyberg aus Erfahrung:
    "Die Idee, dass man jemanden in die Sauna einlädt, das macht man nicht in Paris. Ich hatte eine Sauna in der Residenz in Berlin, aber ich hab sie nicht benutzt. Aber in Moskau hab ich sie benutzt. Als das finnische Außenministerium in neue Räumlichkeiten zog, hat man eine Sauna gebaut."
    Bis heute spielt die Sauna-Diplomatie eine wichtige Rolle in der finnischen Politik. Der Haken: In der Geschichte war die Saunadiplomatie immer Männersache, Frauen mussten in der gleichgeschlechtlichen finnischen Sauna draußen bleiben. Immerhin: Putin fand eine Notlösung, als noch eine Frau Finnland regierte: Er ging zwar nicht mit Tarja Halonen in die Sauna – dafür aber mit ihrem Mann.