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Das zweite Kanzlerduell

Capellan: Entspannt hat er gestern Abend im Pressezentrum in Berlin-Adlershof in einem großen Klubsessel gesessen und genüsslich an seinem Zigarillo gezogen: Franz Müntefering, der Generalsekretär der SPD. Er war zufrieden mit dem Auftritt seines Kanzlers beim TV-Duell. So zufrieden, dass er zu früher Stunde mit uns darüber reden möchte. Guten Morgen, Herr Müntefering.

    Müntefering: Morgen, Herr Capellan.

    Capellan: Herr Müntefering, das ist ja immer ganz amüsant zu verfolgen, wie unterschiedlich Sie und Ihr CDU-Kollege Laurenz Meyer solche Auftritte bewerten. 'Die Grenzen Stoibers sind erkennbar geworden', das haben Sie gesagt. Laurenz Meyer meinte dagegen, Stoiber habe die besseren Argumente auf seine Seite gehabt, Schröder sei in die Defensive geraten und das habe man ja daran sehen können, so Meyer, dass der Kanzler viel aggressiver gewesen sei als beim ersten mal. Da hat er eigentlich recht, oder?

    Müntefering: Na ja, es geht ja bei der Bewertung nicht so sehr darum, wie wir es kommentieren, sondern wie es die Menschen empfinden, die die beiden gestern im Wohnzimmer hatten auf der Mattscheibe und da bin ich ganz gelassen. Die Menschen haben da schon ein Gefühl dafür und bilden sich auch ihre eigene Meinung. Dass wir anschließend unsere Kommentierung dazu geben, gehört dazu. Aber ich lege großen Wert darauf: die Menschen entscheiden das sehr autark, für sich, wer denn eigentlich wie gewirkt hat, und die Ergebnisse, die wir dann gestern abend noch aus den Umfragen hatten, waren dann auch entsprechend.

    Capellan: Dass es ein wenig schärfer zugegangen ist, fanden Sie ok?

    Müntefering: Ja, es war lebendiger. Ich habe auch gar keine Kritik an dem ersten Duell, aber man hat sich sicher in die Regeln einüben müssen und das ist gestern abend doch mehr zu einem Gespräch geworden. Das war gut so.

    Capellan: Breiten Raum hat ja die aktuelle Diskussion über die richtige Irak-Politik eingenommen ohne wenn und aber: mit dieser Regierung wird es keine deutsche Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak geben. Haben wir den Kanzler da richtig verstanden?

    Müntefering: Ja, genau richtig, ja.

    Capellan: Und warum ist dann von der SPD auf anderen Seiten anderes zu hören?

    Müntefering: Das ist ja gestern abend auch schon von Herrn Stoiber rückgefragt worden. Aber es ging gestern darum, was die beiden, die Kanzler sind beziehungsweise werden möchten, für ihre Politik vorsehen, was sie wollen und versuchen durchzusetzen. Und da hat Herr Schröder eine eindeutige Position eingenommen gestern. Wir sind eine große Partei und dass der ein oder andere auch mal etwas anderes dazu sagt, kann schon sein, aber entscheidend ist, was der Bundeskanzler in Abstimmung mit dem Präsidium der Partei im Übrigen zu dieser Position gesagt hat, das heißt eindeutig: wir stehen für ein Kriegsabenteuer im Irak nicht zur Verfügung.

    Capellan: Also auch wenn es darum gehen sollte, ein UN-Mandat, die Rückkehr der Waffeninspekteure mit Waffengewalt durchzusetzen, werden sich die Deutschen nicht beteiligen?

    Müntefering: So ist das, ja.

    Capellan: Also hat Gernot Erler, Ihr Außenpolitiker, den Kanzler da etwas anders, falsch interpretiert?

    Müntefering: Da müssen Sie mit dem Erler darüber sprechen. Mit dem habe ich gestern gesprochen, der sieht sich da schlecht zitiert gestern in der Sonntagspresse; aber unabhängig davon: er entscheidet das auch nicht und er hat gestern noch mal deutlich gemacht, dass er in voller Übereinstimmung ist mit dem, was der Kanzler dazu gesagt hat. Gerhard Schröder hat ja deutlich gemacht:, da hat es eine Veränderung in der Zielsetzung in den USA gegeben. Wir wissen, dass der Nahe Osten ein Pulverfass ist, und wir wollen verhindern, dass dort ein Krieg vorbereitet wird, und Gerhard Schröder hat deutlich gemacht, was die Position Deutschlands ist, die wir im Übrigen zusammen mit vielen europäischen Ländern teilen.

    Capellan: Na ja, es gibt aber auch andere. Die Franzosen - Jacques Chirac hat am Wochenende schon gesagt, nach seinem Treffen mit Schröder, wenn es ein UN-Mandat geben sollte, dann sähe die Sache anders aus, dann werde man sich auch beteiligen.

    Müntefering: Es kommt aber darauf an, dass in solchen Situationen die Spitzenpolitiker, in diesem Falle der Bundeskanzler, eine eigene Meinung hat und sie auch deutlich macht und nicht wie Herr Stoiber, dass man zehn Tage im bayerischen Wald braucht, um sich eine eigene Meinung zu machen und dann immer noch unklar bleibt, auch im Vergleich zu dem, was sein Kompetenzteam-Mann Schäuble dazu meint.

    Capellan: Können sich denn die Deutschen einen Sonderweg erlauben? Führt das nicht zur Isolation in Europa?

    Müntefering: Es ist kein deutscher Sonderweg, sondern eine Position, eine Meinung, für die wir auch an anderer Stelle werben, und natürlich bleiben wir im Balkan und in Afghanistan weiter engagiert, Es ist ja nicht so, als ob wir uns aus der Mitverantwortung herausdrücken, aber jedes Mal muss doch die Sinnhaftigkeit von bestimmten Unternehmungen neu bewertet werden und vor allen Dingen die Art und Weise, wie solche Unternehmungen vorbereitet werden und wie darüber politisch debattiert wird. Und da muss man sich schon einmischen.

    Capellan: Noch einmal, Herr Müntefering: Die Franzosen, Briten und Niederländer sagen, wenn es ein UN-Mandat gibt gegen Saddam Hussein, das gewaltsam durchgesetzt werden muss, dann werden sich diese Staaten daran beteiligen. Also ist es doch ein Sonderweg der Deutschen, oder?

    Müntefering: Herr Cappelan, das habe ich ein bisschen anders verstanden. Die Franzosen haben gesagt, sie warten zunächst mal ab, wie das läuft und dann wird man entscheiden.

    Capellan: Aber Sie wollen nicht mal abwarten.

    Müntefering: Das ist klar. Der Bundeskanzler hat das so deutlich gesagt und das gilt auch so.

    Capellan: Also er legt sich jetzt schon fest, bevor sich der amerikanische Präsident überhaupt festgelegt hat?

    Müntefering: So ist das, ja.

    Capellan: Und was ist von den Äußerungen von Verteidigungsminister Peter Struck zu halten, der gesagt hat, wenn sich herausstellen sollte, dass Saddam Hussein Terroristen unterstützt, dann sehe alles ganz anders aus?

    Müntefering: Wir haben gestern abend die beiden Kanzlerkandidaten gehört, den Kanzler und den, der es werden will, und sie haben deutlich gemacht, wie sie mit einer solchen Thematik umgehen und der Bundeskanzler hat in Kenntnis der internationalen Debatte und der Zusammenhänge deutlich gemacht, dass er es nicht für verantwortlich hält, jetzt über Krieg zu sprechen und es nicht für verantwortlich hält, Deutschland in einen solchen Krieg im Irak zu führen und deshalb seine klare, nüchterne, verantwortungsvolle Position. Er sagt Deutschland wird sich unter ihm als Kanzler daran nicht beteiligen.

    Capellan: Nochmal nachgefragt: die Amerikaner haben gesagt, sie würden Beweise vorlegen können, dass Saddam Hussein Kontakte zu internationalen Terrororganisationen hat. Sollte das so sein, sieht es dann anders aus?

    Müntefering: Das ist jetzt zweimal 'wenn'. Ich habe Ihnen das aber auch schon zweimal gesagt: der Bundeskanzler hat seine eigene Position für Deutschland deutlich gemacht in Übereinstimmung mit dem Präsidium der Partei. Wir haben darüber lange und ausführlich diskutiert und wir sind ganz sicher, dass es für alle in diesem Zusammenhang zu überdenkenden und zu berücksichtigenden Punkte sinnvoll ist, klare Positionen zu machen und das ist die, die ich Ihnen eben beschrieben habe.

    Capellan: Stoiber hat Schröder gestern abend vorgeworfen, der deutsche Bundeskanzler rede nicht mit George Bush. Tut er das wirklich nicht?

    Müntefering: Ich nehme nicht an, dass Herr Stoiber alles weiß, was es an Kontakten zwischen den Regierungen gibt und der Bundeskanzler hat ja noch mal deutlich gemacht: Amerika ist eine befreundete Nation. Wir sind mit Amerika ganz besonders befreundet, das soll und wird auch so bleiben. Es gibt vielerlei Kontakte, aber es kann auch unter Freunden Situationen geben, wo man gerade, wenn es sehr brisante Situationen sind, unterschiedliche Positionen hat und die muss man dann auch offen ansprechen dürfen, ohne dass die Freundschaft belastet wird. Da gibt es schon Kontakte, natürlich.

    Capellan: Darf man da so weit gehen wie Ludwig Stiegler, der SPD-Fraktionschef, der am Wochenende ja sagte, Deutschland sei die Verfügungsmasse der Amerikaner?

    Müntefering: Gut, darf man so weit gehen wie Schäuble, der ja ziemlich klar gesagt hat, dass er glaubt, dass man unvermeidlicherweise sich an so etwas beteiligen muss? Nochmal: es ging gestern um die Kanzlerkandidaten. Das Duell, das waren die beiden, die da standen, und das sind die Gerhard Schröder oder Stoiber, die dieses Land regieren werden und deshalb kommt es auf die an und das, was die gestern gesagt haben. Das ist deren Politik.

    Capellan: Vielleicht, Herr Müntefering, müssen die beiden ja auch zusammen regieren. Es könnte sich ja eine Konstellation entwickeln, dass man an einer großen Koalition nicht vorbeikommt. Davon scheint Schröder nicht so ganz begeistert zu sein, oder?

    Müntefering: Das habe ich gestern anders gesehen. Ich habe gesehen, dass Herr Stoiber das definitiv ausgeschlossen hat und dass Gerhard Schröder klargemacht hat: eine Regierung Schröder-Fischer, das ist innenpolitisch sozialer und außenpolitisch stabiler als eine Regierung Stoiber-Westerwelle.

    Capellan: Aber eine Regierung Schröder-Stoiber wäre mit Gerhard Schröder auch möglich?

    Müntefering: Gerhard Schröder hat ja gestern gesagt, es gibt theoretisch auch alle anderen Möglichkeiten. Man kann ja nach einer Wahl den Menschen nicht sagen: Ihr habt falsch gewählt, wie müssen noch mal wählen. Er hat definitiv ausgeschlossen, in irgendeiner Weise ein Zusammenwirken mit der PDS auf Bundesebene, das gilt. Aber es kommt auch darauf an, was man den Menschen sagt, was man fortsetzen möchte. Und das ist die Koalition von Gerhard Schröder mit Joschka Fischer.

    Capellan: Kurze Frage noch: wie sieht es aus mit der FDP? Westerwelle hat gestern gesagt 'wir kämpfen dafür, dass liberale Politik eine Politikwechsel in Deutschland durchsetzen kann'. Sie wollen ja im Grunde keinen Politikwechsel. Also fällt die FDP als Partner weg?

    Müntefering: Jedenfalls ist sie nicht unsere Priorität. Sie ist eine theoretische Möglichkeit, wie die Konstellation, die Sie eben angesprochen haben, auch. Im übrigen, was Liberalität angeht, da müssen sich die Sozialdemokraten nicht verstecken. Wir hatten die Freiheit und die Liberalität immer in unserem Markenzeichen drin und da haben Willy Brandt und jetzt Gerhard Schröder als Kanzler und Parteivorsitzende deutlich gemacht, wie sie darüber denken. Und deshalb brauchen wir nicht die FDP für Liberalität.

    Capellan: SPD-Generalsekretär Franz Müntefering heute morgen im Deutschlandfunk, ich danke Ihnen, auf Wiederhören.

    Müntefering: Ja bitteschön, Herr Capellan.

    Link: Interview als RealAudio