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Datenschützerin: Liebesgeflüster geht den Staat nichts an

Die nordrhein-westfälische Datenschutzbeauftragte Bettina Sokol hat den Gesetzgeber aufgerufen, bei einer rechtlichen Regelung für Online-Durchsuchungen den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu schützen. Intime Dinge wie Liebesbriefe oder Gesundheitsdaten gingen auch eine Strafermittlungsbehörde nichts an, sagte Sokol. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes zu Online-Durchsuchungen hatte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Gesetzesinitiative angekündigt.

Moderation: Stefan Heinlein | 05.02.2007
    Stefan Heinlein: Wolfgang Schäuble ist ernsthaft besorgt. Deutschland stehe im Fokus des internationalen Terrors. Die Bedrohung sei ernst. Schon bald könne es zu Anschlägen kommen, so der Bundesinnenminister heute in einem Zeitungsinterview. Das Internet sei Fern-Uni und Trainingscamp der Terroristen, so seine Warnungen schon vor Wochen. Das heimliche Ausspähen von Computern und Festplatten möglicher Verdächtiger ist deshalb seit langem ein Wunsch der Fahnder. Der Staat als Hacker, dieser Plan aber ist vorerst fehlgeschlagen: ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes mit Folgen.

    Und über das Urteil des Bundesgerichtshofes zur Online-Überwachung wollen wir jetzt sprechen mit der Datenschutzbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen, Bettina Sokol. Guten Tag, Frau Sokol!

    Bettina Sokol: Guten Tag, Herr Heinlein!

    Heinlein: Der Computer bleibt also vorerst Privatsache. Ist das ein Erfolg für Sie als Datenschützer? Sind Sie zufrieden mit den Karlsruher Richtern?

    Sokol: Ich muss gestehen, ich kenne bisher erst die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofes. Ich bin aber sehr froh - jedenfalls nach den Informationen, die aus der Pressemitteilung hervorgehen -, dass der Bundesgerichtshof sagt, dass es so nicht einfach ohne eine Rechtsgrundlage, eine Spezialgrundlage strafprozessual eine Online-Durchsuchung heimlicher Natur geben darf.

    Heinlein: Sie sind also nicht grundsätzlich gegen die Online-Fahndung? Nur das Heimliche stört Sie?

    Sokol: Ich habe schon meine Schwierigkeiten mit der Online-Fahndung, der heimlichen. Eine normale, offene Durchsuchung ist natürlich in der Strafprozessordnung geregelt. Es gab auch schon vorher die Möglichkeit, Computer zu beschlagnahmen. Aber eine heimliche Durchsuchung ist eine ganz andere Qualität und bisher eben in der Strafprozessordnung auch noch nicht geregelt. Ich würde auch nicht dafür plädieren, eine solche Regelung einzuführen, aber ich fürchte, sie wird kommen.

    Heinlein: Nun kann man sagen, es sieht so aus, als ob der Datenschutz wichtiger ist als der Schutz vor terroristischen Bedrohungen?

    Sokol: Das kann ich der Pressemitteilung des BGH nicht entnehmen.

    Heinlein: Aber durch dieses Urteil können ja Kriminelle und Terroristen sich auch in Zukunft ungestört im virtuellen Raum bewegen, weil der Staat nicht mitlesen kann?

    Sokol: Nein, das ist ganz etwas anderes. Wir befinden uns im Strafprozess, und das heißt, es soll aufgeklärt werden, wer eine bestimmte Tat begangen hat. Dafür gibt es die herkömmlichen Instrumentarien in der Strafprozessordnung, etwa dass ich mir eine richterliche Anordnung besorge, einen Durchsuchungsbeschluss, in eine Wohnung gehe, wenn die Voraussetzungen vorliegen, offen dort suche, ob ich bestimmte Beweismittel finde, um Täter zu überführen. Da kann ich natürlich auch einen Computer durchsuchen, genauso wie ich eben die gesamte Wohnung durchsuchen kann. Ich brauche dafür nur die richterliche Anordnung und das Vorliegen der strafprozessualen Voraussetzungen. Ich kann ja auch Personen durchsuchen. Wenn ich allerdings heimlich vorgehen will, ist das bisher von der Strafprozessordnung nicht gedeckt, und ich habe auch meine grundsätzlichen Probleme damit.

    Heinlein: Aber Wolfgang Schäuble, der Innenminister, fordert ja nun neue Regelungen als Konsequenz aus diesem Urteil. Wie müssten denn diese Regelungen aussehen, damit auch Sie als Datenschützer damit leben könnten?

    Sokol: Das ist in den letzten Jahren ja vielfach der Fall gewesen, dass dann, wenn Gerichte rechtstaatliche Grundsätze hochgehalten haben und gesagt haben, das geht so nicht, die Politik sofort sagt wir wollen dieses Mittel aber haben und eine Rechtsgrundlage erarbeitet. Es müsste hier nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wenn eine solche Regelung geschaffen würde, sicherlich Vorkehrungen geben, ähnlich wie beim Großen Lauschangriff, die sicherstellen, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt ist. Wenn also bei einer heimlichen Online-Kommunikationsausspähung auf intime Daten gestoßen wird, also etwa auf Liebesbriefe oder auf Gesundheitsdaten, auf alle möglichen Dinge, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen, dann muss Schluss sein. Dann muss auch eine Strafermittlungsbehörde sich raushalten, genauso wie sie das beim Großen Lauschangriff tun muss. Wenn es um Liebesgeflüster geht, dann müssen sie abschalten, und so müssten sie ähnlich auch bei Computerdurchsuchungen oder beim Abhören beziehungsweise Mitlauschen eines Online-Verkehrs abschalten.

    Heinlein: Aber ist das, Frau Sokol, was Sie sagen, noch zeitgemäß, wenn man weiß, dass Terroristen ganz aktiv das Internet und Computer nutzen, um Anschläge auch hier in Deutschland vorzubereiten, zu planen und auch durchzuführen?

    Sokol: Ich sage ja gerade, ich befürchte und vermute, dass sofort eine solche Regelung geschaffen wird. Sie hatten mich eben danach gefragt, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen denn dann eingehalten werden müssten. Das habe ich versucht zu beantworten.

    Heinlein: Also Sie haben Angst, dass der Staat allzu leichtfertig online Bürger durchsucht auf einen vagen Verdacht hin, der gläserne Bürger, die Angst?

    Sokol: Das habe ich auch nicht gesagt, sondern ich habe gesagt, wir sind im Strafprozess nach der Entscheidung des BGH. Und für den Strafprozess muss es bestimmte rechtstaatliche Regelungen geben. Es wird abzuwarten sein, ob diese rechtstaatlichen Regelungen geschaffen werden oder nicht.

    Heinlein: Aber geht es nur um Strafprozesse? Es geht ja auch um Fahndungen etwa bei Verdacht von Terror.

    Sokol: Das müssen Sie unterscheiden. Es gibt einmal die strafrechtlichen Ermittlungen, wenn eine Tat begangen ist und aufgeklärt werden soll und der Täter gefasst werden soll. Dafür hat der Bundesgerichtshof heute entschieden, bedarf es, wenn überhaupt, bei einer heimlichen Online-Ausspionierung einer speziellen Rechtsgrundlage in der Strafprozessordnung. Die ist bisher nicht vorhanden, so dass strafprozessual im Moment das nicht zulässig ist. Das finde ich auch in Ordnung, und es ist einfach unsere Rechtslage.

    Vergleichbares gibt es etwa seit jüngster Zeit in unserem Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalens. Da hat der Landesgesetzgeber eine Norm geschaffen, nach der eben der Verfassungsschutz unter bestimmten Voraussetzungen auch heimlich beobachten und sonstwie das Internet aufklären darf, eben sich auch mit Hilfe von technischen Mitteln auf Festplatten umschauen kann, die in privaten Wohnungen stehen. So sie denn gerade online sind und damit Artikel 10 berührt ist, müssen die Voraussetzungen des G10-Gesetzes vorliegen, und auch wenn die Maßnahmen als solche, wovon ich eigentlich immer ausgehen würde, ihrer Art und Schwere nach einem Eingriff wie in Artikel 10 gleichkommt, dann ist auch das nur unter den Voraussetzungen des G10-Gesetzes möglich.

    Heinlein: Frau Sokol, sind diese Regelungen, die Sie gerade beschrieben haben, in Nordrhein-Westfalen jetzt noch zu halten nach dem Urteil von heute?

    Sokol: Das käme darauf an. Ich müsste natürlich jetzt das Urteil oder den Beschluss erst einmal in Gänze lesen können. Aber auf jeden Fall ist bereits im Gesetzgebungsverfahren nicht nur von mir kritisiert worden, dass Regelungen zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung, die meiner Auffassung nach nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zwingend erforderlich sind, ebenso wie beim Großen Lauschangriff und bei der Telefonüberwachung, auch hier noch einzubauen wären, so dass ich fürchte, dass die Regelung so, wie sie im Moment existiert, unzureichend ist.

    Heinlein: Die Datenschutzbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Bettina Sokol, heute Mittag hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Sokol: Vielen Dank und Tschüss.