Nach wochenlangem Ringen hat die Bundesregierung den Weg freigemacht für eine deutsche Anti-Corona-App. Bislang hatte sich Deutschland für eine Lösung mit zentralem Server ausgesprochen. Jetzt folgte die Kehrtwende zu dezentraler Speicherung. Der Rechts- und Datenschutzexperte Ulf Buermeyer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte sieht in dieser Entscheidung einen kleinen Vorteil für die Nutzer.
Jörg Münchenberg: Nun steht die politische Einigung für eine Corona-App mit dezentraler Speicherung. Ist das aber nach dem vorherigen Streit eine gute Lösung?
Ulf Buermeyer: Ich denke, man muss festhalten, dass eine solche App auf jeden Fall aus der Perspektive der Privatsphäre kleine Vorteile bietet. Ich habe die Gefahren bei einer zentralen Speicherung auch eher für theoretisch gehalten. Aber jedenfalls sind auch diese theoretischen Gefahren damit vom Tisch und das würde ich als einen Vorteil sehen.
Kritisch kann man das möglicherweise aus der Perspektive der Bekämpfung der Corona-Epidemie sehen. Ich bin dafür wiederum kein Experte. Aber es gibt schon ernst zu nehmende Stimmen, dass eine dezentrale App deutlich weniger effizient sein wird beim Tracing von möglichen Kontakten.
Münchenberg: Der Chaos-Computerclub hat das ganz anders gesehen. Der hat eine zentrale Speicherung aus Datenschutzgründen abgelehnt. Da sagen Sie, das war letztlich übertrieben?
Buermeyer: Ich würde sagen, es gab da ein theoretisches Szenario, dass Profile hätten gebildet werden können oder insbesondere sogenannte Social Graves, dass man hätte nachvollziehen können, welche Menschen miteinander in Kontakt standen. Das ist im Kontext der Vorratsdatenspeicherung in der Tat ein großes Problem und deswegen habe ich persönlich auch die Vorratsdatenspeicherung immer sehr kritisch gesehen. Im Bereich des Corona-Tracings allerdings liegen die Dinge tatsächlich sehr anders.
Deswegen hätte ich diese Gefahr nicht als so gravierend angesehen. Meine persönliche Auffassung war, dass beide Systeme Vor- und Nachteile haben und dass wegen der wohl besseren Wirksamkeit eines zentralen Systems bei der Corona-Bekämpfung unter dem Strich ein solches System aus meiner Sicht vorzugswürdig gewesen wäre. Aber man muss klar sehen: Die beiden IT-Konzerne Google und Apple, die die Mehrzahl der Smartphones mit ihren Betriebssystemen ausstatten, haben sich klar für eine dezentrale Lösung entschieden, und damit haben sie letztlich auch der deutschen Bundesregierung den Weg gewiesen.
"Nicht mehr in einer demokratischen Entscheidungsfindung"
Münchenberg: Das ist ein interessanter Punkt. Google und Apple, haben Sie gesagt, beide favorisieren die dezentrale Lösung, und es heißt, dass die Regierung hauptsächlich deswegen umgeschwenkt sei. Geben die US-Hightech-Riesen jetzt hier politisch auch die Richtung vor?
Buermeyer: Ja, das ist aus meiner Sicht das zentrale Problem, dass wir uns hier nicht mehr in einer demokratischen Entscheidungsfindung befinden, nicht die demokratisch legitimierte Bundesregierung entscheidet, ob wir es mit einer zentralen App zu tun haben oder mit einer dezentralen, sondern amerikanische IT-Konzerne. In diesem Fall, glaube ich, ist das nicht so gravierend, weil beide Modelle Vor- und Nachteile haben, aber abstrakt von diesem Einzelfall kann man sich schon die Frage stellen, ob das denn tatsächlich die Instanzen sind, die solche Entscheidungen treffen sollten.
Münchenberg: Aber ist das nicht auch ein bisschen absurd, dass jetzt ausgerechnet der Ansatz von der Politik unterstützt wird, den Google und Apple wollen – zwei US-Konzerne, die ja nicht gerade als Vorreiter für den Datenschutz stehen? Auf der anderen Seite wird jetzt für die Lösung argumentiert, aus Datenschutzgründen.
Buermeyer: Ja, das ist in der Tat interessant. Mich hat das auch sehr gewundert, dass sich die Skepsis vieler Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Informatik zum Beispiel hiergegen zum Beispiel das Robert-Koch-Institut gerichtet hat und weniger gegen Google und Apple. Ich glaube, erklären lässt sich das zum Teil damit, dass die beiden IT-Konzerne ein relativ transparentes Verfahren an den Tag gelegt haben, was man so von dem PEPP-PT-Konsortium, dem Konsortium, wo das Robert-Koch-Institut, sagen wir mal, beteiligt war, nicht sagen konnte. Ich glaube, die Transparenz hat hier eine große Rolle gespielt. Das machen die IT-Konzerne aus meiner Sicht sehr gut, weil sie mit offenen Karten spielen, weil sie offenlegen, wie sie sich das Contact Tracing vorstellen, und das hätte sicherlich PEPP-PT als Vertreterin oder Vorkämpferin der zentralen Lösung in Deutschland deutlich besser machen können.
Diffuses Gefühl von Verunsicherung
Münchenberg: Trotzdem gab es im Vorfeld doch ein ständiges Hin und Her. Es gab viele Argumente für und gegen die Lösungen, die da diskutiert worden sind, zentral/dezentral. Wird das nicht vielleicht auch ein Stück weit die Akzeptanz dieser App beschädigen, auch wenn man sich auf eine Lösung geeinigt hat?
Buermeyer: Ja, das ist auch meine große Sorge. Ich halte den Streit zwischen den Systemen im Ergebnis für nicht so relevant. Aber eins muss man sagen: Durch dieses Hin und Her haben sicherlich viele Menschen ein diffuses Gefühl von Verunsicherung, ob diese Apps aus der Datenschutzperspektive vertretbar sind. Ich habe immer in dieser Debatte die Meinung vertreten, dass sich diese Apps jedenfalls datenschutzkonform umsetzen lassen. Es hängt natürlich sehr von den Details ab, aber das ist jedenfalls grundsätzlich möglich. Und ich bedauere deswegen, dass diese Verunsicherung zustande gekommen ist, und ich frage mich insbesondere, ob die geringfügigen Vorteile, die eine dezentrale Lösung möglicherweise aus der Privacy-Perspektive mit sich bringen, ob die tatsächlich diese Diskussion, auch diese sehr hitzige Diskussion wert war. Aber ich denke, jetzt ist es an der Zeit, vielleicht nach vorne zu blicken. Was man auch lernen kann aus dieser Diskussion um die App und auch um die beiden Schwester-Apps, die ja ebenfalls noch in der Debatte sind - Die Datenspende-App, die schon veröffentlicht ist, und eine etwaige mögliche Quarantäne-App, die in der Diskussion ist -, was man da lernen kann ist, dass es auf Bundesebene fehlt an einer zentralen Projektsteuerung für IT-Projekte. Ich würde mir sehr wünschen, dass der Bund hier möglichst schnell die Kompetenz aufbaut, auch komplexe IT-Projekte aus einer Hand wirklich abzuwickeln und zu steuern und dabei insbesondere auch auf moderne Technologien wie zum Beispiel Open Sorce zu achten, quelltextoffene Software. Da gibt es zurzeit auf Bundesebene, soweit ich das weiß, jedenfalls keine Stellen, die professionell in der Lage wären, solche Projekte aufzunehmen, zum Beispiel aus Internet-Communities, und sie dann weiterzuentwickeln und für den Bund verfügbar zu machen. Das wäre, glaube ich, eine ganz wichtige Lehre, die aus diesem App-Debakel zu ziehen ist. Wir brauchen hier bessere Strukturen auf Bundesebene, um professionelle Software-Projekte zu managen.
Münchenberg: Nun gibt es immerhin eine Digitalbeauftragte bei der Bundesregierung.
Buermeyer: Ja, in der Tat. Dorothee Bär ist ja sogar beim Bundeskanzleramt angesiedelt. Ich will ihr nicht zu nahe treten, aber ich habe bislang jedenfalls in diesem Kontext der Corona-Apps nicht festgestellt, dass sie hier quasi die Zügel in der Hand gehalten hätte. Das gleiche gilt auch für den Bundesgesundheitsminister. Insofern muss man schon sagen: Hier fehlt es aus meiner Sicht doch sehr an der Richtung, um solche Software-Projekte tatsächlich zum Erfolg zu führen. Solch eine zentrale Richtung mit klaren Vorgaben, insbesondere Schutz der Privatsphäre, Schutz auch anderer Grundrechte, hätte diese hitzige Diskussion hoffentlich vermeiden können und hätte damit deutlich mehr Vertrauen in der Bevölkerung gewinnen können für eine solche Corona-Tracing-App, die – und das sagen uns jedenfalls die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Medizin – einfach einen wesentlichen Beitrag leisten kann, um diese Epidemie einzudämmen und damit andere Beschränkungen möglichst zu lockern.
Am Gemeinschaftsprojekt beteiligen
Münchenberg: Herr Buermeyer, was tun, wenn jetzt nicht ausreichend Menschen diese App nutzen werden, wenn sie denn endlich mal auf dem Markt ist? Es heißt ja, das macht nur Sinn, wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung sie nutzen. Erst dann kann man wirksam hier überwachen, wenn Corona-Fälle aufgetreten sind. Was tun, wenn am Ende dieses Projekt scheitert?
Buermeyer: Ich glaube, hier muss man jetzt einfach Überzeugungsarbeit leisten. Das Konzept von Google und Apple scheint mir grundsätzlich privacy-konform umsetzbar zu sein, und hier würde ich die Bundesregierung auffordern, einfach alles daran zu setzen, die Menschen tatsächlich für ein freiwilliges Mitziehen zu gewinnen. Ich glaube, das ist ein bisschen eine Frage auch der Kultur. Wir gewöhnen uns in Mitteleuropa gerade daran, dass wir Masken tragen müssen, um andere Menschen vor einer Infektion zu schützen, und ich glaube, genauso wie es immer selbstverständlicher wird, solch eine Maske zu tragen, so muss es selbstverständlich werden, sich durch die Installation einer Corona-App an diesem gemeinschaftlichen Projekt Corona-Bekämpfung, Epidemie-Bekämpfung zu beteiligen. Es sollte hier kein hoheitlicher Druck ausgeübt werden, sondern ich glaube, das ist eher eine gesellschaftliche Frage, dass wir uns gegenseitig überzeugen, und Voraussetzung dafür ist natürlich Vertrauen. Wie gesagt, da ist viel Vertrauen verspielt worden. Das wird die Bundesregierung aus meiner Sicht in den nächsten Wochen wieder gutzumachen haben.
Münchenberg: Herr Buermeyer, noch eine abschließende Frage. Wäre eine Verpflichtung zur Nutzung dieser App durch das Grundgesetz abgesichert?
Buermeyer: Das ist eine sehr heikle Frage, weil sie von sehr vielen Rahmenbedingungen abhängt. Grundsätzlich mal wäre eine Verpflichtung zur Nutzung einer solchen App jedenfalls dann verfassungskonform umsetzbar, wenn es tatsächlich das einzige Mittel ist, oder jedenfalls ein geeignetes und erforderliches Mittel und auch ein angemessenes Mittel, um andere Beschränkungen aufzuheben. Einfach so einen solchen App-Zwang einzuführen, halte ich verfassungsrechtlich für sehr problematisch. Wenn aber tatsächlich so ein Zusammenhang besteht zwischen der Nutzung einer App und der Lockerung anderer Beschränkungen, dann halte ich das verfassungsrechtlich durchaus für denkbar, und da weiß ich mich auch im Konsens mit anderen Vertreterinnen und Vertretern des Verfassungsrechts. Allerdings würde ich politisch immer formulieren, dass eine solche App freiwillig sein sollte und dass in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung für Vertrauen geworben werden sollte, statt mit Zwang zu operieren.
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