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Dauerstress mit nächtlichen Folgen

Medizin. – Deutschland und andere Industriegesellschaft entwickeln sich zu übermüdeten Gesellschaften. Wachsender beruflicher Druck und die Ansprüche der Spaßgesellschaft fordern ihren Preis und kosten täglich im Durchschnitt eine Stunde Schlaf. In Köln warnten jetzt Mediziner auf dem 28. interdisziplinären Symposium der Bundesärztekammer vor den schädlichen Folgen dieser Entwicklung. Im Deutschlandfunk erläuterte Professor Göran Hajak, Psychiater und Schlafforscher am Uniklinikum Regensburg, die Situation. Die Fragen stellte Arndt Reuning.

08.01.2004
    Reuning: Herr Professor Hajak, kann man in Deutschland von einer übermüdeten Gesellschaft reden?

    Hajak: Das trifft nicht nur für Deutschland, das trifft zunehmend auf die gesamte Welt zu. Vor allem für die industrialisierten Länder. Es ist klar, dass die 24-Stunden-Ansprüche unserer Gesellschaft sowohl beruflich als auch durch die Freizeit dazu führen, dass wir alle im Schnitt eine Stunde zu wenig pro Nacht schlafen. Das sammelt sich über die Woche an, und so kann jemand, der sich am Montag noch relativ fit fühlt, eben am Freitag schon sehr, sehr müde sein. Oder ein anderer, der das ganze Wochenende hindurch wach war, gerade am Montag oder am Dienstag, an den Tagen, an denen er sinnvoll arbeiten sollte, nicht aktiv ist und damit Fehler macht oder Unfälle begeht.

    Reuning: Welche Folgen kann es darüber hinaus haben, wenn ich nicht erholsam schlafe?

    Hajak: Nicht erholsamer Schlaf bedeutet einen direkten Weg in eine schwere seelische Störung. Das Risiko eine Depression zu bekommen vervierfacht sich, das Risiko eine Angststörung zu bekommen verdoppelt sich. Und es ist sogar so, dass man in etwa das zehnfache Risiko hat, innerhalb von drei Jahren in eine Sucht- oder Abhängigkeitsproblematik hinein zu münden, überwiegend, indem man sich selbst durch Alkohol behandelt. Das heißt, diejenigen, die wenig schlafen und das mit Bier, Wein oder Schnaps zu verbessern suchen, enden am Ende als psychiatrische Patienten.

    Reuning: Was raten Sie denn denen, die zu wenig schlafen?

    Hajak: Entscheidend ist, sich Zeit für Schlaf zunehmen. Das heißt Schlaf darf nicht mehr Notwendigkeit sein, sondern muss dahingehend zum Thema werden, dass man ihm Raum gibt. Raum kann sein, dass man jeden Tag ausreichende Ruheperioden hat, dass man weiß, dass man um 22:00 Uhr seinen Motor herunterfahren muss, wenn man frühmorgens um 6:00 Uhr aufstehen muss. Oder aber, dass man sich einen Tag in der Woche gönnt, an dem man ausschläft, an dem man Zeit hat, das heißt einmal nichts unternimmt, sondern Zuhause bleibt.

    Reuning: Schlafmangel kann ja auch Folge einer Störung sein, eventuell sogar auch organisch bedingt sein. Wo ziehen Sie als Mediziner da die Grenze?

    Hajak: Für uns ist eine Schlafkrankheit vorhanden, wenn der nächtliche Schlafmangel über vier Wochen anhält, und anhaltend in dieser Zeit zu einer schweren Einbuße der Leistungsfähigkeit am Tage fühlt. Das heißt, wer müde ist, wer seine Tätigkeit nicht ausführen kann, hat schon ganz automatisch damit eine Erkrankung des Schlafes. Im Sinne der Schlaflosigkeit wäre das die Insomnie.

    Reuning: Wie kann man die behandelt?

    Hajak: Es gibt drei Methoden, um mit einer Insomnie umzugehen. Das eine ist, dass man lernt, alle Dinge, die den Schlaf stören könnten, anders anzugehen. Und das sind ja überwiegend die Probleme des Tages, die einen schlechten Schlaf bereiten, Stress, den man mit in die Nacht mitnimmt. Das heißt Verarbeitung des Tages ist das erste. Das zweite ist zu lernen, wie man abends zur Ruhe kommt. Dabei helfen Entspannungsverfahren oder auch regelrechte verhaltenstherapeutische Maßnahmen durch Psychologen. Das heißt, wie stelle ich meine rasenden Gedanken in der Nacht ab. Und als drittes bleiben Schlafmittel. Schlafmittel, die sinnvoll sind, weil sie sehr gut und erfolgreich eingesetzt werden können, die aber gefährlich sind, wenn man sie über Wochen täglich einnimmt, weil sie in einer Abhängigkeit münden können. Das heißt. Wir empfehlen Schlafmittel allerhöchstens drei bis fünfmal pro Woche, und dann auch nur, wenn es unbedingt notwendig ist, einzunehmen.