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David Ranan
"Muslimischer Antisemitismus"

Seine Gespräche mit 70 deutschen und britischen Muslimen zeugen von zahlreichen antisemitischen Stereotypen. Dennoch sieht David Ranan nach seinen Recherchen den gesellschaftlichen Frieden nicht in Gefahr. Als Argument führt er eine andere Definition von Antisemitismus an.

Von Benjamin Dierks | 23.04.2018
    Ein Mann mit Kippa, der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung.
    Ein Mann mit Kippa, der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung. (dpa / picture alliance / Sebastian Kahnert)
    David Ranans Titel "Muslimischer Antisemitismus" scheint nicht so sehr als Zustandsbeschreibung gemeint zu sein, sondern eher als These, die der Autor widerlegen oder relativieren will. Entsprechend stellt er im Untertitel die Frage: "Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?" Um es vorweg zu nehmen: Diese Gefahr sieht er nicht. Ranan ist Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Ihn hat es stutzig gemacht, wie viel Aufmerksamkeit Antisemitismus von Muslimen erregt. Und er stellt zu Beginn seines Buchs klar, wie er die Lage sieht: In der jüdischen Gemeinschaft herrsche weitgehend unberechtigte Panik und, Organisationen wie der Zentralrat der Juden oder das American Jewish Committee, das er als "jüdische Lobbyorganisation" bezeichnet, trügen ihren Teil dazu bei.
    "Einige von den [...] NGOs, die sich Antisemitismusbekämpfung zur Aufgabe gemacht haben, vertreten eine Politik der Antisemitismus-Wahrnehmungserhöhung und bemühen sich zu dem Zweck, das Thema Antisemitismus in den Medien aufrechtzuerhalten."
    Die Frage wäre: Was sonst sollen Initiativen tun, die wollen, dass Antisemitismus wahrgenommen und bekämpft wird? Der Autor sieht hier aber eine Gefahr: Wenn die Rede vom muslimischen Antisemitismus damit zusammentreffe, dass Muslime ohnehin als bedrohlich wahrgenommen würden, entstehe eine explosive Mischung.
    Interviews offenbaren Stereotype, Vorurteile und Verschwörungstheorien
    Ranan versucht sich zunächst ausführlich an einer Definition von Antisemitismus, knöpft sich dann die seiner Ansicht nach häufig irreführenden Umfragen zum Thema vor und kommt schließlich zum Herzstück seines Buchs: seine Gespräche mit 70 muslimischen Studenten und Akademikern vor allem in Deutschland über ihre Haltung zu Juden. Fast alle zitierten Gesprächspartner geben krude Vorstellungen von jüdischer Weltherrschaft und wirtschaftlicher Allmacht wieder. Sie nennen Marken wie Aldi, Starbucks oder Coca-Cola; die Fäden ziehenden Rothschilds tauchen ebenso auf wie die Mär vom jüdischen Organraub an Arabern. Trotzdem zögert Ranan, seine Gesprächspartner als antisemitisch zu bezeichnen.
    "Sind dieser Hass, diese Parolen, diese Vorurteile antisemitisch? Sind die Personen, die sie äußern, Antisemiten? Der erste Gedanke wäre, ja. Judenhass ist halt Antisemitismus. So einfach ist es aber nicht. Wer sich dazu eine Meinung bilden will, kommt nicht daran vorbei, die Problematik der Definition von Antisemitismus zu verstehen."
    Auf dieser Definitionsfrage baut Ranan seine Argumentation wesentlich auf und sie führt auch dazu, dass er weniger Antisemitismus unter Muslimen ausmacht als andere. Besonders schlüssig findet Ranan die Antisemitismus-Definition des Briten Brian Klug, Philosophie-Dozent an der Oxford University. Demnach ist Antisemitismus "eine Art Feindseligkeit gegen Juden als 'Juden'". Das zweite "Juden" setzt er in Anführungsstriche. Das soll zeigen, dass es im Antisemitismus stets um eine fantastische Judenfigur gehe, die angedichtete Eigenschaften besitze. Kritiker werfen Klug vor, dass er Antisemitismus verharmlose und vor allem Gegner Israels von jedem Verdacht frei spreche.
    Braucht Antisemitismus eine Motivation?
    Dabei ist sein Ansatz zunächst schlüssig. In der Tat ist das antisemitische Ressentiment eine Projektion. Ein Antisemit braucht keine realen Juden, um Juden zu hassen. Problematisch wird es aber, wenn Ranan den Umkehrschluss von Klugs Definition zieht: Wenn es nämlich einen Grund für den Hass auf Juden gebe, liege kein Antisemitismus vor. Einen solchen Grund gesteht Ranan vor allem den arabischen Muslimen zu. Die hätten den Nahostkonflikt vor ihrer Tür, deshalb beziehe sich ihr Hass auf Israelis und nicht auf Juden per se - selbst wenn sie auf Demos in Berlin, fernab des Konflikts, antisemitische Parolen skandierten.
    Ranan findet aber auch andere einschlägige Denkmuster, die er als Indikator für Antisemitismus infrage stellt: Die Behauptung, Juden besäßen zu viel Macht in Deutschland? Im Vergleich zu Muslimen hätten Juden ja einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert, schreibt Ranan. Oder die Unterstellung, Juden wollten einen Vorteil aus dem Holocaust ziehen? Es sei doch normal, auf seinen eigenen Vorteil bedacht zu sein, deshalb müsse diese Unterstellung nicht bösartig sein. Und die Behauptung, Juden kontrollierten die amerikanische Politik? Nun, unter den größten Spendern der Parteien dort seien doch Juden. Mit so viel Verständnis aber lässt sich noch fast jeder antisemitische Reflex wohlwollend erklären. Zugespitzt hieße das dann: Juden sind selbst schuld daran, dass sie gehasst werden.
    Eine genauere Untersuchung von Antisemitismus unter Muslimen hat sicher seine Berechtigung - gerade wenn er von Politikern, die genug Antisemiten in den eigenen Reihen haben, instrumentalisiert wird, um Stimmung zu machen. Ranans ausführliche Gespräche mit Muslimen sind eine aufschlussreiche Lektüre. Und sicher ist es angebracht zu fragen, wie Hass entsteht. Die mutmaßlichen Ursachen aber zum Anlass zu nehmen, um Antisemitismus zu relativieren, ist weniger überzeugend.
    David Ranan: "Muslimischer Antisemitismus. Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?"
    J.H.W. Dietz Verlag, 224 Seiten, 19,90 Euro.