Freitag, 29. März 2024

Archiv

DDR
Bausoldaten im Spiegel der Geschichte

Vor 50 Jahren, am 7. September 1964, hat die DDR die sogenannte Bausoldatenanordnung erlassen. Von da an konnten junge Männer den Dienst an der Waffe verweigern, ohne wie zuvor als "Totalverweigerer" mit einer Haftstrafe rechnen zu müssen. In Wittenberg haben sich am Wochenende ehemalige Bausoldaten und Wissenschaftler getroffen um unter anderem über die Rolle der Bausoldaten für die Oppositionsbewegung in der DDR zu diskutieren.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 11.09.2014
    "Ich habe richtig Angst gehabt, ich habe gezittert. Wir wurden ja dann auch angebrüllt und in solche Verhältnisse gebracht: Einer steht Fünfen gegenüber. Es wurde gedroht, und die Drohungen waren nicht hohle Drohungen, sondern die waren auch durch Erfahrung gesättigt. Also die Angst, in Arrest zu kommen oder dann gar nach Schwedt, die war schon präsent."
    Schwedt war das gefürchtete DDR-Militärgefängnis. Tobias Schüfer, damals Hofmann, war ab 1985 Bausoldat der Nationalen Volksarmee NVA erst in der Unteroffiziers-Kaserne in Weißwasser, dann in Zülsdorf, Nähe Wittenberg. Er arbeitete dort auf dem Schießplatz und baute einen Panzertrainer.
    1962, sechs Jahre nach der Bundesrepublik, hatte die DDR die Wehrpflicht eingeführt. Wer den Militärdienst verweigerte, wurde teilweise mit hoher Haftzeit bestraft. Zwei Jahre später erließ der Nationale Verteidigungsrat auf Proteste der Kirche hin die "Anordnung über die Aufstellung von Baueinheiten im Bereich des Ministeriums für Nationale Verteidigung". Sie galt für jene, die aus sogenannten "religiösen Anschauungen oder aus ähnlichen Gründen den Wehrdienst mit der Waffe" ablehnten.
    Doch erwies sich der Ersatzdienst als Widerspruch in sich: Im Herbst 1964 rückten die ersten 220 Bausoldaten in eine Handvoll Kasernen im Erzgebirge und in Mecklenburg-Vorpommern ein - in einer Uniform, die mit einem Spatenabzeichen versehen war, mit der Verpflichtung, anstelle eines Fahneneides ein Gelöbnis zu sprechen und eine militärische Grundausbildung zu absolvieren.
    "Ich gelobe, der Deutschen Demokratischen Republik, meinem Vaterland, allzeit treu zu dienen und meine Kraft für die Erhöhung ihrer Verteidigungsbereitschaft einzusetzen."
    Dieses Gelöbnis musste auch Tobias Schüfer ablegen. Bei der evangelischen Jugendarbeit war er in Kontakt mit der DDR-Friedensbewegung gekommen. Weil er Theologie studieren und Pfarrer werden wollte, wurde er gleich nach der Schule zur Armee eingezogen - für 18 Monate als Bausoldat.
    "Das ist eine schwierige Zeit gewesen. Das Militärische liegt mir nicht. Und zum Essen marschierend zu gehen widerspricht meinem Naturell. Und es wurde sehr bald deutlich, dass wir als Staatsfeinde und als Oppositionelle wahrgenommen wurden, egal was wir taten. Also auch wenn wir freundlich grüßten, galt das als Frechheit. Als wir dann erkannt haben, dass da gegen uns gearbeitet wurde, haben wir uns auch in der Gruppe solidarisiert und zusammen gehalten."
    Kritische Soldaten
    Hatte die Bundesrepublik Deutschland 1960 den zivilen Ersatzdienst eingeführt, holte sich die NVA 1964 mit der Bausoldatenanordnung jene Gruppe religiöser und kritischer junger Männer ins Haus, die sie gar nicht wollte.
    Der Historiker Dr. Thomas Widera hat soeben ein Buch über die "DDR-Bausoldaten" veröffentlicht. Darin beschreibt er, dass diese als Staatsfeinde behandelt wurden, ohne dass sie sich selbst als solche wahrnahmen. Zumal sie sich auf ein Gesetz berufen konnten:
    "Dass das, was sie taten, eigentlich legal war, aber von der SED-Führung, die zwar diese Bausoldatenanordnung selbst erlassen hatte, aber als ein Verhalten interpretiert wurde, was unerwünscht war und was als Systemgegnerschaft interpretiert worden ist."
    Wer aber waren die Bausoldaten? Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk, Mitarbeiter beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, sagt, sie seien zwar unterschiedlich sozialisiert, aber kulturell und von ihrem Bildungsniveau her homogener als die Wehrdienstleistenden. Geeint durch ihre Kritik am SED-Staat oder ihr Bekenntnis zum Christentum seien sie menschlicher miteinander umgegangen als in der Hackordnung der regulären NVA-Truppen.
    Den Bausoldatendienst bezeichnet der Historiker als einen Kompromiss:
    "Manche sagen ein fauler Kompromiss. Die Bausoldaten mussten keine Waffen in die Hand nehmen, aber ansonsten waren sie letztlich doch in die Militärdoktrin eingespannt, und sie waren eigentlich reguläre Soldaten, Soldaten ohne Waffen, so absurd sich das anhören mag. Konsequent hingegen waren dann tatsächlich die Total-Wehrdienstverweigerer, die ja dafür auch in der Regel mit zwei Jahren Haft bestraft worden sind. Es gab Tausende von Total-Wehrdienstverweigerern im Laufe der Jahre, die sich zu 70 bis 80 Prozent aus Anhängern der Zeugen Jehovas zusammen setzten."
    Die Arbeiten, die die rund 15.000 Bausoldaten zwischen 1964 und 1989 verrichten mussten, waren sehr unterschiedlich. Die Männer mit dem kleinen Spaten auf der Schulterklappe wurden in den 60er-Jahren überwiegend beim Bau militärischer Einrichtungen wie Schießanlagen, Flugplätzen oder Kasernen eingesetzt. Im darauffolgenden Jahrzehnt, beeinflusst vom KSZE-Friedensprozess, beschäftigte die NVA sie in kleineren Einheiten in weniger militärisch geprägten Bereichen etwa im Erholungsheim, als Heizer, Hausmeister oder in hauseigenen Wäschereien.
    Als 1978 der Wehrunterricht an den allgemeinbildenden Schulen eingeführt wurde, stieg die Zahl derjenigen, die den Dienst an der Waffe ablehnten, sprunghaft an. Vor dem Hintergrund der maroden DDR-Wirtschaft mussten die Bausoldaten in großen Gruppen in so genannten "Schwerpunktbereichen der Volkswirtschaft" arbeiten, etwa unter katastrophalen Arbeitsschutzbedingungen im Chemiedreieck Halle, Merseburg und Bitterfeld.
    Bausoldaten auf Rügen
    Oder in Prora auf Rügen, auf dem für die DDR militärstrategisch wichtigen Fährhafen Mukran. Hier war Stephan Schack stationiert. 1984 erlebte er mit mehreren Hundert Gleichgesinnten einen harten und straff organisierten Alltag mit viel militärischem Drill. Für den Mitorganisator des Kongresses ist es wichtig, heute an die Bausoldaten zu erinnern als Teil der damals militarisierten Gesellschaft:
    "Das äußerte sich in willkürlichen Entscheidungen, was Ausgangs- und Urlaubsregelungen betrifft, in immer wiederholten Alarmübungen, die stattfanden, in sinnlosen Marschierrunden, wenn wir zum Essen nicht ordentlich in Reih und Glied marschiert sind, gab es sogenannte Ehrenrunden. Und das drückte sich aus in einem Umgangston, den Offiziere uns gegenüber an den Tag gelegt haben, der einfach menschenverachtend war. Die Komponente, von früh vom Weckpfiff bis abends zum Nachtruhepfiff als Staatsfeind gesehen zu werden, das ist etwas, was Bausoldaten von waffentragenden Grundwehrdienstleistenden unterschieden hat."
    Susanna Misgajski leitet das Prora-Zentrum auf Rügen. In dem monumentalen, von den Nationalsozialisten hochgezogenen Bau, den später die NVA als Kaserne nutzte, hat sie kürzlich eine Ausstellung über Bausoldaten gezeigt - die nun in Wittenberg zu sehen ist. Die Historikerin dokumentiert darin, wie die Männer sich den Anforderungen der Vorgesetzten entzogen:
    "Für Prora haben wir das Beispiel, dass ein Bausoldat sich geweigert hat, einen Schießplatz mitzubauen. Das hatte dazu geführt, nachdem dieser Bausoldat das verweigert hatte, dass er ein halbes Jahr, also für sechs Monate nach Berndshof musste. Das bedeutete immer grundsätzlich, dass eine Arrestzeit oder eine Haftzeit nachgedient werden musste."
    Dass die NVA so restriktiv mit den Bausoldaten umging, dass sie zusätzlich zu militärischem Drill und hohen Arbeitsanforderungen die jungen Männer bestrafte, schikanierte und ihnen Arbeitsschutzmittel verweigerte, bestärkte diese in ihrer Abwehrhaltung gegenüber dem politischen System. Nicht wenige von ihnen schrieben Eingaben, in denen sie ihre Rechte forderten.
    Uwe Werner wurde durch seine Kontakte zur Jungen Gemeinde noch kurz vor Ende der DDR Bausoldat. Nachdem ihm verboten worden war, Abitur zu machen, kam er im April 1988 im Alter von 26 Jahren nach Neuseddin - und wurde im Oktober '89 entlassen:
    "Und die Zusammensetzung der Bausoldaten war damals schon geprägt von einem unheimlich hohen Grad von Ausreisewilligen, die praktisch schon einen Ausreiseantrag gestellt hatten und mit dem Staat abgeschlossen hatten. Und in diesem Spannungsfeld haben wir uns die ganze Zeit bewegt: Christen, Pazifisten und ausreisewillige Bürger, die vor allem aus dem Dresdner Bereich kamen."
    Keimzelle der Opposition
    Als wichtige Keimzelle für die DDR-Friedensbewegung bezeichnet Ilko-Sascha Kowalczuk die Bausoldaten. Aus ihr entwickelte sich in den 80er-Jahren ein Teil der Opposition, so der Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Allerdings seien längst nicht alle Bausoldaten Oppositionelle, aber viele Oppositionelle Bausoldaten gewesen:
    "Es wäre meines Erachtens historisch nicht korrekt, alle 15.000 Bausoldaten pauschal zu Oppositionellen zu erklären. Historisch zu würdigen ist, dass junge Männer in einer bestimmten Phase ihres Lebens "Nein" zu einer Vorgabe des SED-Staates sagten und nicht den von ihnen erwarteten regulären Waffendienst in der NVA ableisteten. Und dieses "Nein" bedeutete ganz oft auch, dass sie im weiteren Lebensweg Nachteile erdulden mussten. Das ist historisch zu würdigen, das kann man auch gar nicht hoch genug einschätzen. Was anderes ist, was dann jeder Einzelne nach seiner Bausoldatenzeit politisch anfing."
    Viele blieben danach politisch unauffällig. Eine große Zahl verließ die DDR. Für den Historiker Thomas Widera steht dennoch ihr Widerspruch als Akt der Zivilcourage im Vordergrund:
    "Ich mache hier etwas, was nicht dem entspricht, was von mir eigentlich verlangt wird, nämlich widerspruchslos eine Uniform anzuziehen und mich ausbilden zu lassen zum Schießen und Töten, ist in jedem Fall ein Akt der Zivilcourage und davon kann eine Gesellschaft letztendlich nie genug bekommen."