Am Donnerstag (16. Mai 2024) werden neue Forschungsergebnisse zum DDR-Staatsdoping-System vorgestellt. Vorab berichtete Historikerin Jutta Braun von ihren Erkenntnissen. Dabei haben sie besonders die Aussagen der Sportlerinnen und Sportler beeindruckt, die die wissentliche Einnahme von Doping zugegeben hätten, sagte Braun im Deutschlandfunk. Ein Großteil der Sportler sei damals zur Zeit der Einnahme der Dopingmittel aber noch minderjährig gewesen.
Einige Kinder und Jugendlichen hätten aber auch einfach Angst gehabt, bei Verweigern der Dopingmittel, möglicherweise von der Sportschule entlassen zu werden, sagte die Forscherin.
Verstrickungen aller Gruppen in das Dopingsystem
Auffällig sei bei ihren Untersuchungen aber vor allem gewesen, "wie die einzelnen Funktionsgruppen, wie Ärzte, Funktionäre und Trainer, sich wechselseitig die Verantwortung für das Doping zugeschoben haben", sagte Braun. "Jeder beschuldigt die jeweils andere Gruppe für die Eskalation des Dopings."
Dabei wurden stets die politischen Umstände für die Beteiligung am Dopingsystem verantwortlich gemacht. Verantwortungsträger rechtfertigten sich damit, unter dem politischen Druck des Leistungsauftrags gehandelt zu haben. Teilweise hätten die Funktionsträger aber auch eingeräumt, aus Angst vor dem Verlust von Privilegien und Positionen gehandelt zu haben.
Radikalisierung des Dopingsystems auffällig
Beim Dopingsystem in der DDR sei vor allem auch die ständige Radikalisierung auffällig gewesen, sagte Braun im Deutschlandfunk. Die Ärzte, Trainer und Funktionäre hätten sich nicht an die selbst gesetzten Regeln gehalten. „Es wurde immer wieder über den vorgesehenen Rahmen hinaus gedopt“, sagte Braun.
Ein heikler Bereich waren im Dopingsystem der DDR auch die Eltern. "Das System hat gezielt die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern gestört", berichtete die Historikerin vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.
Eltern als Komplizen
Zwar hätten Jugendliche Schweigegebote auferlegt bekommen hinsichtlich des Dopingkonsums, dennoch hätten einige Eltern aber die körperlichen Veränderungen ihrer Kinder bemerkt und bei den Funktionsträgern nachgefragt.
Den Kindern sei dann mit dem Ausschluss von der Sportschule gedroht worden, wenn die Eltern weiter nachgefragt haben. "Es kam aber auch vor, dass Eltern Komplizen geworden sind", berichtete die Sporthistorikerin Jutta Braun, indem die Eltern Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben hätten. "Das hat mich am meisten bewegt, wie weit der Arm des Sports doch gereicht hat".
Tabletten gegen das Heimweh
Das Dopingsystem sei Teil der Gesellschaft in der DDR gewesen und war dort verankert, schilderte Braun im Dlf. Erschütternd sei für sie auch gewesen, sagte Braun, wie ein Trainerehepaar den Schülern einer Kinder- und Jugendsportschule (KJS) Tabletten verabreicht habe, mit dem Vorwand, diese würden den Kindern helfen, um den Trennungsschmerz von den Eltern zu lindern.
Die Kinder- und Jugendsportschule waren sehr parteitreue Orte, sagte Braun. Der Anteil an SED-Mitgliedern sei noch einmal höher als im Rest der Republik gewesen. Die Repressionen des Systems hätten dabei jeden treffen können. Dies mache das Dopingsystem der DDR klar als Teil der Diktaturgeschichte erkennbar.
Sportler, die aus der Dopingvergabe ausscheiden wollten, seien eingeschüchtert worden, etwa mit der Drohung, kein Abitur ablegen zu dürfen.