Archiv


DDR - haben wir aus der Vergangenheit wirklich gelernt?

Ist, 19 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR, alles getan, um die Taten des SED-Regimes zu klären, erklären und aufzuarbeiten? Sind die Repressalien in ihrer Subtilität ausreichend verstanden - und damit als Warnung vor Ähnlichem in der Zukunft geeignet? Wissenschaftler haben sich dazu in Weimar getroffen.

Von Bettina Mittelstraß |
    "Aufarbeitung". Das ist ein deutscher Begriff, für den es in anderen Sprachen keine direkte Entsprechung gibt, sagt Hendrik Hansen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte der Universität Passau:

    "Das ist ein Begriff, der entstanden ist Ende der 40er und dann in den 50er Jahren, als es um die Vergangenheitsbewältigung ging in Bezug auf den Nationalsozialismus. Also wirklich ein Kind der alten Bundesrepublik muss man sagen und zwar gerade in Bezug auf den Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen."

    Aufarbeitung hieß damals zunächst einmal: irgendwie fertig werden mit der ungeheuren Schuld, die 1945 nach dem totalen, sichtbaren und fühlbaren Zusammenbruch der verbrecherischen nationalsozialistischen Diktatur für jeden offensichtlich wurde.

    "Etwas Vergleichbares hat es ja mit der DDR nicht gegeben. Die Verurteilung des alten Systems als eines verbrecherischen war so eindeutig nicht. Es wurde abgelöst und man tat im Widervereinigungsprozess sehr schnell alles, um die Einheit möglichst schmerzlos, möglichst rasch, möglichst reibungslos herzustellen. Man hat auch vermieden, jetzt aus der Sicht der Westdeutschen, jetzt irgendwelche Schuldzuweisungen und ähnliches. Man wollte im Gegenteil viele Rücksichten nehmen. Und dadurch ist natürlich die DDR nie so eindeutig als ein Unrechtsstaat, als ein verbrecherisches repressives diktatorisches System in die Köpfe gekommen, wie es mit dem NS Regime selbstverständlich war."

    Die DDR war ein Unrechtsstaat und nicht nur ein irgendwie autoritärer Versorgungsstaat, in dem es den meisten Menschen gut ging, sagt Professor Hans Joachim Veen, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Ettersberg in Weimar, deren Auftrag es ist, die vergleichende Erforschung europäischer Diktaturen und ihrer Überwindung zu fördern. Wenn heute diese einseitige verharmlosende Sicht zum Beispiel in zahlreichen privat organisierte DDR-Museen vermittelt wird, in denen man in Trabis sitzen, Kittelschürzen anprobieren und DDR Kaffee trinken kann, dann zeugt das von einem Versäumnis auf der Ebene politischer Bildung in der Demokratie und beunruhigt zum Beispiel Rainer Eckert, Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig:
    "Es wird hier wirklich grundsätzlich vernachlässigt, dass Diktatur nicht nur bedeutet Herrschaft mit Waffengewalt, sondern dass Diktatur auch bedeutet: Herrschaft mit Latentmethoden der Diktatur, also mit ständiger Überwachung und mit ständigem, permanenten politischen Druck etwa auf Kinder oder auf junge Menschen und so weiter. Das Repertoire der Diktatur ist viel größer. Und wenn wir uns das geschlossen ansehen, kommen wir zu dem ganz einhelligen Schluss: es war in der DDR eine Diktatur, eine kommunistische Diktatur."

    Das Problem sei nicht mangelnde Aufarbeitung auf einer wissenschaftlichen Ebene, sagt Rainer Eckert. In den vergangenen 20 Jahren wurden die Geschichte und der Charakter der DDR ausgezeichnet und umfassend analysiert und erforscht. Aber in die Köpfe vieler Bürger konnten viele Einsichten nicht vermittelt werden.

    "Alltag in der Diktatur ist auch immer geprägt durch Repression, und zwar von morgens bis abends und vom Kleinkind bis zum Sterbebett letztlich. Wenn ich mir überlege: darf mein Kind abends Westfernsehen gucken oder fragt morgen die Lehrerin "Hat die Fernsehuhr Punkte oder Striche?" - subtile Form von Repression. Wenn ich überlege "hänge ich eine Fahne raus? Hänge ich keine Fahne raus?" Das hat den Alltag der Diktatur ausgemacht!"

    Die Grundlagen des Systems waren nicht freiheitlich, auch wenn das manchmal wenig auffiel. Professor Heinrich Oberreuther, Direktor der Akademie für Politische Bildung Tutzing, vermisst daher vor allem ein lebendiges Gespräch über die Werte und Leitideen der pluralistischen, demokratischen Gesellschaft:

    "Nach der Wende haben wir uns viel zuviel mit der Wirtschaft beschäftigt. Und den Stolpersteinen, die sie mit sich brachte. Natürlich war das wichtig und notwendig, weil es ja die Menschen in ihrer täglichen Existenz berührt hat und meistens negativ. Aber man hätte darüber sozusagen die Segnungen demokratischer Freiheit nicht gänzlich in den Hintergrund drängen lassen dürfen. Und wir tun da auch viel zu wenig. Wobei selbstverständlich auch im Westen dieser Republik viel zu wenig geschieht, um diese Grundlagen zu vermitteln und im Gespräch zu halten."

    Das wiedervereinigte, demokratische Deutschland ist darauf angewiesen, dass seine Bürger ein Rechts- und Werteverständnis haben, in dem sie vor Rechtsstaatlichkeit Respekt haben und vor zwischen Recht und Unrecht unterscheiden können, sagt Hendrik Hansen:

    "Der Kern eines totalitären Regimes besteht immer darin, den Menschen das Unrecht als Recht zu verkaufen. Und das prägt, auch dann die Zeit danach. Und das heißt, der Umgang mit der totalitären Erfahrung muss dann so laufen, dass man hier die Maßstäbe wieder zurecht rückt. Und das bedeutet natürlich vor allen Dingen in einer Demokratie, dass wir die Diskussion führen über diese Maßstäbe. Und die Auseinandersetzung führen. Und das setzt aber eben voraus, dass wir das ganz stark thematisieren. Dass wir darüber reden.

    Man muss auch sehr deutlich darauf aufmerksam machen, wo die rechtlichen Achillesfersen eines Systems liegen, das zwar sozialistische Gesetzlichkeit kannte, also das Recht zum Büttel der Durchsetzung der Ideologie gemacht hat, das aber keinen Rechtsstaat kannte, nämlich die Unabhängigkeit des Rechts von politischen Interessen."

    Den Unterschied zwischen Rechtsstaat, Pluralismus, Freiheit und Demokratie auf der einen Seite und kommunistische Diktatur auf der anderen Seite den Bürgern deutlicher zu machen, darauf komme es immer mehr an, sagt Rainer Eckert mit Blick auf das große Jubiläumsjahr 2009, wenn 60 Jahre Bundesrepublik und 20 Jahre friedliche Revolution gefeiert würden. Dazu gehöre auch, sich vom Begriff "Wende" zu verabschieden, den Egon Krenz in die Diskussion gebracht hat, und der ohne wissenschaftliche Reflexion übernommen wurde. Hans Joachim Veen:

    "Ich glaube, dass dieser Begriff völlig im Unklaren lässt, worum es eigentlich ging. Es ging um einen radikalen, um einen totalen Systemwechsel. Und ein totaler Systemwechsel ist nicht irgendeine Wende. Was faktisch stattfand ist meines Erachtens eine Revolution, eine totale Veränderung der Grundlagen und der Form der Herrschaft. Und darum ist der Revolutionsbegriff der richtige."

    Ein friedlicher Systemwechsel hat offenbar ungeahnte Tücken. Allzu bereitwillig werden in der öffentlichen Wahrnehmung grundlegende Systemunterschiede verwischt und die Aufarbeitung totalitärer Vergangenheit dauert länger als erhofft.

    "In der tschechischen Republik ist dadurch, dass eine Revolution stattgefunden hat, der Übergang anders gewesen. Und hier sagte Václav Havel: es geht uns nicht darum, zu bestrafen, sondern es geht uns drum zu zeigen, auf welchen Werten, auf welcher Werteordnung die neue Ordnung beruht. Diejenigen, die auch mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet haben, sollen vor Gericht gestellt werden, aber es geht uns nicht um Bestrafung, sondern um die Maßstäbe. Sie sollen verurteilt und sofort amnestiert werden."
    Professor Klaus Ziemer, bis vor kurzem Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Warschau. Aus der Sicht Polens ist Deutschlands "Aufarbeitung" der kommunistischen Diktatur in einer Hinsicht vorbildhaft. Anders als hier gestaltet sich in Polen die Aufklärung der Zusammenarbeit von Persönlichkeiten in den öffentlichen Diensten mit den kommunistischen Geheimdiensten seit Jahren sehr kompliziert und der Umgang mit den Akten sorgt in Polen bis heute für heftige innenpolitische Konflikte.

    "Die Gauck Behörde oder jetzt Birthler Behörde wird sehr genau angeschaut und man ist vor allem erstaunt darüber, dass diese Institution in der Gesellschaft unumstritten ist, dass die Akten, die hier vorhanden sind, nicht politisch instrumentalisiert werden, sondern dass diese Einrichtung zur gesellschaftlichen Befriedung beigetragen hat."