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DDR-Trainer-Entschuldigung wirkt "erzwungen"

Mehrere Leichtathletiktrainer haben sich zu ihren Doping-Verfehlungen in der DDR bekannt und sich bei den Opfern entschuldigt. Sie dürfen weiterhin als Bundestrainer für den Leichtathletikverband arbeiten. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse hält die Erklärung der Sportlehrer nicht für ausreichend, um das Vertrauen der jungen Sportler zu "solchen Trainern, Funktionären, Ärzten" wieder herzustellen.

Wolfgang Thierse im Gespräch mit Herbert Fischer-Solms | 14.04.2009
    Wolfgang Thierse: Nun ja, es ist eine Entschuldigung und damit ein Geständnis, sehr spät, 20 Jahre danach, und irgendwie wirkt sie auf mich nachgereicht, erdrängt, erzwungen. Man muss die Sportverbände wie auch die jungen Sportler und ihre Eltern fragen, ob sie das Vertrauen zu solchen Trainern, Funktionären, Ärzten haben, die erst nach so langer Zeit und so gedrängt dann eine solche Erklärung abgeben. Das scheint mir die entscheidende Frage zu sein: Kann eine solche Erklärung tatsächlich Vertrauen wiederherstellen?

    Herbert Fischer-Solms: Mit einer Erklärung, die, wie die Dopingopfer sagen, nicht über längst Bekanntes und Belegtes hinausgeht.

    Thierse: Das ist es. Man erfährt nichts Neues und ich will noch mal darauf hinweisen, dass ich überhaupt den Eindruck habe, dass unser organisierter Sport sich mit den Opfern überhaupt nicht befasst. Wie wäre es denn, der DOSB oder einer der Fachverbände organisierte einmal eine Begegnung, sodass die Täter von gestern mit ihren Opfern - die ja noch heute unter den Folgen leiden - von Angesicht zu Angesicht miteinander reden, damit endlich mal auch die Betroffenen, die wirklich Betroffenen zu Wort kommen, ernst genommen werden, auch öffentlich deutlicher wahrgenommen werden als das bisher durch die Sportverbände passiert ist?

    Fischer-Solms: Eine Begegnung, die in der Politik der damalige Bundespräsident Johannes Rau wahrgenommen hatte, die aber in den letzten, ich glaube, 20 Jahren keiner der zwischenzeitlichen Präsidenten des Dachverbandes wahrgenommen hat, auch nicht der derzeitige DOSB-Präsident Thomas Bach.

    Thierse: Ja, ich bedaure das. Ich verstehe schon das Argument: 20 Jahre - da haben doch diejenigen inzwischen, so wie ich unterstelle und hoffe, ordentliche Arbeit gemacht, nicht mehr gedopt. Ich halte auch etwas von dem Gesichtspunkt, der ja in der Strafjustiz sonst gilt, die Verjährungsfrist. Man soll einen Menschen nicht dauerhaft an dem messen, was er vor Jahrzehnten getan hat. All das will ich ganz ernst nehmen. Aber damit das gelingen kann und neues Vertrauen hergestellt wird und eine schwärende Wunde sich schließen kann, ist, denke ich, eine solche Begegnung, ein solches ernsthaftes Gespräch miteinander, notwendig. Das muss eben dann hinausgehen über diese dann doch irgendwie formelle oder distanziert wirkende Entschuldigungserklärung.

    Fischer-Solms: Herr Thierse, im Dezember 2006 hatten Sie im Zusammenhang mit der Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Bundestag mit Blick auf die Sonderrolle, die der Sport da bekommen hat, gesagt, dass also nach wie vor nach 15 Jahren weiterhin Persönlichkeiten des Sports - auch Trainer - auf ihre Stasi-Vergangenheit überprüft werden können. Sie hatten gesagt, junge Sportler und ihre Eltern müssen darauf vertrauen, dass Funktionäre, Trainer und Ärzte nichts mit dem scheußlichen Dopingsystem der DDR zu tun hatten - eine Forderung, die seither unerfüllt geblieben ist.

    Thierse: Das ist so. Deswegen ist ja meine Frage auch, ob wir nicht nur die jungen Sportler, vielleicht sind sie überfordert, dass sie über ihre Trainer, ihre gegenwärtigen Trainer, die eben eine solche Vorgeschichte haben, auch etwas sagen, öffentlich urteilen sollen: Doch die Funktionäre der Sportverbände, die müssen doch sagen: Ist das eine Vertrauensbasis? Können wir wirklich vertrauen, dass das Kapitel tatsächlich abgeschlossen ist? Und dieses Vertrauen stellt sich her durch Aufrichtigkeit, durch Wahrhaftigkeit. Deswegen, sage ich, ist ein solches Gespräch wichtig, damit überhaupt Vertrauen wirklich entsteht und nicht nur Vertrauen herbeigezwungen wird.

    Fischer-Solms: Die betreffenden Trainer möchten, dass ihnen vergeben wird für ihre Dopingbeteiligung. Setzt aber Vergeben nicht erst aktive Reue voraus?

    Thierse: Das ist richtig, und selbst wenn ich unterstelle, dass im vereinigten Deutschland 20 Jahre anständige Arbeit eine Art tätiger Reue gewesen sind, ist doch zu fragen: Wer soll ihnen vergeben? Doch nicht Sportfunktionäre der Bundesrepublik, sondern das setzt wieder das Gespräch mit den Betroffenen, den Opfern voraus, denn die müssen die schwierige, schmerzliche Leistung der Vergebung aufbringen. Und auch deswegen ist die Begegnung so wichtig. Ich glaube nicht, dass die Trainer von damals und die Sportfunktionäre von heute sich davor wirklich drücken dürfen.