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De Maizière: Technik soll Personal nicht ersetzen

In der Diskussion um den Einsatz von Körperscannern hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Möglichkeit genannt, zunächst freiwillige Kontrollen anzubieten. Man könnte die Fluggäste entscheiden lassen, ob sie die schnellere Überprüfung mit dem Scanner oder eine Leibesvisitation wollten.

Thomas de Maiziére im Gespräch mit Jochen Spengler | 21.01.2010
    Jochen Spengler: Welche Sicherheitsmaßnahmen können terroristische Anschläge verhindern oder verhindern helfen, zum Beispiel auf den Flugverkehr? Die europäischen Innenminister befassen sich ab heute im spanischen Toledo mit dieser Frage. Am Telefon begrüße ich nun den Christdemokraten und Bundesinnenminister Thomas de Maiziére. Guten Morgen, Herr de Maiziére.

    Thomas de Maiziére: Guten Morgen!

    Spengler: Lassen Sie uns zunächst auf den Bombenalarm auf dem Münchener Flughafen eingehen. Die Gewerkschaft der Polizei fordert nach diesem merkwürdigen Vorfall, die Sicherheitsvorkehrungen auf deutschen Flughäfen vollständig zu überprüfen. Ist das sinnvoll?

    de Maiziére: Ich nehme den Vorgang sehr ernst. Ich möchte allerdings heute noch keine Bewertung abgeben. Ich habe veranlasst, dass sämtliche Umstände dieses Vorgangs im Einzelnen untersucht werden, mit allen Beteiligten, und danach müssen am Flughafen München gegebenenfalls Konsequenzen gezogen werden.

    Spengler: Gegebenenfalls auch anderswo?

    de Maiziére: Ja. Wenn sich daraus Fehler ergeben, die struktureller Art sind und für andere Flughäfen auch gelten, dann ja, sonst nicht.

    Spengler: Die Gewerkschaft hat aber recht, wenn sie sagt, wenn man jemanden kontrolliert, dann muss man ihn auch festhalten können, oder?

    de Maiziére: Es gibt Videoaufnahmen von diesen Kontrollbereichen. Es gibt auch eine Videoaufnahme von dem Herrn, um den es da geht. Wenn die ausgewertet sind, dann wird man auch beurteilen können, in welcher Weise dort kontrolliert worden ist. Vorher nicht.

    Spengler: Auch der Möchtegern-Attentäter von Detroit ist einfach ohne Passkontrolle eingestiegen, obwohl er sogar von Datenbanken erfasst war. Setzen wir vielleicht insgesamt zu sehr auf Technik, auf Geräte, auf Daten, vielleicht auch auf Vorschriften und zu wenig auf den gesunden Menschenverstand und auf genügend gut ausgebildetes Kontrollpersonal?

    de Maiziére: Man braucht beides. Das zeigt der Vorgang von gestern ja auch. Es hat ein Gerät angeschlagen. Das heißt, ohne Gerät wird man auch eine Sprengstoffspur auf einem Laptop durch Menschen nicht finden. Und dann gibt es eine Nachkontrolle, wenn alles gut läuft, sodass dort Mensch und Maschine zusammen für Sicherheit sorgen, und so muss es auch in Zukunft sein.

    Spengler: Man hat trotzdem manchmal den Eindruck, es wird immer gerade das verboten, was gerade passiert ist, zum Beispiel Toilettengang vor einer Landung oder eine Wolldecke auf dem Schoß. Ist so etwas nicht ein bisschen hysterisch?

    de Maiziére: Wenn Sie sich in die Lage der Amerikaner hineinversetzen, dann sind solche Reaktionen vielleicht verständlich. Und dass anlassbezogen dann etwas gemacht wird, ist auch verständlich. Sie müssen sehen, dass in diesem Fall auch generell es dann immer die Tendenz zu Nachahmungstaten gibt, und deswegen ist es unmittelbar im Zeitraum nach einem solchen Anschlag durchaus sinnvoll, dass man die gleiche Tatbegehung versucht zu verhindern. Insgesamt allerdings muss man sich nicht auf konkrete einzelne Maßnahmen vorbereiten, sondern die Sicherheit im Ganzen im Blick haben.

    Spengler: Ob nun das Verbot von Flüssigkeiten, was wir ja nun haben, oder die Vorschrift, die Stiefel auszuziehen, das hat alles einen Grund in einem Einzelfall. Gibt es irgendwelche Sicherheitsmaßnahmen, die auch mal wieder zurückgenommen werden, oder müssen wir damit ewig leben?

    de Maiziére: Wir prüfen ja, ob wir einen Körperscanner der nächsten Generation einsetzen. Der würde dann jedenfalls alles, was außerhalb des menschlichen Körpers ist, erfassen, sodass, wenn es dann einen Verdacht gibt, nur dort noch mal speziell untersucht werden müsste. Das wäre, wenn es die Intimsphäre wahrt, wenn der Körperscanner leistungsfähig ist und wenn die Gesundheit nicht gefährdet wird, eine sinnvolle Maßnahme, nicht statt Personal, sondern um den Personaleinsatz anschließend gezielt und verhältnismäßig einsetzen zu können.

    Spengler: Also Sie sagen im Prinzip, das was wir haben, Verbot von Flüssigkeiten oder Stiefel ausziehen, das können wir uns dann schenken, wenn wir die Körperscanner haben?

    de Maiziére: Möglicherweise ja. Allerdings wir sind in der Testphase. Die Tests sind sehr vielversprechend. Allerdings können wir dann erst entscheiden, für Deutschland etwa im Sommer, ob und in welcher Weise wir sie einsetzen. Vielleicht setzen wir sie auch als Angebot für Passagiere ein, um Vertrauen zu werben, dass wir sagen, auf der einen Spur haben wir den Körperscanner, da geht es schnell, und auf der anderen Spur gibt es ein körperliches Abtasten, da dauert es etwas länger, und dann werden wir sehen, wie die Akzeptanz ist.

    Spengler: Brauchen wir eigentlich bei den Körperscannern eine europäische Einheitlichkeit, oder kann und sollte das jedes Land selbst entscheiden?

    de Maiziére: Die Rechtslage ist so, dass es für die Methoden der Fluggastkontrolle einheitliche Verfahren geben muss. Einzelne Staaten werden aber nicht gehindert, strengere Maßnahmen einzuführen, wenn sie das für richtig halten. Jetzt kann man lange darüber streiten, ob der Körperscanner eine strengere oder eine mildere Maßnahme ist. Ich bin jedenfalls dafür, dass wir im Grundsatz eine europaweit einheitliche Lösung anstreben.

    Spengler: Ein Stichwort ist SWIFT. Die Bankdaten unbescholtener EU-Bürger gehen an die USA. Und jetzt sagt Ihr Bundeskriminalamt, das Ergebnis der ganzen Bankdatensammelei rechtfertigt den ganzen Aufwand überhaupt nicht. Was sagen Sie?

    de Maiziére: Es gehen ja nicht alle Finanztransaktionsdaten an die Amerikaner, innereuropäischer Zahlungsverkehr sowieso nicht. Es gibt keine anlasslose Rasterfahndung aller Daten. Das haben wir gerade durch unsere Verhandlungen verhindert und das Bundeskriminalamt hat gesagt, eine solche anlasslose Sammlung von Daten wäre nicht sinnvoll. Sehr sinnvoll ist dagegen, wenn es Hinweise, konkrete Hinweise gibt, dann Zahlungsverkehre nachvollziehen zu können, und das sieht das Kriminalamt, genauso wie ich, als sinnvoll an.

    Spengler: Jetzt sind wir schon bei der Bedrohungslage in der Bundesrepublik. Geht eigentlich noch die größte Gefahr von islamistischen Zirkeln aus, oder richten Sie Ihr Augenmerk nach vielen Anschlägen insbesondere in Berlin und Hamburg wieder verstärkt auf die linksextremistische Szene?

    de Maiziére: Es ist immer schlecht, wenn man sich nur auf eine Gefahr konzentriert. Dann vernachlässigt man möglicherweise andere. Wir sitzen hier, um eine europäische Sicherheitsstrategie zu beraten, das heißt im europäischen Bereich neben dem Terror grenzüberschreitende Kriminalität wie organisierte Kriminalität, Drogen- und Menschenhandel stärker in den Blick zu nehmen. Und was Deutschland angeht: Es ist in den vergangenen Jahren in der Tat der Blick auf die Gewaltanwendung und Kriminalität, die eher aus dem linksextremistischen politischen Lager kommt, unterschätzt worden, und das werden wir in Zukunft ändern.

    Spengler: Der Verfassungsschutz sollte bis Mitte des Monats eine Bewertung des Linksextremismus vorlegen. Ist das geschehen und zu welchem Ergebnis ist er gekommen?

    de Maiziére: Bis Februar, Herr Spengler, habe ich eine solche Analyse erbeten. Wir haben noch nicht Februar und dann werden wir die Konsequenzen ziehen. Wir haben es hier auch damit zu tun, dass wir es regional sehr unterschiedlich haben. Wir haben diese Phänomene insbesondere in Berlin und Hamburg. Deswegen wird mit den beiden Ländern natürlich dort in besonderer Weise zu untersuchen sein, was zu tun ist. Das ist ein langer Weg. Wir haben es auch gesehen bei der politischen Gewalt, die von Rechtsextremen ausgeht. Insgesamt ist die Anwendung von Gewalt nicht gestiegen, aber bei denen, die Gewalt anwenden, ist die Hemmschwelle, intensiv Gewalt auszuüben, gesunken und das macht mir Sorgen.

    Spengler: Herr de Maiziére, letztes Stichwort: das Internet, von dessen Sicherheit wir ja alle zunehmend abhängen. Die Regierung will eine eigene Kommission zur künftigen Netzpolitik berufen. Für wie groß halten Sie die Bedrohung durch die beherrschende Stellung von privaten Unternehmen, etwa von Google, die mehr über den Bürger wissen zu scheinen als die über sich selbst?

    de Maiziére: Was das Internet angeht, würde ich zunächst erst mal nicht von einer Bedrohung sprechen, sondern das ist eine große Freiheitschance. Diktaturen haben es jetzt schlechter als früher, weil es das Internet gibt. Es gibt neue Formen von Kommunikation. An Informationen zu kommen, was man früher nicht konnte, ist ein großer Freiheitsgewinn. Aber immer ist mit Freiheit auch Gefährdung verbunden und Verantwortung, und deswegen ist es wichtig und richtig, dass wir diejenigen, die große Datenbanken ansammeln – und das sind mehr die Privaten als der Staat -, auch in die Verantwortung nehmen, mit diesen Daten sorgsam umzugehen, und wir müssen erwarten, dass auch die Bürger mit ihren eigenen Daten vorsichtiger umgehen als in der Vergangenheit. Ich selbst habe ja mit einem Netzdialog das Gespräch begonnen, ich werde vier weitere solcher Gespräche machen und im Sommer wird die Bundesregierung eine Netzpolitikstrategie vorlegen. Aber es ist kein Kampf gegen eine Bedrohung, sondern es ist ein Ordnungsrahmen für ein neues Medium von Informationen und Wissen, und das ist etwas anderes als klassische Sicherheitspolitik.

    Spengler: Das war im Deutschlandfunk der Bundesinnenminister Thomas de Maiziére, der – das sei noch angemerkt – heute Geburtstag feiert. Herzlichen Glückwunsch und danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.

    de Maiziére: Vielen Dank! Alles Gute für Sie und Ihre Hörer.

    Spengler: Danke schön.