Dienstag, 16. April 2024

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De Vries (CDU) zu SPD-Reformplänen
"Anschlag auf die soziale Marktwirtschaft"

Der CDU-Politiker Christoph de Vries sieht in den Reformvorschlägen der SPD eine Gefahr für den deutschen Wohlstand. Mit der geplanten Grundrente setze die Partei "Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft außer Kraft", sagte de Vries im Dlf. Es sei "unglaublich", dass sich die SPD von Hartz IV distanziere.

Christoph de Vries im Gespräch mit Christoph Heinemann | 11.02.2019
    Porträt von Christoph de Vries vor einer blauen Wand mit CDU-Schriftzügen.
    "Wir betrachten die Pläne der SPD als Anschlag auf die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft", so Christoph de Vries (dpa / Daniel Reinhardt)
    Christoph Heinemann: Aus dem Werkstadtgespräch heraus ans Telefon gekommen ist Christoph de Vries, CDU-Mitglied des Innenausschusses des Deutschen Bundestags, Wahlkreis Hamburg. Guten Tag!
    Christoph de Vries: Schönen guten Tag!
    Heinemann: Herr de Vries, die CDU sagt, 2015 dürfe sich nicht wiederholen. Was heißt das für Sie?
    De Vries: Ja, sehr erkennbar, dass wir die Steuerung, Begrenzung und Ordnung der Migration zu einem zentralen Thema gemacht haben, an der Stelle auch einen Kurswechsel vollzogen haben schon im Bundestagswahlkampf, aber auch ganz konkret im Koalitionsvertrag mit der SPD. Und ich glaube, bei dem Thema sind wir ja auch einen großen Schritt schon vorangekommen, was die Zahlen zeigen.
    Heinemann: Wäre Kontrollverlust heute ausgeschlossen?
    De Vries: Ich glaube, in dieser Form schon. Wir haben eben unterschiedliche Stellschrauben, die gedreht worden sind. Das ist zum einen das EU-Türkei-Abkommen, das im Moment, glaube ich, nicht gefährdet ist. Wir haben aber selbst auch zahlreiche Maßnahmen getroffen. Ich will es an dieser Stelle auch noch mal sagen. Wir hatten 2016, zur Hochphase der Flüchtlingskrise 720.000 Erstanträge auf Asyl. Wir haben im letzten Jahr noch 161.000 gehabt. Das ist ein Rückgang um 77 Prozent, und das ist ein echter Erfolg, wo wir unserem Ziel schon sehr nahe gekommen sind.
    "Ich halte nichts davon, permanent Vergangenheitsbewältigung zu betreiben"
    Heinemann: Könnte sich aber wiederholen. Was dann?
    De Vries: Wir arbeiten ja dran, nach und nach das zu verhindern. Sie kennen die Diskussion, die jetzt aktuell läuft, über die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten. Dort haben wir es mit Personengruppen zu tun, die eine außerordentlich niedrige Anerkennungsquote haben von unter zwei Prozent. Das ist das eine. Und zum anderen aber auch überdurchschnittlich häufig straffällig werden. Deswegen ist es wichtig, zum Beispiel auch bei diesen Personengruppen die Asylverfahren zu beschleunigen und die Rückführung besser zu machen. Das ist ein Thema, wo wir natürlich auch an die Vernunft der Grünen und ihre Verantwortung appellieren müssen, dass sie das nicht weiter blockieren im Bundesrat.
    Heinemann: Herr de Vries, ging im Spätsommer 2015 alles mit rechten Dingen zu?
    De Vries: Wissen Sie, ich persönlich bin selbst kein Anhänger damals der Politik gewesen, die diese unkontrollierte Einwanderung zugelassen hat. Ich will das gar nicht verhehlen. Ich halte aber auch nichts davon, permanent Vergangenheitsbewältigung zu betreiben.
    Heinemann: Das ist aber wichtig, um die Zukunft zu gestalten.
    De Vries: Absolut. Aber ich glaube, das, was ich Ihnen eben gesagt habe, dass wir ja Lehren gezogen haben und dass wir die Migration begrenzt haben, zeigt ja, dass wir daraus Lehren gezogen haben und dass wir es besser machen wollen. Und da sind wir auch noch nicht am Ende der Fahnenstange. Was wir konkret machen – ich komme jetzt selbst aus dem Werkstattgespräch "Innere Sicherheit – Abschiebepraxis" –, ist, weiterhin zu überlegen – wir sind beim Zuzug besser geworden. Wo wir wirklich noch Handlungsbedarf haben, das ist im Bereich der Rückführung der Abschiebungen. Und das ist, womit wir uns heute sehr fachkundig und intensiv beschäftigen.
    Heinemann: In welche Richtung?
    De Vries: Wir sind jetzt im Moment noch in der Phase der Ideensammlung. Wir werden das heute Nachmittag bewerten. Aber wenn Sie es gestatten, spreche ich gern ein paar konkrete Punkte mal an. Wir haben in den Bundesländern riesige Schwierigkeiten beim Thema Zuführung zur Abschiebung. Wir haben häufig Sammelcharter für Abschiebungen in bestimmte Länder. Und in bis zu zwei Dritteln der Fälle werden die ausreisepflichtigen Personen gar nicht angetroffen, weil die genau wissen, wenn die Polizei kommt, um sie dann der Abschiebung zuzuführen. Das ist ein Riesenproblem.
    Wir haben Probleme im Bereich der Dublin-Fälle. Das ist besonders schwerwiegend, weil wenn wir es geschafft haben, die Menschen, die woanders in Europa angekommen sind, rückzuüberstellen, beispielsweise nach Italien, stellen die Mitarbeiter der Ausländerbehörden häufig fest, dass sie bereits nach wenigen Wochen wieder einreisen und wir das gesamte Verfahren dann von vorn wieder aufrollen. Und da sind wir jetzt in Überlegungen, zu sagen, dass wir eigentlich in diesen Fällen einen Ausschluss von Asylfolgeanträgen bräuchten. Und wenn diese Wiedereinreisesperren, die ja verhängt sind, gebrochen werden, dass wir dann diese Personen eigentlich auch sofort in Abschiebehaft nehmen müssen.
    "Brauchen bei Rückführungen einen gesellschaftlichen Konsens"
    Heinemann: Ist das Konsens in der CDU?
    De Vries: Ich sag Ihnen gerade, wir sind noch in der Ideensammlung. Wir werden das nachher im Plenum diskutieren. Aber zwischen den Innenpolitikern gab es hier einen großen Konsens. Und wenn man noch mal auf das Motto zurückkommt, das ja auch gestern gefallen ist, "Humanität und Härte", dann ist, glaube ich, das etwas, wohinter wir uns prinzipiell alle versammeln können. Dass wir einerseits diesen humanitären Schutzanspruch nicht in Frage stellen für diejenigen, die schutzbedürftig sind und ein Bleiberecht erhalten sollen. Dass wir aber bei denjenigen, die aus asylfremden Gründen kommen, wirklich konsequenter werden im Bereich der Rückführung.
    Und wir brauchen hier auch einen gesellschaftlichen Konsens über die Akzeptanz von Rückführung. Diese Diskussion – ist es gut, dass die einen abgeschoben werden und die anderen nicht –, die hilft uns an dieser Stelle nicht weiter, weil das insgesamt die Akzeptanz des Rechtsstaats unterhöhlt. Entweder man ist bleibeberechtigt, oder man ist es nicht. Und in jedem Fall müssen wir da den Rechtsstaat verteidigen.
    Heinemann: Worin unterscheidet sich Ihre Härte von derjenigen der AfD?
    De Vries: Ich beschäftige mich ehrlich gesagt an der Stelle wenig mit der AfD. Es gibt einen grundlegenden Unterschied. Die AfD benutzt das Migrationsthema, um Stimmung zu machen gegen Ausländer und Menschen, die zu uns gekommen sind. Das ist uns als Christdemokraten und auch Christen, die wir sind, ja völlig wesensfremd. Die Menschen haben ja völlig legitime Gründe, persönliche, wirtschaftliche Gründe, um den Weg in ein besseres Leben zu suchen. Aber unsere Aufgabe ist es, als verantwortliche Politiker und als Staat, den Rechtsstaat hier durchzusetzen und die Balance zu wahren zwischen Humanität einerseits, aber auch Rechtsstaatlichkeit andererseits. Und dass wir eben auch die Aufnahmebereitschaft der eigenen Bürger in Deutschland nicht überfordern. Das ist in der Vergangenheit geschehen, und das hat die Akzeptanz des Asylsystems auch unterhöhlt. Deswegen ist es, glaube ich, gut, dass wir diesen Kurs jetzt fortsetzen, den wir begonnen haben.
    Heinemann: Sie haben eben den Staatsrechtler Hillgruber gehört. Beinhaltet das deutsche Asylrecht ein unhaltbares rechtliches Schutzversprechen?
    De Vries: Ich würde das nicht als unhaltbar bezeichnen. In Wahrheit haben wir völlig unterschiedliche rechtliche Tatbestände, aufgrund derer Menschen zu uns kommen und bleiben dürfen. Wir haben das Asylrecht. Und wenn wir uns die Zahl derer angucken, die tatsächlich politisches Asyl in Deutschland bekommen, dann bewegen wir uns da im Bereich, ich glaube, im letzten Jahr von 1,6 Prozent, also unter zwei Prozent. Dann gibt es andere internationale Verpflichtungen, Genfer Flüchtlingskonvention und andere. Das ist ja der Großteil, den hier der Teil der Migranten ausmacht. Aber es gibt, glaube ich, keinen Willen und auch keine Bereitschaft innerhalb der Union, jetzt unser Asylrecht prinzipiell in Frage zu stellen – aus historischen Gründen sowieso nicht.
    Heinemann: Herr de Vries, wie kritisiert man die Politik des Spätsommers 2015, ohne die Kanzlerin zu meinen?
    de Vries: Natürlich ist die Flüchtlingspolitik des Jahres 2015, 2016 unmittelbar mit der Kanzlerin verbunden. Aber genauso verbunden mit der Kanzlerin ist ja auch der Kurswechsel, den wir in den Folgejahren vollzogen haben. Unser Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017, der Koalitionsvertrag, den sie maßgeblich als Parteivorsitzende unterzeichnet hat, der sieht ja ausdrücklich das Ziel der Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung vor. Insofern sehe ich da gar keinen Widerspruch, und ich behaupte auch, dass da die Erkenntnis gereift ist, dass sich diese Situation eben nicht wiederholen darf. Sie haben es ja eingangs gesagt. Und an der Stelle gibt es auch keinen Dissens mit der Kanzlerin.
    "Gefahr für den Wohlstand in Deutschland"
    Heinemann: Herr de Vries, Sie sind auch Stellvertretendes Mitglied des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales. Deshalb wollen wir jetzt noch auf die Sozialpolitik des Koalitionspartners schauen. Es findet ja gerade eine Klausurtagung des Parteivorstands statt. Die SPD hat sich von wesentlichen Teilen der Agenda 2010 verabschiedet. Verlängertes Arbeitslosengeld, aus Hartz IV soll ein Bürgergeld werden, Ersparnisse sollen später angerechnet werden. Eine Grundsicherung für Kinder, Anhebung des Mindestlohns kommt noch dazu. Was bedeutet diese Politik für die Zukunft der schwarz-roten Regierungskoalition?
    De Vries: Erst mal betrachten wir die Pläne der SPD durchaus als Anschlag auf die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft und sehen darin auch eine Gefahr für den Wohlstand in Deutschland. Die SPD wendet sich ja nicht nur ab von ihrer eigenen Politik der Vergangenheit, sondern sie setzt auch bestimmte Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft damit außer Kraft. Wenn ich mir die Diskussion anschaue um die Rentenversicherung, da stellen sich ja wirklich Gerechtigkeitsfragen. Wie sieht es denn eigentlich aus mit Menschen, die länger eingezahlt haben, die länger gearbeitet haben und auf deren Höhe dann andere ihr Rentenniveau angehoben bekommen haben? Das Grundprinzip, dass sich das Rentenniveau richtet nach der Länge der Einzahlung und der Höhe der Einzahlung, will die SPD außer Kraft setzen.
    Ähnliches erleben wir jetzt ja auch im Bereich von Hartz IV, der Reform. Es ist eigentlich unglaublich, dass eine Reform, die so erfolgreich gewesen ist, die den Anreiz zur Arbeitsaufnahme erhöht hat, die unserem Land Rekordbeschäftigung und Wohlstand gebracht hat, dass die SPD sich jetzt davon distanziert.
    Heinemann: Herr de Vries, das war jetzt die inhaltliche Analyse. Ganz kurz bitte, was passiert denn, wenn sich die SPD jetzt anschickt, diese Sozialpolitik in der Regierungsarbeit durchzusetzen. Was bedeutet das für die schwarz-rote Koalition?
    De Vries: Am Ende ist natürlich das, was schwarz-weiß im Koalitionsvertrag steht, entscheidend und maßgeblich. Und wir gehen weiterhin davon aus, dass sich die SPD an den Koalitionsvertrag halten wird. Wenn ich die Parteivorsitzende Andrea Nahles richtig verstanden habe, sieht sie ja auch in der Verwirklichung ihrer Pläne gegenwärtig wenig Chancen. Die Einschätzung teile ich auch persönlich. Wir werden den Koalitionsvertrag abarbeiten. Der ist immer von Kompromissen gezeichnet, das geht uns auf unserer Seite ja genauso. Aber es ist prinzipiell nichts Verkehrtes, wenn jenseits der Tagespolitik, der Regierungspolitik sich die Volksparteien auch profilieren, ihre eigenen Konzepte erarbeiten. Ob die SPD damit Erfolg haben wird, wird sich zeigen. Ich habe den Eindruck, dass sie sich damit vollends aus der gesellschaftlichen Mitte verabschiedet.
    Heinemann: Ist damit die Sollbruchstelle der schwarz-roten Koalition vertieft?
    De Vries: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, ein entscheidender Moment werden die Europawahlen sein. Sollte die SPD dort hinter den Grünen landen, werden die Stimmen, Kevin Kühnert und andere, wieder lauter – Herrn Gabriel haben wir ja auch dieser Tage vernommen –, die überhaupt Probleme mit dieser Koalition hatten. Es ist jetzt schwer zu beurteilen, ob diese Pläne als Vorwand genommen werden, sich dann zu verabschieden. Das müssen wir abwarten. Aber die SPD ist tief verunsichert, und sie weiß im Grunde auch nicht so richtig, wie ihr Weg im Moment aussehen soll. Das ist, glaube ich, klar.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.