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Debatte über Abschiebung
Patzelt weist Vorstoß zur Abschiebung kranker Flüchtlinge zurück

Der CDU-Abgeordnete Martin Patzelt sieht die Vorschläge des baden-württembergischen Innenministers Thomas Strobl zur Abschiebung von Asylbewerbern kritisch. Er wies beispielsweise den Vorstoß seines Parteikollegen zurück, kranke Migranten abzuschieben, wenn sie die Krankheit bereits bei der Einreise hatten. Dies könne kein Maßstab sein, sagte Patzelt im DLF.

29.11.2016
    Martin Patzelt, CDU-Bundestagsabgeordneter
    Martin Patzelt, CDU-Bundestagsabgeordneter (picture alliance / ZB / Patrick Pleul)
    Stattdessen müsse man schauen, so Patzelt: "Was für eine Krankheit hat dieser Mensch? Ist er transportfähig, ist er überlebensfähig? Wie wird die Situation in seiner Heimat mit seiner Krankheit zusammentreffen?"
    Strobls Idee, Menschen, die ihre Identität nicht nachweisen könnten, Leistungen zu kürzen, sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, meinte der CDU-Abgeordnete. Wenn man Menschen einen Mindestanspruch zugestehe, dann könne man hier auch keine Unterschiede machen.
    Auch die Abschiebung von Personen, die bei ihrer Identität falsche Angaben gemacht hätten, klinge zwar nachvollziehbar. Wenn man aber die Abschiebung gar nicht durchführen könne, sei dies nur eine Luftnummer.
    Patzelt zeigte sich offen für Diskussionen, etwa über die Unterbringung von Flüchtlingen in Ländern, die näher an ihrer Heimat liegen. Solche Debatten müssten aber auf der Grundlage unserer Rechtlichkeit stattfinden, betonte er.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Martin Zagatta: Die Themen sind vielfältig bei der Konferenz der deutschen Innenminister heute in Saarbrücken: Mehr Schutz für Polizisten, das Waffenrecht, der Umgang mit Verkehrssündern und auf Drängen des CDU-Politikers Thomas Strobl auch das Asylrecht. Es geht um höchst umstrittene Verschärfungen.
    Wenig Begeisterung bei der SPD über Thomas Strobl, den Innenminister von Baden-Württemberg und stellvertretenden Vorsitzenden der Bundes-CDU, der das Asylrecht, Sie haben es gehört, ganz drastisch verschärfen will. - Am Telefon ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt, der schon deshalb weiß, wovon er bei diesem Thema redet, weil er bei sich zuhause in Brandenburg selbst zwei Flüchtlinge auch aufgenommen hat. Guten Tag, Herr Patzelt!
    Martin Patzelt: Einen guten Tag wünsche ich Ihnen.
    Zagatta: Herr Patzelt, wie sehen Sie das? Brauchen wir überhaupt eine weitere Verschärfung des Asylrechts?
    Patzelt: Das muss man sehr gewissenhaft prüfen. Und ich finde, alle Überlegungen die dahingehend sind, wie wir tatsächlich die geduldeten Flüchtlinge schneller in ihre Heimat zurückführen können, erst mal sehr zielführend. Die Grenze dabei ist, dass wir das auf der Grundlage unserer Rechtlichkeit, insbesondere auch der menschenrechtlichen Vorstellung, so wie die Verfassung uns das gebietet, prüfen und nicht Ideen entwickeln, die an diesen grundsätzlichen Überzeugungen vorbeigehen. Das ist für mich der Maßstab.
    Zagatta: Da sagt ja zumindest die Opposition, Herr Strobl würde das mit seinen Vorschlägen machen. Herr Strobl hat ja eine ganze Reihe von Punkten angeführt. Was ist denn zum Beispiel damit, Menschen, die ihre Identität nicht nachweisen können, dass man denen erst einmal die Leistung kürzt?
    Patzelt: Das würden wir vom Grundgesetz gar nicht durchbekommen. Da haben wir ja einschlägige Erfahrungen gemacht.
    Zagatta: Der Vorschlag ist eigentlich Blödsinn?
    Patzelt: So hart würde ich es nicht sagen. Man kann das immer alles noch mal betrachten und prüfen.
    Zagatta: Man kann es vorsichtiger ausdrücken,.
    Patzelt: Aber wenn wir sagen, es gibt einen Mindestanspruch von Menschen, dann können wir den nicht unterscheiden zwischen Asylbewerbern, geduldeten Asylberechtigten und einheimischen Menschen, die einen Bedarf haben.
    "Man muss aus menschenrechtlichen Erwägungen genau prüfen: Wie geht es den Menschen"
    Zagatta: Was ist denn mit Menschen - das will Herr Strobl -, die bei ihrer Identität geschwindelt haben? Wenn sich das herausstellt, dann will er die auf alle Fälle abschieben. Das klingt nachvollziehbar.
    Patzelt: Das klingt nachvollziehbar. Aber die Frage ist ja schon öffentlich immer wieder diskutiert worden. Wenn ich Abschiebungs-Hinderungsgründe habe, wenn ich gar nicht weiß, wohin ich die Menschen abschieben soll, dann ist das eine Luftnummer. Ich kann ja nur abschieben, wenn tatsächlich ein Land da ist, aus dem die kommen, wie Herr Herrmann eben sagte. Wir wollen sie in ihre Herkunftsländer zurückschicken. Und ich kann nicht sagen, ich schieb die ab. Ja wohin denn überhaupt? Da muss ich mir schon was anderes einfallen lassen.
    Zagatta: Aber es gibt ja Länder, in die abgeschoben wird.
    Patzelt: Ja! Aber dann muss ich das auch aus menschenrechtlichen Erwägungen genau prüfen: Wie geht es den Menschen und ist das eine Bestrafung, oder ist das ein zumutbarer neuer Lebensort, an dem diese Menschen aufgenommen werden. Da hat dann Deutschland auch allerhand mitzuwirken, vermutlich, um die Lebensverhältnisse dort so zu organisieren, dass wir sagen, das ist auch mit unseren eigenen Vorstellungen von menschlichem Leben vereinbar.
    Zagatta: Herr Patzelt, das ist noch ein weiteres Problem. Es geht aber auch jetzt um Regelungen in Deutschland selbst, weil man sagt, die Flüchtlinge sollen abgeschoben werden oder können abgeschoben werden. Da sagt Herr Strobl beispielsweise, Krankheit kann kein Hindernisgrund mehr sein, wenn der Flüchtling zum Beispiel schon krank eingereist ist.
    Patzelt: Das ist für mich kein Maßstab, sondern ich muss gucken, was für eine Krankheit hat dieser Mensch. Ist er transportfähig, ist er überlebensfähig überhaupt, wie wird die Situation in seiner Heimat mit seiner Krankheit zusammentreffen? Ich glaube, hier muss der Einzelfall entscheiden. Krankheit ist ein sehr weiter Begriff, vom Husten und Schnupfen bis zu schwer chronischen Krankheiten, die einen Transport gar nicht erlauben.
    "Man muss sich anschauen, ob europäisches Recht damit tangiert wird"
    Zagatta: Jetzt heißt es in dem Papier von Herrn Strobl, Flüchtlinge, die im Mittelmeer gerettet werden, sollen nicht mehr nach Europa gebracht werden, sondern dann sofort in sogenannte Rückführungszentren in Ägypten oder Tunesien. Abgesehen davon, dass das wahrscheinlich gegen europäisches Recht verstößt, wäre so was überhaupt sinnvoll?
    Patzelt: Erst mal muss man sich anschauen, ob europäisches Recht damit tangiert wird. Auch Recht kann man ändern. Ich habe ein Lager im Libanon erlebt und habe mit den syrischen Flüchtlingen gesprochen und die haben nichts als den sehnlichen Wunsch, in ihre Heimat zurückzukommen.
    Also muss man schon überlegen, ob es immer sinnvoll ist, den Flüchtlingen eine weite gefährliche Reise zuzumuten, oder sie in der Nähe ihrer Heimat unter menschenwürdigen Lebensbedingungen diesen hoffentlichen Zwischenraum, Transitraum auch in ihrem Leben so zu überstehen, dass sie tatsächlich möglichst bald in ihre Heimat zurück können, aber dass sie auch in diesem Warteraum sozusagen menschlich leben können, sich beschäftigen können, Kinder eine Schulbildung erfahren.
    Zagatta: Herr Patzelt, da wird Ihnen oder der CDU wahrscheinlich niemand widersprechen. Aber es geht ja offenbar darum, Flüchtlinge, die im Mittelmeer gerettet werden, dass man die erst gar nicht nach Europa weitertransportiert, sondern gleich dann in Länder wie Ägypten und Tunesien - die werden da wohl genannt, wenn ich das recht verstanden habe - eigentlich im Prinzip schon wieder abschiebt.
    Patzelt: Das ist die Frage, ob es ein Abschieben ist. Wenn man mit diesen Ländern Vereinbarungen trifft und sich an der Gestaltung der Lebensbedingungen dort auch materiell beteiligt und mit gutem Gewissen sagen kann, das ist ein Raum, in dem ein Asyl auch menschenwürdig gelebt werden kann für die Zeit, wo es beansprucht wird, dann ist es durchaus auch legitim, die Leute aus ihrem Kulturraum, aus ihrer Heimat nicht so weit zu entfernen, dass sie hier unter ganz anderen neueren Belastungen zum Beispiel mit dem ganz fremden Kulturraum, mit den Integrationsverpflichtungen, die wir ihnen auferlegen, zurechtzukommen.
    "Ich bin immer gegen das Verbreiten von Parolen, die sich hinterher als Luftnummer erweisen"
    Zagatta: Sollte man dann mit Ägypten so etwas Ähnliches schließen wie ein Abkommen mit der Türkei?
    Patzelt: Na ja, so einfach mit dem Bezahlen würde ich mich nicht zufrieden geben, sondern ich habe dann auch schon die Pflicht, wenn Menschen bei uns Asyl suchen wollen in Europa, dass ich mir genau anschaue, welche Lebensbedingungen mute ich ihnen dann alternativ zu. Und die dürfen nicht so sein, dass sie gegen unsere Vorstellungen von menschlichem Leben und auch von Asyl verstoßen. Aber grundsätzlich zu sagen, ich lasse sie in der Nähe ihrer Heimat und auch in ihrem Kulturraum und ich helfe mit, dass sie dort menschenwürdig leben können, das ist erwägenswert.
    Zagatta: Soweit ich das jetzt sehe, hat man aber mit Ägypten darüber noch gar nicht verhandelt, mit Tunesien auch nicht. Klingt das nicht ein bisschen so ähnlich, wie wenn die AfD hier jetzt bei der Flüchtlingspolitik sagt, man sollte Flüchtlinge eigentlich auf Inseln irgendwo außerhalb Europas abschieben? Hat das nicht eine Ähnlichkeit?
    Patzelt: Ich bin immer gegen das Verbreiten von Parolen, die sich hinterher als Luftnummer erweisen, weil sich die Wählerinnen und Wähler auch getäuscht fühlen. Wir sollten wirklich gerade in dem Bereich sensibel und sachlich erst mal prüfen, was möglich ist, was nicht möglich ist, ehe wir damit tatsächlich Menschen verwirren.
    Zagatta: Hat da die Opposition doch nicht ganz so Unrecht mit ihrem Vorwurf? Die sagt ja jetzt, das was von den Reihen der CDU jetzt vorgeschlagen wird, das sei in dem Fall jetzt reiner Populismus.
    Patzelt: Ja, das wird so verurteilt. Andererseits würde ich doch erst mal sagen, lasst uns da erst mal drüber reden. Das ist ja ein Sammelsurium von Vorschlägen. Und lasst uns gucken, was hat im Kern einen Ansatz, den man weiter verfolgen könnte, und welcher nicht. Sich gegenseitig abzuwatschen und zu sagen, das ist Populismus, und die anderen wiederum sagen, ihr seid überhaupt nicht bewegungsfähig, das halte ich für kurzsichtig.
    Zagatta: Und es stört Sie jetzt auch nicht, dass die AfD sich beschwert, die CDU klaue ihr jetzt schon die Vorschläge?
    Patzelt: Solche Diskussionen halte ich für abnorm. Wenn jetzt schon ein Streit entsteht, wer die menschenfeindlichsten Vorschläge macht, dann sind wir mit unserer politischen Kultur ziemlich am Ende.
    "Ihr zukünftiges Leben an dem Ort, wohin wir sie zurückschicken, muss menschenwürdig sein"
    Zagatta: Wie ist es in der politischen Kultur mit dem Koalitionspartner SPD? Der sagt ja, alles was Herr Strobl jetzt vorschlägt, das sei Populismus, das sagt die SPD so, oder die meisten Vorschläge, und die werden auf keinen Fall umgesetzt. Reden wir hier über etwas, was ohnehin in absehbarer Zeit so und so nicht kommen wird?
    Patzelt: Ich glaube, wir haben - und da gebe ich Herrn Strobl Recht - ein riesiges Problem mit dieser sehr, sehr großen Anzahl von Menschen, die nur eine Duldung haben, und wir sollten wirklich im Einzelfall überprüfen, auch Kategorien überprüfen, wer kann zurückgeführt werden in seine Heimat. Das ist richtig, das ist legitim, das müssen wir machen. Und gleichzeitig bin ich dagegen, dass man es pauschal verurteilt als Populismus oder als Verweigerungshaltung der SPD. Ich merke auch im Gespräch mit Abgeordneten selber hier im Deutschen Bundestag, da werden die Meinungen sehr viel differenzierter diskutiert.
    Zagatta: Aus Ihrer Sicht, Sie haben ja diese praktische Erfahrung, indem Sie sich um Flüchtlinge intensiv gekümmert haben. Was sehen Sie denn als Ansatz, wo man tatsächlich Leute zurückschicken könnte, was heute nicht passiert?
    Patzelt: Dann muss tatsächlich ihr zukünftiges Leben an dem Ort, wohin wir sie zurückschicken, menschenwürdig sein. Das kann kein Wartezimmer sein des Lebens. Die jungen Leute, die wir bei uns aufgenommen haben, denen haben wir eine eritreische Fahne ins Zimmer gehängt und alle unsere Gespräche haben immer das Ziel, dass sie vorübergehend hier sind und in ihre Heimat zurückgehen.
    Gleichwohl haben wir ihnen geholfen, dass sie einen Ausbildungsplatz finden, dass sie gut Deutsch lernen, dass sie hier die Kultur unseres Landes akzeptieren lernen und dass sie doch innerlich auch eine Verpflichtung haben, in ihrer Heimat weiter zu helfen, dass sich dort das Leben weiterentwickelt, sobald das nur irgendwie möglich ist. Das, denke ich, ist ein Ansatz, mit dem man auch verbreitet leben könnte.
    Zagatta: … sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt. Herr Patzelt, ich bedanke mich für das Gespräch.
    Patzelt: Gerne. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.