Freitag, 19. April 2024

Archiv

Debatte über Burka-Verbot
Ein Problem, das es gar nicht gibt

In Frankreich, Belgien und der Schweiz ist sie schon verboten, nun wird auch in Deutschland über ein Burka-Verbot diskutiert. Doch im Straßenbild deutscher Städte taucht der schwarze Ganz-Körper-Schleier fast gar nicht auf. Eine Debatte über ein Phänomen, das gar nicht zu existieren scheint.

Von Kemal Hür | 18.08.2016
    Arabische Muslima mit Burkas spazieren in der Innenstadt von München.
    Sicherheitsproblem, Fremdkörper, frauenverachtend: Das sind die Hauptargumente, wenn es um das Thema Burka-Verbot geht. (imago / Ralph Peters)
    "Warum soll die Burka verboten werden? Hier herrscht Meinungsfreiheit. Jeder Mensch soll das anziehen, was er möchte und wozu er Lust hat." - "Wenn sie hier in Deutschland sind, dann sollen sie rumlaufen wie normale Menschen und nicht wie Ausländer. Man sollte die ansehen können und sie erkennen können." - "Ich habe in London gelebt und in einer Gegend, wo viele Frauen Burkas getragen haben. Und ich habe damit keine großen Probleme."
    Eine Momentaufnahme auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln. Die Gewerbetreibenden nennen ihre Straße mit einem Augenzwinkern "Arabische Allee". Hier reiht sich ein arabisches Geschäft an das andere: Supermärkte, Shisha-Cafés, Hochzeitsmode, Reisebüros, Fleischereien. Sogar Flüchtlinge aus dem Umland kommen hier einkaufen, weil sie sich wie in der Heimat fühlen. In einem Friseurladen lassen sich zwei Männer die Haare schneiden. Einer der Barbiere trägt einen langen Bart. Der Islam schreibe ihm das so vor – genauso sei auch ein Schleier für die Frau vorgeschrieben, sagt er:
    "Meine Frau trägt eine – ist keine Burka, sagen wir – Niqab. Man kann die Augen sehen, nicht mehr. Und wenn sie es verbieten, dann ist das schade."
    Keine Burka-Trägerinnen auf der Berliner Sonnenallee
    Die Debatte um ein Burka-Verbot beschäftigt hier in der arabischsten Straße Berlins nicht wirklich viele Menschen. Denn es gibt im Straßenbild keine Frauen, die den schwarzen Ganz-Körper-Schleier tragen, der sogar die Augenpartie verdeckt. Sehr viele Frauen tragen aber Kopfbedeckungen. Eine Pädagogik-Studentin mit modischer Sonnenbrille und einem hellbraunen Kopftuch sagt, es sollte weder einen Zwang zum Tragen einer Burka geben, noch sollte sie verboten werden. Die Frau sollte selbst über ihr Aussehen entscheiden:
    "Ich habe ein Kopftuch an und lange Sachen dazu. Ich habe keine figurbetonten Sachen an, sondern ich ziehe mich modern an, aber nicht figurbetont."
    Eine Palästinenserin, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter vor einem Supermarkt steht, erzählt, sie habe vor ihrer Flucht nach Deutschland im Libanon ein Kopftuch getragen. Hier wolle sie ihre Haare nicht bedecken. Denn das Kopftuch mache die Integration nur noch schwieriger:
    "Ich sehe andere Frauen, die so viel Diskriminierung erleben. Ja, und wir haben kein Land und müssen irgendwo leben. Hier haben wir eine gute Chance zum Leben."
    "Ich glaube, dass es eine Stellvertreterdebatte ist"
    Auch sie hält nichts von einem Burka-Verbot, sagt sie. Und ihr Mann ergänzt, er fände es nicht gut, wenn eine Frau ihr Gesicht verdecke. Aber die Frau solle sich selbst entscheiden, wie sie sich kleide. Am jüngsten Tag müsse sich schließlich jeder selbst vor Gott verantworten.
    Vielfältige Meinungen in der arabisch geprägten Sonnenallee über ein Phänomen, das gar nicht zu existieren scheint: Burka-Trägerinnen. Neuköllns parteiloser Integrationsbeauftragter Arnold Mengelkoch hat noch nie eine Burka-Trägerin gesehen, sagt er, aber Frauen mit einem Niqab, also einem Ganzkörper-Schleier, bei dem nur die Augen durch einen Schlitz zu sehen sind:
    "Zurzeit fällt mir auf, dass es vielleicht zwei, drei sind, die hier am U-Bahnhof Hermannstraße, Karl-Marx-Straße mit auffallen. In der Sonnenallee ist mir keine einzige aufgefallen."
    Neukölln hat über 300.000 Einwohner, davon sind 60.000 Muslime, sagt die Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey. Aber ein Burka-Problem gebe es in Neukölln schlicht nicht:
    "Ich glaube, dass es eine Stellvertreterdebatte ist für alle Ängste und Sorgen, die sich mit dem Islamismus, mit den aktuellen terroristischen Anschlägen, mit allen Ängsten verbinden, die im Moment damit einhergehen."
    "Die modernen, progressiven Tendenzen im Islam unterstützen"
    Im Unterschied zur CDU, die sich offen für ein Burka-Verbot ausspricht, ist die Position der SPD, der Giffey angehört, nicht eindeutig. Die Bürgermeisterin selbst findet, über ein Verbot müsse diskutiert werden, auch wenn es so gut wie keine Frauen gebe, die eine Burka tragen. Dieses Kleidungsstück transportiere ein rückwärtsgewandtes Religionsverständnis. Es käme aber darauf an, progressive Frauen zu stärken:
    "Das bedeutet zum Beispiel ein klares Bekenntnis gegen Zwangsheirat, gegen arrangierte Ehen, für die freie Partnerwahl, für die Wahl, welchen Schulabschluss jemand machen will, für die freie Wahl, wie jemand leben möchte. Und das müssen wir unterstützen, die modernen, progressiven Tendenzen, die im Islam sich ja hier auch befinden. Das muss der Fokus sein."