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Debatte über die Ursachen von Gewalt

Meurer: Eine ganze Nation fragt sich: warum entschloss sich der 19jährige Robert Steinhäuser, Amok zu laufen und wahllos seine ehemaligen Lehrer und Lehrerinnen zu erschießen? - Ein Grund dafür könnte sein, dass der 19jährige offenbar intensiv Gewaltvideos angeschaut hat, Killerspiele auf seinen PC geladen haben soll. Gewalt auch im Fernsehen. Stumpfen Jugendliche ab? Sinkt die Hemmschwelle, um selbst Gewalt anzuwenden? - Bundeskanzler Schröder trifft sich heute mit den Intendanten, um darüber zu reden, ob und wie die Fernsehsender sich bei der Ausstrah-lung von Gewaltszenen mehr zurückhalten können und sollen. An diesem Treffen heute Abend nimmt auch Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) teil. Bei uns ist sie jetzt am Telefon. Guten Morgen Frau Bergmann!

    Bergmann: Schönen guten Morgen!

    Meurer: Was meinen Sie: zeigen die Fernsehsender zu viel Gewalt?

    Bergmann: Für meinen Geschmack dürfte es durchaus weniger sein, auch das was nachmittags schon so gelegentlich über den Bildschirm flimmert. Nun sagen zwar immer alle Experten, das können Kinder und Jugendliche verkraften, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein großer Verlust wäre, wenn wir davon etwas weniger in den Medien hätten. Es ist wichtig, dass man darüber auch mal reden, jedenfalls über das, was sowieso verboten ist oder verboten werden muss oder rechtlich geregelt werden muss, wie wir überhaupt mit dem Thema Gewalt in der Gesellschaft umgehen, was wir uns dort untereinander zumuten.

    Meurer: Wird das bei dem Treffen heute Abend so eine folgenlose Diskussion mit den Fernsehintendanten?

    Bergmann: Ich denke der Kanzler hat eingeladen, weil uns allen das Thema sehr wichtig ist und weil klar ist, dass es hier auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung gibt. Das muss man natürlich mit den Partnern auch besprechen, welche Wege kann man gehen, wie gehen wir mit dem Thema insgesamt um. Ich finde das sehr wichtig, dass ein solches Gespräch stattfindet.

    Meurer: Die Intendanten sagen ja jetzt schon, die freiwillige Selbstkontrolle funktioniere doch gut. Werden Sie ihnen da heute Abend mal ins Gewissen reden?

    Bergmann: Wir haben freiwillige Selbstkontrolle. Das ist klar. Wir haben auch die Möglichkeit der Indizierung. Von der Seite her sind die schlimmsten Gewaltdarstellungen natürlich zu verhindern oder auch vom Markt zu nehmen oder vom Bildschirm zu nehmen. Aber das wird nehme ich an heute nicht so sehr das Gespräch sein, ob dieses alles schon reicht, sondern ob wir uns selber vielleicht mal überlegen, ob wir das was tagtäglich an Gewalt dargestellt wird eigentlich wollen, ob das gut ist, ob man sich nicht selbst Beschränkungen auferlegen kann.

    Meurer: Inwieweit glauben Sie eigentlich regt Gewalt im Fernsehen Jugendliche an, gewalttätig zu werden?

    Bergmann: Experten sagen immer, dass nur dort so etwas in Erscheinung tritt, wo bestimmte Faktoren zusammentreffen, wenn wir sehr verunsicherte Jugendliche haben mit einem starken Geltungstrieb, der aber nirgendwo ausgelebt werden kann, wenn ein hoher Frust da ist, wenn auch die Möglichkeit vorhanden ist, diese Gewalt abzureagieren, denn wir wissen natürlich auf der anderen Seite auch, die meisten Kinder, Jugendliche und auch Erwachsenen gucken sich so etwas an, für die bleibt das folgenlos. Aber trotzdem denke ich sollen wir über das Thema nachdenken, weil vor allen Dingen für mich immer wichtig ist, dass Kinder schon begreifen, mit Gewalt löst man keine Probleme. Sie müssen es aber auch selbst schon spüren. Sie müssen merken, dass in der Familie eben nicht geohrfeigt wird, wenn es einen Konflikt gibt, dass auf dem Schulhof nicht geschlagen wird, dass man sich darum bemüht, in der Gesellschaft ein Klima zu haben, wo Gewalt als Konfliktlösung eben auch geächtet wird.

    Meurer: Dass sich auf Schulhöfen geschlagen wird, ist Alltag an deutschen Schulen behaupte ich einmal. Gibt es dort einen Zusammenhang?

    Bergmann: Ich kenne eine ganze Menge Schulen, die sich wirklich sehr darum kümmern, die auch Schülerinnen und Schüler als Konfliktlotsen ausbilden, die dann in dem Moment wo sie merken, da eskaliert etwas, auch wissen, wie man dazwischen geht, um denjenigen vielleicht klar zu machen, dass es nicht auf die Muskeln ankommt, sondern auf das, was man im Kopf hat, dass man intelligenter mit Konflikten umgehen kann. Man sollte nicht so tun, als ob auf den Schulhöfen permanent geprügelt wird. Zu meiner Zeit ging es übrigens auch nicht immer nur ganz friedlich zu, aber dass sich Schulen gezielt um das Thema Konfliktlösung kümmern, das halte ich schon für sehr wichtig. Ich glaube das muss auch weiter verfolgt werden.

    Meurer: Wenn Sie gerade eben den Vergleich mit früher gezogen haben glauben Sie nicht, dass Jugendliche heute gewalttätiger sind als früher?

    Bergmann: Sie sind aggressiver. Das ist ganz klar. Die Hemmschwelle ist auch niedriger, wenn ich es mit meiner Jugend - die liegt schon eine Weile zurück - vergleiche. Wir haben aber auch Daten auf dem Tisch und die Kriminalstatistik zeigt, dass Gewalttaten an den Schulen zurückgegangen sind, auch in der Gesellschaft, was uns nicht tröstet, gerade wenn wir anlässlich eines solchen schrecklichen Ereignisses mal wieder sehr genau hingucken, was passiert denn überall.

    Meurer: Das Thema Fernsehen steht heute Abend auf der Tagesordnung. Da gibt es natürlich auch noch den Bereich Gewaltvideos, PC-Spiele, Gewalt im Internet. Der bayerische Innenminister Beckstein wirft Ihnen da vor, in Ihrem Innenministerium beim Jugendschutzgesetz sozusagen geschlafen zu haben. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?

    Bergmann: Das ist Unfug. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben ja schon rechtliche Regelungen. Im Bereich der Videos gibt es eine Alterskennzeichnung. Da gibt es strenge Regeln, an welche Altersgruppe diese abgegeben werden können. Die dürfen noch nicht mal gemeinsam gelagert werden oder in den Räumen an Jugendliche abgegeben werden oder an Kinder, wo andere da sind. Das ist streng geregelt. Wir haben Lücken im Bereich der Computerspiele und wir sind daran schon seit ungefähr anderthalb Jahren. Da liegt ein Entwurf auf dem Tisch. Der muss mit den Ländern abgestimmt werden; das ist klar. Es gibt hier sehr weitreichende Länderkompetenzen in dem Bereich und es gibt Bundeskompetenzen. Wir waren eigentlich im Dezember so weit, dass wir sagten, jetzt können wir das gemeinsam vereinbaren. Da gab es ein Land, das nicht mitgespielt hat, und das war Bayern. Das muss ich dem Herrn Beckstein sagen; das weiß Herr Beckstein auch. Wir haben dadurch viel Zeit verloren und haben diese Übereinkunft jetzt erst im März hinbekommen, so dass wir jetzt erst das richtige Gesetz erarbeiten konnten.

    Meurer: Werden Sie jetzt nach Erfurt noch mal nachbessern beim Jugendschutzgesetz?

    Bergmann: Wir legen das auf den Tisch und da werden wir auch wieder gemeinsam sehen. Es sind ja nun viele Mitspieler dabei: die Länder, die Fraktionen. Da werden wir sehen, ob wir hier noch Verschärfungen einbauen können. Vor allen Dingen müssen wir eben Lücken schließen: Alterskennzeichnung bei Computerspielen. Es muss im Bereich des Internet - da sind wir dann in der Länderkompetenz - mehr getan werden. Da gibt es einige Möglichkeiten, dort heranzukommen, wenn wir es auch nie hundertprozentig schaffen. Wir haben die Kompetenzen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in diesem Gesetz erweitert, so dass auch im Internet indiziert werden kann. Da haben wir rechtlich doch eine ganze Menge geregelt, aber ich glaube es muss auch sehr viel mehr, wie der Bundesinnenminister ebenso sagte, Gebrauch gemacht werden von dem § 131 des Strafgesetzes. Da ist ja strafrechtlich schon viel geregelt, was nicht vergessen werden darf: gewaltverherrlichende Darstellung. Diesen muss man auch mal benutzen und auch strafrechtlich verfolgen, damit wir das Zeug gar nicht erst auf dem Markt haben, was wir dann immer mühsam versuchen, von den Kindern fern zu halten.

    Meurer: Bundesfamilienministerin Christine Bergmann heute Früh bei uns im Deutschlandfunk und ich muss mich entschuldigen für die schlechte Telefonqualität. - Frau Bergmann, besten Dank und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio