Wer hat die Debatte ausgelöst?
Anlass für die Debatte war ein "Spiegel"-Interview mit dem Co-Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter. Darin begrüßte er eine Entscheidung eines Hamburger Bezirks, wonach keine Einfamilienhäuser in Bebauungsplänen mehr vorgesehen sind.
"Angesichts der dramatischen Wohnungsnot und der Tatsache, dass Boden endlich ist, hat Hamburg-Nord entschieden, Wohnraum für viele statt für wenige zu schaffen", sagte Hofreiter dem "Spiegel". Zugleich betonte er, die Grünen wollten "nicht die eigenen vier Wände verbieten". Die könnten übrigens sehr verschieden aussehen: Einfamilienhaus, Reihenhaus, Mehrfamilienhaus, Mietshaus. "Wo was steht, entscheidet allerdings nicht der Einzelne, sondern die Kommune vor Ort", sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete weiter.
Welche Reaktionen gab es?
Im März 2021 stehen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz an. Entsprechend harsch fielen die politischen Reaktionen auf Hofreiters Interview-Aussagen aus. CSU-Chef Markus Söder sprach vom "typisch linken Gesicht" der Grünen. CDU-Politiker warfen den Grünen ein gestörtes Verhältnis zum Eigentum vor. Es gab aber auch Stimmen aus der CDU, die Hofreiters Kritik an der Zersiedelung verteidigten. Auch von der FDP und von der SPD kam Kritik. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sagte, hinter Hofreiters Vorstoß stecke ein "Angriff auf Freiheit und Eigentum und der sozialistische Ungeist der Kollektivierung der Gesellschaft".
Unterstützung bekamen die Grünen von der Linken. "Man muss den Flächenverbrauch reduzieren, aus sozialen Gründen und aus Gründen des Klimaschutzes", sagte Parteichef Bernd Riexinger. Grünen-Chef Robert Habeck sagte, man sei nicht prinzipiell gegen den Bau von Einfamilienhäusern.
Die Aussagen von Hofreiter würden "parteipolitisch ausgeschlachtet" - in der Debatte werde versucht, die Grünen wieder als Verbotspartei darzustellen, sagt Panajotis Gavrilis, Korrespondent im Hauptstadtstudio des Deutschlandfunks. "Das trifft sie natürlich ins Mark. Wir erinnern uns an Veggie Day." Zugleich sei das angesprochene Thema wichtig, so die Einschätzung von Gavrilis. Es gehe um Wohnen, um bezahlbaren Wohnraum. Und diese wichtige soziale Frage könne im Laufe des Wahljahres wieder stärker ins Zentrum der politischen Debatte rücken.
Was sagen Verbände und Interessenvertreter?
Stefan Petzold vom Naturschutzbund Nabu sagte im Deutschlandfunk: "Unsere Nabu-Position ist so, dass wir nicht gegen Einfamilienhäuser per se sind. Aber wir sind vor allen Dingen für eine effektivere Flächennutzung. Und der Logik gemäß passiert diese besser mit Mehrfamilienhäusern als mit Einfamilienhäusern, weil einfach auf dem gleichen Raum mehr Familien oder mehr Bewohnern Wohnfläche gegeben werden kann." Man müsse freie Grünflächern stärker vor Bebauung schützen - etwa durch die Aufstockung von bestehenden Gebäuden.
Vertreter der Immobilienbranche bemängelten indes, schon jetzt komme der Wohnungsbau nur quälend langsam voran. "Der Mangel an Baugrundstücken sowie die hohen Preise für Bauland sind deutschlandweit der Flaschenhals beim Wohnungsbau, insbesondere in den Ballungsregionen", hieß es vom Verband der Wohnungswirtschaft GDW. Viele Kommunen hätten in den vergangenen Jahrzehnten neues Bauland nur noch sehr spärlich ausgewiesen.
Welche Wohnkonzepte sind beliebt?
Laut Statistischem Bundesamt befinden sich 31 Prozent aller Wohnunterkünfte in Einfamilienhäusern - diese nehmen aber 41 Prozent der bebauten Fläche ein. Umgekehrt verhält es sich mit Mehrfamilienhäusern: 42 Prozent der Wohnunterkünfte entfallen auf 33 Prozent der Fläche. Pro Jahr werden derzeit rund 100.000 neue Einfamilienhäuser genehmigt. Beim Flächenverbrauch gibt es zudem ein Stadt-Land-Gefälle: In Gemeinden unter 2000 Einwohnern werden im Schnitt 1545 Quadratmeter pro Einwohner "verbraucht", in Großstädten mit mehr als einer halben Million Einwohnern sind es nur 219 Quadratmeter.
Das Umland der großen Städte ist schon seit Jahren extrem begehrt. Dorthin ziehen besonders viele Menschen. Experten gehen davon aus, dass sich dieser Trend in der Coronakrise, in der viele nicht mehr jeden Tag ins Büro pendeln, noch verstärken wird - zumal die neue Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsorts sich auch nach dem Ende der Pandemie ein Stück weit erhalten dürfte.
Quellen: tei, mit Material von dpa und AFP