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Debatte über G20-Krawalle
"Indifferentes Verhalten der SPD, wenn es nach links geht"

CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn fordert eine Debatte darüber, wo der Nährboden für die gewalttätigen Krawalle rund um den G20-Gipfel in Hamburg liegt. Im Dlf warf er insbesondere Teilen der SPD, aber auch Linken und Grünen ein gleichgültiges Verhältnis zum Linksextremismus vor.

Jens Spahn im Gespräch mit Christiane Kaess | 12.07.2017
    Jens Spahn ist Mitglied im Präsidium der CDU und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.
    Jens Spahn ist Mitglied im Präsidium der CDU und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. (Imago)
    Christiane Kaess: Es ist Wahlkampf in Deutschland, und auch wenn es erst einmal nicht so scheint, als hätte der G20-Gipfel damit zu tun, so kommt der manchen doch gerade recht. Zum Schaden der SPD, die mit dem sozialdemokratischen Bürgermeister Hamburgs Olaf Scholz in der Kritik steht und der als linke Partei eine vermeintliche Nähe zu den Krawallmachern nachgesagt wird, und zum Vorteil der CDU, die obwohl Bundeskanzlerin Angela Merkel die Gastgeberin des Gipfels war sich aus der Affäre zieht. Außenminister Sigmar Gabriel von der SPD, dem platzt jetzt der Kragen. In den Zeitungen der Funke-Mediengruppe wirft er der Union heute ein, "bisher nicht gekanntes Maß an Verlogenheit" in der Diskussion über die G20-Krawalle vor, ein "doppelzüngiges Schwarze-Peter-Spiel" und einen "infamen und bösen Wahlkampf". Angela Merkel, die bleibt gelassen. Darüber sprechen möchte ich mit Jens Spahn. Er ist Mitglied im Präsidium der CDU und Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium. Guten Morgen, Herr Spahn.
    Jens Spahn: Schönen guten Morgen! – Hallo!
    Kaess: Herr Spahn, Sie haben die Randalierer als Linksfaschisten bezeichnet und werfen der Linkspartei und Teilen von SPD und Grünen vor, auf dem linken Auge völlig blind zu sein. Wundern Sie sich eigentlich, wenn Sigmar Gabriel der Union jetzt Verlogenheit vorwirft?
    Spahn: Nein. Das ist ja ein typischer Gabriel, was wir da sehen. Er macht jetzt den dicken Max, um von der eigentlichen Debatte abzulenken. Und die eigentliche Debatte ist natürlich, wie es überhaupt passieren konnte, dass mit Roter Flora, mit Rigaer Straße in Berlin so eine linksextreme Szene so eine Basis hat auch in der Gesellschaft, in Teilen der Gesellschaft, bei der Linkspartei, Teilen von Grünen und SPD so eine Akzeptanz hat. Bis dahin, dass die ehemalige Familienministerin und heutige Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Frau Schwesig, gesagt hat, das ist ein aufgebauschtes Problem. Wenn das am Wochenende in Hamburg ein aufgebauschtes Problem ist, dann hat offensichtlich die SPD ein Problem.
    "Wenn man einen solchen Nährboden hat, wird sich das immer weiter entwickeln"
    Kaess: Herr Spahn, die Debatte geht ja eigentlich darum, wer die Verantwortung für den Gipfel hat. Was können denn SPD, Linkspartei und Grüne dafür, wenn Demonstranten Steine und Molotow-Cocktails auf die Polizei werfen?
    Spahn: Na ja. Die Frage ist ja, wo auch der Nährboden dafür liegt. Und die Rote Flora in Hamburg ist seit Jahren ja eine Debatte, dass da auch Kurse im Übrigen, wie man Polizisten angreift, wie man sich bei Demonstrationen eben so verhält, dass man der Polizei das Leben möglichst schwermacht, angeboten werden. Und wenn man einen solchen Nährboden hat, dann wird das sich immer weiter entwickeln. Man muss den Anfängen wehren und das ist das, was wir in Hamburg gesehen haben. Stellen Sie sich doch nur eine Sekunde vor, ein solches Zentrum, eine solche Institution gäbe es in der rechten Szene. Zurecht wäre die Aufregung jeden Tag groß. Zurecht wären jeden Tag Demonstrationen, bis das Ding geschlossen ist. Und so muss es auch bei Linksextremismus sein.
    Kaess: Aber diesen Nährboden, den gibt es ja in anderen Städten auch, zum Beispiel in Berlin, und da hat sich auch unter CDU-Regierung nichts daran geändert. Also noch mal meine Frage: Was kann eigentlich die SPD dafür?
    Spahn: Es macht es ja nicht besser, wenn es das in Berlin auch gibt.
    "Gabriel will ablenken von der eigentlichen Debatte"
    Kaess: … und die CDU da auch nichts dagegen tun konnte.
    Spahn: Das Problem ist doch das indifferente Verhältnis. Ich habe gerade Frau Schwesig zitiert, die gesagt hat, Linksextremismus ist ein aufgebauschtes Problem, die die Klausel abgeschafft hat bei der Förderung von Verbänden, vor allem auch in der Arbeit gegen Rechtsextreme, dass man sagen muss, das ist relativ banal, dass man auf der Basis des Grundgesetzes agiert. Wir haben einen Justizminister, der in einem Buch geschrieben hat oder auch in Tweets geschrieben hat, dass Bands, die gegen Rechtsextremismus was tun, das ist gut, die aber gleichzeitig darüber singen, dass Bullen geklatscht werden sollen, dass das gute Bands sind. Und all das zeigt eben, dass das ein sehr indifferentes Verhalten ist, wenn es nach links geht. Und das weiß eben auch Herr Gabriel. Deswegen macht er jetzt den Krawall, den er da macht, weil er ablenken will von der eigentlichen Debatte. Und die eigentliche Debatte ist, warum diese Gesellschaft gegen Linksextremismus nicht genauso klar ist wie gegen Rechtsextremismus.
    Kaess: Wenn die Union so wenig Vertrauen bei der inneren Sicherheit zur SPD hat, warum wurde dann der G20-Gipfel eigentlich in einer SPD-regierten Stadt abgehalten?
    Spahn: Das ist ja nicht das eigentliche Thema. Es muss ja möglich sein, dass ein G20-Treffen, ein Treffen von Staats- und Regierungschefs, weiterhin in deutschen Großstädten stattfinden kann. Wo sind wir denn, dass jetzt die Chaoten entscheiden, wo die Konferenzen stattfinden. Das war eine gemeinsame Entscheidung, das steht auch außer Frage, der Bundesregierung auch mit dem Hamburger Bürgermeister.
    Kaess: Also hat auch Angela Merkel das Gewaltpotenzial in der Stadt unterschätzt?
    Spahn: Nein! Wir haben alle, glaube ich, nicht ahnen können, dass das da so passiert, und natürlich muss das aufgearbeitet werden.
    Kaess: Wie kommt es denn zu dieser Fehleinschätzung der Kanzlerin?
    Spahn: Wieso der Fehleinschätzung der Kanzlerin? Entschuldigen Sie, Frau Kaess. Es geht doch im Kern darum natürlich, dass der Polizeieinsatz jetzt aufgearbeitet werden muss, das wird er auch vor Ort werden, und dass natürlich in Hamburg die Debatte über Verantwortlichkeiten entsteht. Und es ist doch ganz normal, dass wenn der Bürgermeister von Hamburg sagt, das wird so sein wie ein Hafenfest, und die Bürger werden anschließend gar nicht gemerkt haben, dass was stattgefunden hat, dass es jetzt diese Debatte da in Hamburg gibt. Und das muss natürlich dann auch diskutiert werden. Und ich glaube, Herr Scholz weiß ganz genau, dass eine solche Aussage natürlich jetzt auch zu Fragen führt.
    Kaess: Und wenn jetzt aufgearbeitet werden muss, was da in Hamburg passiert ist, dann muss ja auch darauf geguckt werden, was davor übersehen worden ist. Olaf Scholz, der hat jetzt noch einmal in einem Interview darauf hingewiesen, dass es kurz vor dem Gipfel noch einmal ein Gespräch mit der Kanzlerin und den Chefs aller Sicherheitsbehörden gegeben habe. Und Olaf Scholz sagt, niemand von denen hat gewarnt, der Gipfel könne in Hamburg nicht stattfinden. Im Gegenteil: Alle waren beeindruckt von der Professionalität der Vorbereitung. Also hat auch die Kanzlerin sich hier verschätzt?
    Spahn: Na ja, es war natürlich offensichtlich eine Fehleinschätzung in Teilen auch bei dem, was da an Gewaltpotenzial ist, in der Vorbereitung.
    "Als hätte die Polizei irgendeine Verantwortung dafür"
    Kaess: Also trägt Angela Merkel auch eine Verantwortung dabei?
    Spahn: Wissen Sie, das ist doch - Sie wollen jetzt unbedingt eine Aussage haben, dass da Verantwortungen sind bei Herrn Scholz oder Frau Merkel. Das ist doch gar nicht das eigentliche Thema. Das eigentliche Thema ist, wie in der deutschen Gesellschaft es sein kann, dass wir zulassen, dass es für Linksextreme einen solchen Nährboden gibt, dass so was wie am Wochenende in Hamburg passieren kann. Dass es Leute gibt, die Beifall klatschen, dass es Leute gibt, deren erste Frage ist, welchen Fehler hat die Polizei gemacht, als hätte die Polizei irgendwie eine Verantwortung dafür, dass das, was da passiert ist, passiert ist. Die Chaoten, die da Hass skandiert haben, sind angereist, um das zu tun, was sie getan haben. Und die eigentliche Debatte in Deutschland muss sein – und das weiß auch Herr Gabriel und die Debatte versucht er zu vermeiden -, warum es ein solch indifferentes Verhältnis von Teilen der SPD, von Teilen der Grünen und von der Linkspartei zum Linksextremismus in Deutschland gibt. Das ist die eigentliche Debatte und die muss geführt werden.
    Kaess: Also doch Fragen der Verantwortung. Da geht ja im Moment so ein bisschen unter, dass auch der Bund Mitverantwortung hat an der Sicherheitslage. Das Bundesinnenministerium ist zum Beispiel verantwortlich dafür, dass die Gewalttäter nach Hamburg überhaupt reisen konnten, und das Bundesinnenministerium ist bekanntlich CDU-geführt.
    Spahn: Dass jetzt im Nachgang natürlich aufgearbeitet werden muss, was ist gut gelaufen – es ist übrigens vieles gut gelaufen. Bei den Grenzkontrollen sind ja auch um die 700 Haftbefehle sogar vollstreckt worden, was nun mal zeigt …
    Kaess: Aber einige Gewalttäter sind durchgekommen. Das weiß man ja jetzt.
    Spahn: Was ja auch zeigt, dass Grenzkontrollen und Schleierfahndung Sinn machen. Und natürlich muss auch aufgearbeitet werden, was schlecht gelaufen ist. Das ist doch ganz normal nach einem Polizeieinsatz. Und dass es Dinge gibt, die besser gemacht werden können, ist, glaube ich, immer in jeder Situation so. Aber wissen Sie, Sie müssen sich doch nur mal eine Sekunde lang vorstellen, Sie oder ich, wir wären in der Nacht in der Situation in Hamburg als Polizist, als Polizistin unterwegs gewesen, unter was für einem Druck Sie da stehen. Dass da auch mal Fehler passieren, ist auch ganz normal. Und trotzdem muss es erst mal grundsätzlich heißen, dass wir uns hinter unsere Polizei stellen, hinter diejenigen, die da im Einsatz waren, nicht als erstes daran herumkritisieren, und trotzdem natürlich gleichzeitig die Frage stellen, was am Sicherheitskonzept noch verbessert werden kann.
    Pressefreiheit sei nicht in Gefahr gewesen
    Kaess: Herr Spahn, Fehler sind ja offenbar auch passiert dabei, dass 32 Journalisten die Akkreditierung nachträglich entzogen worden ist wegen Sicherheitsbedenken. Es gibt jetzt Spekulationen, dass dies auf Informationen der türkischen Behörden zurückgeht. Wer trägt denn da eigentlich die politische Verantwortung dafür?
    Spahn: Gut, da bin ich jetzt ehrlicherweise en detail auch nicht drin, wie genau das zusammenhängt mit Informationen der türkischen Sicherheitsbehörden. Ich weiß nur, dass um die 6.000 Journalisten in Hamburg waren. Da ist natürlich bei jedem Einzelnen zu schauen, dass die Pressefreiheit auch gewährleistet ist. Bei den 32 wird das jetzt sicherlich auch aufgearbeitet werden. Aber ich glaube, dass die Pressefreiheit in Gefahr gewesen ist in Hamburg, kann man angesichts von 6.000 akkreditierten Journalisten und im Übrigen auch angesichts dessen, was wir an Berichterstattung gesehen haben, nicht behaupten.
    Kaess: Wie muss das jetzt aufgearbeitet werden? Was muss die Bundesregierung tun?
    Spahn: Man muss jetzt genau schauen – das kann ich nicht beurteilen, Frau Kaess -, warum die Akkreditierungen aufgehoben worden sind, was da die Hintergründe sind. Die Fragen werden ja jetzt gestellt. Aber ich sage noch einmal: Angesichts der großen Zahl von Journalisten, die da waren, jetzt eine Debatte, wie sie einige führen - und einige fordern ja schon Untersuchungsausschüsse -, über eine Pressefreiheit in Deutschland führen, ich weiß nicht manchmal, ob wir da nicht sehr unverhältnismäßig auch Debatten führen. Das zeigt im Übrigen aber auch, dass es Sinn macht, dass solche Gipfel auch in Demokratien stattfinden und auch in Großstädten stattfinden können. Es kann doch nicht sein, dass solche Gipfel wegen der Proteste in Zukunft nur noch in Diktaturen stattfinden können, weil da herrscht im Zweifel Ordnung und da ist sicher keine Pressefreiheit, sondern so etwas muss auch stattfinden können in Deutschland, in Europa, in den westlichen Demokratien und wir müssen sicherstellen, dass das auch mit Schutz und Sicherheit für die Bevölkerung und für die Beteiligten stattfinden kann. Deswegen muss das aufgearbeitet werden, was da am Wochenende in Hamburg stattgefunden hat, und deswegen muss aufgearbeitet werden vor allem, woher der Nährboden für Linksextremismus in Deutschland kommt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.