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Debatte über Verfolgung
Alte Hexen, neue Hexen

Zigtausende Frauen starben auf dem Scheiterhaufen, schuld daran war die Kirche. Das ist die landläufige Lesart. Sie stimmt nicht ganz, sagt der Historiker Günter Dippold. Auch weltliche Herrscher verfolgten vermeintlich vom Teufel Besessene. Und ein Viertel der Opfer war männlich. Hexen von heute hören das nicht gern. Sie inszenieren sich als Rebellinnen: jung, frech und funky.

Von Thomas Klatt |
    Die Siluette einer Hexe im Rauch. Es ist der "Krampus" der in vielen Alpendörfern brauchgemäß den Winter austreibt.
    In vielen Alpendörfern treibt die Hexengestalt "Krampus" in einer traditionellen Aufführung den Winter aus. (imago stock&people)
    "Es gibt innerhalb der großen christlichen Kirchen Kräfte in der frühen Neuzeit, die für Hexereiprozesse votiert haben. Die hat man sehr stark in den Fokus genommen. Man hat das vermengt mit der Verfolgung mittelalterlicher Ketzer. Und man hat dann sozusagen die Kirche als Universalschuldige ausgemacht. Also die katholische Kirche, zumal sie seit der Aufklärungszeit immer im Odium der Rückständigkeit stand. Das hat man dann durch selektive Sichtungen von Quellenbelegen auch bestätigt gefunden."
    Der Bamberger Historiker Günter Dippold weiß, dass bis heute zahlreiche Halbwahrheiten rund um das Thema Hexenverfolgung kursieren. Und das nicht ohne Grund: Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gab es im Kulturkampf unter Reichskanzler Otto von Bismarck politische Kräfte, die an einer Falschdarstellung interessiert waren. Die römisch-katholische Kirche sollte als Hauptverantwortliche für die Hexenverfolgungen dargestellt werden. Ähnlich wollten dies später auch die Nationalsozialisten. Auf Geheiß Heinrich Himmlers forschte sogar ein "SS-Sonderkommando Hexen" in den Archiven:
    "Da ging es um Propaganda-Material gegen Kirchen. Es ging um vermeintliche biographische Betroffenheit. Heinrich Himmler hat sich ja nicht nur für eine Reinkarnation König Heinrichs des Ersten gehalten, sondern hat sich auch als Nachfahre einer im Schwäbischen im 17. Jahrhundert als Hexe hingerichteten Frau gesehen. Das ganze wurde diffus vermengt mit der Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung. Überdies hat man erwartet, in den Aussagen der Angeklagten Hinweise zu finden auf vorchristliche germanische Religionen."
    Mit dem Teufel im Bunde
    Die Hexenverfolgung war kein Ereignis des finsteren Mittelalters, sondern der frühen Neuzeit. Auch sind nicht Millionen weiser Frauen auf dem Scheiterhaufen gelandet, sondern die Opferzahlen belaufen sich - schlimm genug - in einem fünfstelligen Bereich. Seriöse Schätzungen gehen etwa von 30.000 verurteilten Hexen aus. Auch kaum bekannt: Mindestens jede vierte "Hexe" war ein Mann.
    "In Wahrheit findet in jedem Fürstentum ein Ringen statt zwischen Befürwortern und Gegnern einer massenhaften Verfolgung. Es waren in jedem Fall Juristen. Und da gibt es zwei Denkschulen, sehr holzschnittartig gesagt. Von der Prämisse ausgehend, es gebe Menschen, die mit dem Teufel im Bunde stehen, sagen die einen: Wir müssen diese üblen Sünder, die Gott abschwören, die sich mit dem Bösen verbinden, die das Altarsakrament schänden, die ihren Mitmenschen Schaden zufügen, Menschen gar umbringen, wir müssen diese Menschen auf Gedeih und Verderb herausfinden, müssen sie abstrafen, notfalls physisch vernichten.
    Und da gibt’s die anderen, die sagen: Vorsicht, der Teufel ist beteiligt, ob wir da die Richtigen finden. Also bevor wir Unschuldige auf den Scheiterhaufen oder unter das Beil des Henkers schicken, handeln wir lieber vorsichtig. Die beiden Kräfte rangen miteinander in jedem Fürstentum, in jeder Herrschaft im Prinzip und es war eine individuelle Entscheidung des Regierenden, des Fürsten oder der städtischen Oligarchie, ob verfolgt wurde oder nicht und damit hat das ganze eben auch zufälligen Charakter."
    Dass die Kirche als Alleinschuldige dasteht, hat vor allem mit einer Schrift zu tun: Der Dominikaner Heinrich Institoris schrieb 1486 den "Hexenhammer" und lieferte damit die theoretische Grundlage für alle künftigen Grausamkeiten. Ein Jahrhundert später wurden dessen Ideen von der weltlichen Obrigkeit aufgegriffen:
    "Genau das war Sache der weltlichen Herrscher. Wenn der Bamberger, der Würzburger oder der Eichstätter Fürstbischof tätig waren, dann waren sie nicht als Bischöfe tätig, sondern als Fürsten. Selbst diese Bischöfe hätten sich sauber verbeten, dass Rom sich in irgendeiner Weise in ihr Regiment einmischte, weil man sich zuerst als Fürst sah und als Fürst autark agieren wollte und allenfalls kaiserliche Einsprüche da hätten wirken können."
    Auch Priester wurden verfolgt
    Es gab sogar Regionen, in denen sich die Kirche explizit gegen Hexenverfolgungen einsetzte, weil man eben auch den Einfluss des Teufels auf die eigene Rechtsprechung befürchtete und ausschließen wollte.
    "Die moderne Inquisition wie sie in der nachreformatorischen Zeit geformt worden ist, hat im frühen 17. Jahrhundert, als es etwa in Süditalien Anläufe gegeben hat, massenhaft Prozesse durchzuführen, wie sie im deutschsprachigen Raum stattfanden, die vor Ort Tätigen gestoppt und hat gewarnt."
    Warum es aber immer wieder zu regelrechten Verfolgungswellen kam, ist bis heute umstritten. Ein Grund könnte zum Beispiel in nur regional auftretenden Missernten gelegen haben. Da mussten eben Schuldige das Wetter verhext haben. Andernorts steckten wohl politische Ränkespiele dahinter. Gleich alle Mitglieder der konkurrierenden Gegenpartei wurden als vermeintliche Hexen niedergemacht. Im Grunde konnte es jeden treffen, Männer wie Frauen, einfache Leute bis hin zu Klerikern.
    In Würzburg etwa sollen bis zu 50 Priester als Hexen hingerichtet worden sein. Sei es auf Druck des Volkes oder durch Machtränke der Stände kam es auch in kirchlichem Machtbereich immer wieder zu Prozessen, sagt Historiker Günter Dippold:
    "Es gibt Fürstentümer, die fast verfolgungsfrei sind und solche, bei denen Verfolgungen kulminierten. Und für beides gibt es katholische und evangelische Beispiele. Etwa wenn man an die Reichsstadt Nürnberg denken, die schon in den 1530er-Jahren die Vorstellung von Hexen als geradezu wahnhaft bezeichnete und sich auch gegenüber bürgerlichem Drängen resistent zeigte und dann erst nach dem 30-jährigen Krieg vereinzelt Prozesse durchführen ließ, schlimm genug. Es gibt aber umgekehrt auch evangelische Fürstentümer etwa im heutigen Thüringen oder im heutigen Oberfranken-Coburg oder auch Mecklenburg, in denen evangelische Fürsten sehr manifest verfolgen ließen."
    Der Hexenkommerz blüht
    Längst vorbei aber sind die Zeiten, als Menschen wegen Hexerei verfolgt wurden. Im Gegenteil bekennen sich Frauen heute offen dazu, Hexen zu sein. Sie legen Karten, halten Hexenstammtische ab oder führen geheime Rituale nur für Eingeweihte durch. An kritischen Fragen von Journalisten sind sie meist weniger interessiert, wie eben auch an einer wissenschaftlichen Betrachtung der historischen Hexenverfolgung. Matthias Pöhlmann, Weltanschauungsbeauftrager der bayrischen Landeskirche, beschäftigt sich schon lange mit dem Thema alte und neue Hexen:
    "In der neuen Hexenszene überwiegt eher eine wissenschaftskritische Einstellung. Das heißt, man unterstellt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein bestimmtes Bild, wonach die Hexen damals verfolgt und millionenfach ermordet wurden. Heute dient die Hexe von damals für die neuen Hexen als Projektionsfläche für individuelle Sehnsüchte. Man sieht in diesen Hexen einen Typ naturnaher Spiritualität, was natürlich den wissenschaftlichen Forschungen überhaupt nicht standhält."
    Es herrsche in der Esoterik-Szene die Vorstellung, dass Hexen ein Geheimwissen gehabt hätten, das von der Kirche gefürchtet und bekämpft worden sei. Matthias Pöhlmann sagt:
    "Es wird bei diesem Mythos davon ausgegangen, dass die damals Ermordeten und Hingerichteten weise Frauen und Hebammen seien. Und jetzt versuchen diese 'neuen' Hexen das dahingehend zu erklären, dass sie sagen, diese Hexen hätten ein esoterisches Wissen gehabt, das mit der Verfolgung und Hinrichtung dieser so genannten 'alten' Hexen verloren gegangen sei. Es sei sozusagen in den Untergrund gegangen. Jetzt, durch das Aufkommen neuer Hexen, werde es jetzt wieder verbreitet und der Kreis schließt sich. Andere gehen weiter und sagen, die alten Hexen werden wiedergeboren. Es überwiegt dann die Vorstellung eines Reinkarnationsglaubens, dass jetzt mit den neuen Hexen diese alten Hexen wieder kommen."
    Für den evangelischen Theologen Matthias Pöhlmann aber ist klar, dass die neuen Hexen unserer Zeit mit den Justizopfern von einst, also den sogenannten "alten" Hexen, kaum etwas gemein haben. Wenn man so will, werden die Verbrannten und Hingerichteten von damals erneut missbraucht, um daraus eine eigene Spiritualität zu konstruieren.
    "Die Hexe gilt nicht mehr als düster, schreckensvoll, sondern sie gilt als jung, attraktiv und funky. Und das schlägt sich nieder in einem richtigen Hexenkommerz. Es gibt Anleitungsbücher, Hexentipps für Frauen ab 40. Es ist eine Art Projektionsfläche oder Containerbegriff, wo man eigene Bedürfnisse und Sehnsüchte hineinlegen kann. Die Hexe wird damit auch zum Spiegelbild des aufmüpfigen Frauseins heute, das sich gegen jede Form von Konventionen wendet. Dass die Identifikationsfigur nicht mehr Pipi Langstrumpf ist, sondern Bibi Blocksberg."