Ensminger: Bleiben wir aber trotzdem nochmals bei den Niedriglohnjobs. Die Union schlägt vor, auf 400 Euro anzuheben. In der Hartz-Kommission heißt es 500 Euro. Das hört sich ja fast so an, als würden sich SPD und CDU sich gegenseitig übertrumpfen wollen.
Späth: Ja, das finde ich schon lustig. Erst waren die 400 Euro zu hoch, und man war bei 324 Euro. Jetzt geht man bis auf 500 Euro. Das ist ein unsinniger Wettbewerb. Ich glaube, wichtiger ist, dass wir zu einer Grundentscheidung kommen. Wenn nämlich diese Sozialversicherungssache bleibt und dann die Beschränkung der Jobs in Einzelbereichen, dann können Sie keine Dynamik da reinbringen. Nehmen Sie einen Gastronomen, der solche Jobs macht; wenn er 20 Prozent Steuern bezahlt, dann weiß er: Der Jobs kostet mich 480 Euro, nämlich 400 Euro für den Mann - der hat dann die 400 Euro -, und 20 Prozent, nämlich 80 Euro zahle ich an das Finanzamt. Dann ist diese Versicherungsproblematik da, aber die kann man ja lösen. Der Bund zahlt ja Milliarden Zuschüsse an die Rentenversicherung, und dann kann man im Grunde mit diesem Betrag das ausgleichen. Wenn er jetzt Krankenkassenabrechnungen macht, dann kann es ihm passieren, dass er mit elf Krankenkassen abrechnen muss, und da scheuen sich dann die Leute davor. Das ist wieder ein Riesenapparat von Bürokratie.
Ensminger: Nun ist das Ganze ja kein so einfaches Thema. Es wird ja immer wieder versucht, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Bislang hat es noch keine Regierung richtig geschafft. Aber jetzt kritisieren Sie die Hartz-Kommission und sagen, sie seien ganz verwirrt. Anfangs fanden Sie alles noch ganz prima.
Späth: Ja, am Anfang glaubte ich, sie hätten ein geschlossenes Konzept. Und was Hartz mit seinen 13 Modulen vorgehabt hat, da haben wir ein paar Beanstandungen gehabt. Das gilt insbesondere für den Arbeitslosenversicherungssektor. Man kann nicht eine Versicherung disponieren. Eine Versicherung ist eine Versicherung, das heißt was ich einbezahlt habe, kriege ich nach einem bestimmten Tarifsystem im Versicherungsfall wieder raus. Das und ein paar andere Dinge haben wir beanstandet, aber da waren gute Vorschläge, und als geschlossenes Konzept diskutabel. Ich habe furchtbar viel Ärger bekommen, zum Teil von meinen Freunden, weil ich es gelobt habe. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass diese Kommission einknickt, wenn die erste Gruppe, zum Beispiel die Gewerkschaften sagen: Das findet mit uns nicht statt. Und wenn dann die zweite Gruppe kommt und sagt: Das findet mit uns nicht statt, dann knickt sie dort ein und sagt: Jawohl, wir wollen es doch anders machen. Und jetzt kommt sie laufend mit neuen Vorschlägen. Und zum Beispiel im Osten hat sie überhaupt kein Konzept, und da brennt es nun wirklich. Ich komme gerade vom Wochenende in Mecklenburg-Vorpommern, und ich kann nur sagen: Da können wir nicht mehr lange warten mit Vorschlägen, sonst haben wir dort eine Arbeitslosigkeit, die extrem hoch ist, und wir haben vor allem Flächen, wo wir nichts mehr Neues ansiedeln können, wenn das Alte abgestorben ist.
Ensminger: Bei einer Sache, den Personalserviceagenturen, ist die Kommission bislang nicht weggeknickt. Die Arbeitslosen mit Kündigungsschutz und Tarif sollen eingestellt werden. Das haben Sie anfangs noch als sehr positiv gesehen. Jetzt kritisieren Sie es.
Späth: Ich habe klar gesagt: Ich bin dafür, dass wir solche Jobcenters machen, und dass wir solche Personalvermittlungskommissionen machen. Ich habe allerdings dazu gesagt: Es darf keine rein staatliche Einrichtung werden, denn wenn jetzt im Ergebnis rauskommt, dass diese Agenturen nichts anderes als staatliche Tochtergesellschaften sind, die die Arbeitslosen einstellen, mit Tarif und Kündigungsschutz, dann haben Sie überhaupt keine Arbeitslosen mehr, sondern Sie haben vier Millionen zusätzliche Staatsangestellte. Und dann kann mir überhaupt niemand erklären, was der Zweck dieser Veranstaltung sein soll.
Ensminger: Aber Vermittlungsagenturen haben Sie gelobt.
Späth: Aber natürlich, Vermittlungsagentur ist doch etwas ganz anderes. Ich kann doch im Arbeitsamt an einer Stelle sagen, dort ist eine Vermittlungsagentur. Lassen Sie uns das ganz praktisch machen. Was viel wichtiger ist, da passiert der Fall Babcock, da passiert Abbau bei den Banken. Da brauche ich doch ein Netzwerk von Task-Forces in den verschiedenen Arbeitsämtern, wo möglicherweise diese Leute unterkommen, und dieses Netzwerk muss geschlossen werden in Vermittlungsagenturen, und das ist der entscheidende Punkt. Aber das hat doch nichts damit zu tun, dass ich jetzt plötzlich eine neue GmbH als staatliche Tochter gründe, und in der die Leute mit Tarif anstelle.
Ensminger: Kommen wir nun zum Osten. Der ehemalige Ministerpräsident Brandenburg meinte, die Arbeitsämter sollten in strukturschwachen Regionen zusätzliche kommunale Investitionsprogramme finanzieren. Das klingt ja nun, auch nach dem, was Sie am Wochenende beobachtet haben, gar nicht so unvernünftig.
Späth: Ja, das ist doch genau unser Vorschlag. Ich habe auch mit Stoiber darüber geredet. Nur: Warum soll es das Arbeitsamt machen? Das müssen die Kommunen machen.
Ensminger: Weil die Kommunen natürlich auch Schwierigkeiten mit ihrem Haushalt haben.
Späth: Entschuldigung, die Frage ist doch, wem Sie das Geld geben. Deshalb haben wir vorgeschlagen: Wir nehmen eine Milliarde aus den Rückflüssen der EU, geben diese Milliarde in ein kommunales Programm. Der Auftraggeber vor Ort, der die Handwerker retten kann, ist die Gemeinde. Die hat den Kindergarten, und die hat die Schule, wo die Toilette nicht in Ordnung ist.
Ensminger: Aber da rechnen Sie mit Geld, von dem wir noch gar nicht wissen, ob wir es wirklich haben.
Späth: Das Geld ist doch da. Das ist doch die lächerlichste Veranstaltung. Dieselbe Bundesregierung sagt: Eine Milliarde für den Osten haben wir nicht, vier Milliarden für Bildungsräte haben wir. Es gibt doch auf der ganzen Welt bei einem 500 Milliarden Haushalt nicht die Situation, dass sie eine Milliarde für ein Notprogramm bereitstellen können.
Ensminger: Und Sie wollen direkt zwei Milliarden bereitstellen?
Späth: Wir wollen eine Milliarde für dieses Programm, und eine zweite Milliarde wollen wir für die Gründer. Wir kriegen allein 4,5 Milliarden unerwartet von der EU zurück. Das ist ein feststehender Betrag, 4,55 Milliarden.
Ensminger: Aber wenn man jetzt nochmals bei Stolpe bleibt, Sie haben gesagt, das ist ja im Prinzip Ihr Vorschlag.
Späth: Ja, wir müssen investieren, statt Arbeitslose verwalten. Aber ich kann doch nicht über die Arbeitslosenämter investieren. Investieren müssen die Kommunen. Das sind die Träger der Einrichtungen.
Ensminger: Sie haben vor gar nicht langer Zeit gesagt, man müsste gemeinsam dieses Problem angehen.
Späth: Das tun wir ja auch.
Ensminger: Ja, aber jetzt ist die Kritik von Ihnen sehr harsch. Also wie soll es denn tatsächlich gemeinsam sein.
Späth: Ich habe doch jetzt gesagt, die Stolpe-Kritik ist überhaupt nicht harsch. Die Hartz-Kommission hat das Problem, dass sie jetzt kurz vor der Wahl steht. Morgen wird sie zum Bundeskanzler einbestellt. Das ist doch keine Kommission, die dauernd zur Berichtserstattung antreten muss. Eine Kommission hat ihren Auftrag, macht ihr Projekt fertig, geht nicht damit in die Zeitung, sondern geht damit zu ihrem Auftraggeber, liefert das Kommissionsergebnis ab, und dann ist die Verantwortung wieder bei der Politik. Und was hier passiert, ist dass jeden Tag eine Frohnatur irgendeine Äußerung aus der Hartz-Kommission abgibt, jedes Mal in eine andere Richtung, und dann die ganze Welt draufrennt und sagt: Machen wir das jetzt, oder machen wir das nicht?
Ensminger: Also ist die Kritik eher in Richtung Kommission gerichtet als im Inhaltlichen?
Späth: Ja, in Richtung des Verfahrens. Aber Sie sagen: Sie kritisieren und loben, was machen Sie jetzt? Wir haben zwei Dinge, die wir sofort machen können. Wir können erstens dieses Sofortprogramm Osten jetzt einleiten. Sie können nicht auf den Wahlkampf warten. Diese Handwerker gehen in den nächsten Monaten in den Bankrott. Und dann haben wir wieder Tausende von Arbeitslosen mehr, und zwar sowohl die Unternehmer als auch ihre Mitarbeiter. Und dann haben wir Zwangsausgaben in Nürnberg, weil es ja gesetzliche Ausgaben sind, und dann haben wir dieselben Milliarden, die wir jetzt investieren können, Mehrausgaben bei der Bundesanstalt. Das ist doch wirklich wahnwitzig.
Ensminger: Nun gibt es ja noch einen weiteren Vorschlag in Richtung Osten, die Wegzugsprämie nämlich einzustreichen, und die dann eben in die Schaffung von Arbeitsplätzen zu investieren. Das ist auch unter anderem ein Vorschlag von Stolpe. Ist das machbar?
Späth: Da bin ich mit allem einverstanden. Es ist doch Blödsinn, den Leuten noch eine Prämie zu geben, wenn sie gehen. Wenn die jungen Leute gehen, wir können das in vielen Fällen nicht vermeiden, räume ich einfach ein, weil wir keine Jobs dort haben, dann bin ich damit einverstanden, aber dann finden die jungen Leute einen Arbeitgeber und brauchen dafür nicht noch eine Prämie. Wir werden das nicht verhindern können, aber wir müssen doch nicht noch prämieren, dass sie wirklich gehen, und dann noch sagen: Ihr kriegt sie nur, wenn ihr drei Jahre nicht zurückkommt. Wenn die Leute aus der Not, keinen Job zu kriegen, schon in die alten Länder gehen, dann muss doch das Ziel sein, sie durch Jobs möglichst schnell wieder zurückzuholen, und dann ist der Vorschlag, wer immer ihn gemacht hat, richtig, die Prämie für Investitionen und Gründungsbeträge auszugeben, damit Unternehmen im Osten gegründet werden.
Ensminger: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio