Freitag, 19. April 2024

Archiv

Debatte um Abschieberegelungen
"Da muss man den Herkunftsländern nochmal entgegenkommen"

Der SPD-Politiker Uli Grötsch (SPD) hat nach Attacken von Asylbewerbern auf Passanten in Amberg dem Ruf nach härteren Gesetzen widersprochen. Es gebe kein Regelungsdefizit bei Abschiebungen, sondern Probleme mit dem Vollzug, sagte er im Dlf. Dringend nötig seien Rücknahmeabkommen mit afrikanischen Staaten.

Uli Grötsch im Gespräch mit Christoph Heinemann | 02.01.2019
    Uli Grötsch, SPD, Mitglied des Bundestags-Innenausschusses.
    Der SPD-Innenpolitiker Uli Grötsch (imago - Metodi Popow)
    Christoph Heinemann: In vielen Teilen des Landes verliefen die letzten Tage des alten und die ersten Stunden des neuen Jahres friedlich. In mindestens drei Städten nicht: Im oberpfälzischen Amberg schlugen am Samstagabend vier Asylbewerber im Alter zwischen 17 und 19 Jahren auf Passantinnen und Passanten ein, zwölf Menschen wurden verletzt. Die vier Männer, aus Afghanistan, Syrien und dem Iran, befinden sich in Untersuchungshaft. Ebenfalls in Polizeigewahrsam befindet sich ein mutmaßlicher Amokfahrer, der in der Silvesternacht offenbar gezielt ausländisch aussehende Menschen in Bottrop und Essen mit seinem Auto angefahren hat. Fünf Personen wurden verletzt, eine Frau aus Syrien befindet sich nach einer Not-Operation außer Lebensgefahr. Die Staatsanwaltschaft beantragte Haftbefehl wegen mehrfachen versuchten Mordes gegen den 50 Jahre alten Deutschen aus Essen.
    Am Telefon ist Uli Grötsch, SPD-Mitglied des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, Wahlkreis Weiden in Bayern. Guten Tag!
    Uli Grötsch: Guten Tag!
    Heinemann: Herr Grötsch, müssen Gesetze geändert werden?
    Grötsch: Die Gesetze haben wir schon geändert. Das ist schon etwa drei Jahre her. Das haben wir eben auch gehört. Also es hapert bestimmt nicht an dem gesetzlichen Rahmen. Sondern – ich habe das auch schon oft gesagt: Wir haben kein Regelungs-, sondern ein Vollzugsdefizit, auch was die Abschiebungen angeht.
    Heinemann: Woran liegt das?
    Grötsch: Das liegt an vielen Gründen. Das ist ein sehr kompliziertes Thema. Das hat zum einen, was vor allem die nordafrikanischen Staaten angeht, mit Rücknahmeabkommen zu tun, das hat mit der Akzeptanz von Auslandspapieren zu tun, das hat mit der individuellen Situation im jeweiligen Herkunftsland zu tun, und – und daran arbeiten wir gerade in der Koalition – auch mit der Mitwirkung der Betroffenen, den Abzuschiebenden.
    "Ich würde mir endlich mal erwarten, dass die Bundesregierung mal zu Potte kommt"
    Heinemann: Nun hat Ihre Parteifreundin, die SPD-Politikerin Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, angemahnt, Fortschritte bei den Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen zum Beispiel mit den Ländern, die Sie gerade genannt haben. Was erwarten Sie von der Bundesregierung konkret?
    Grötsch: Ich würde mir endlich erwarten, dass wir mal zu Potte kommen, wenn ich das so sagen darf. Wir reden schon seit Anfang 2016 über das Thema. Der damalige Bundesinnenminister de Maizière hat damals angekündigt, er fährt jetzt nach Nordafrika und schließt dort Rücknahmeabkommen. Auch sein Nachfolger hat es noch nicht zuwege gebracht, und darüber wird noch mal zu reden sein.
    Heinemann: Warum wurde bisher nichts zuwege gebracht?
    Grötsch: Offenbar weil die Modalitäten, die die Bundesregierung den Herkunftsländern angeboten hat, für die nicht akzeptabel waren. Das Thema hat in Deutschland eine hohe Brisanz und in der öffentlichen Wahrnehmung eine sehr hohe Wichtigkeit, und deshalb muss man da nachsteuern und den Herkunftsländern mit deren Forderungen nochmal entgegenkommen.
    "Ich glaube nicht, dass das mit Druck zu lösen ist"
    Heinemann: Sollte man ihnen auch Druck machen?
    Grötsch: Ich glaube nicht, dass das mit Druck zu lösen ist. Die Mentalität in vielen Herkunftsländern, vor allem in der arabischen Welt, im nordafrikanischen Raum, ist eine ganz andere wie es bei uns in Mitteleuropa ist. Da kommt man mit Druck nicht weit, wenngleich man natürlich schon darauf hinweisen muss, dass die Bundesrepublik Deutschland sich in vielen Ländern der Welt und auch in vielen Herkunftsländern sehr stark engagiert, was etwa die Polizeiausbildung angeht, was Entwicklungszusammenarbeit angeht und vieles andere mehr.
    Heinemann: Das heißt, man sollte Geld zahlen, damit diese Länder ihre Staatsbürgerinnen und Staatsbürger wieder zurücknehmen.
    Grötsch: Na ja, das hat natürlich unterm Strich auch mit Geld zu tun, das stimmt schon, aber es hat auch damit zu tun, dass man diesen Ländern Perspektiven gibt, dass man ihnen Chancen aufzeigt, die sich für sie auftun können durch eine engere Kooperation mit der Bundesrepublik Deutschland oder der EU. Ich glaube, dass das in vielfacher Hinsicht für diese Länder attraktiver ist als reine Geldzahlungen.
    "Dass man jetzt sagt, du kommst aus dem Land, wir nehmen dich nicht auf, geht nicht"
    Heinemann: Kann man Asylbewerber aus solchen Ländern eigentlich noch aufnehmen, wenn man weiß, dass man sie nicht wieder loswird?
    Grötsch: Na ja, das deutsche Asylsystem sagt ja zunächst, dass wenn jemand kommt und stellt einen Asylantrag, sagt also, dass er verfolgt wird aufgrund seiner politischen Überzeugung, seiner Religion, seiner Sexualität und all das, dann wird das erst mal geprüft, ob das tatsächlich so ist. Dass man jetzt einfach sagt, du kommst aus dem Land, wir nehmen dich nicht auf, geht nicht. Was wir aber tun, ist, die Thematik der Ausweitung der sicheren Herkunftsländer, heißt also, dass jemand, der aus so einem Land kommt, selber nachweisen muss, dass er dort verfolgt wird und nicht wir den Nachweis führen müssen als Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass dem nicht so ist.
    "Wir haben in Deutschland auch in diesem Thema kein Regelungsdefizit"
    Heinemann: Und häufig bleibt er dann trotzdem hier.
    Grötsch: Ja, das stimmt, und dann sind wir wieder beim Vollzugsdefizit, dann sind wir wieder bei den Abschiebehemmnissen und all dem. Also um das noch mal zu sagen, wir haben in Deutschland auch in diesem Thema kein Regelungsdefizit, keine zu laschen Gesetze, sondern wir brauchen Behörden, die personell und in ihrer Fachausstattung so ausgerüstet sind, dass sie die Gesetze, die wir im Bundestag machen, auch konsequent anwenden können. Das hat nämlich wirklich viel mit Personal zu tun.
    Heinemann: Herr Grötsch, das sieht der Bundesinnenminister offenbar anders. Horst Seehofer hat in der "Bild"-Zeitung Vorschläge für die Regierungskoalition angekündigt im Zusammenhang mit Gesetzesänderung. Droht neuer Migrationsstreit in der schwarz-roten Koalition?
    Grötsch: Wollen wir es mal nicht hoffen. Das ist von Herrn Seehofer ja ein seit vielen Jahren eingeübter Reflex, dass wenn irgendwo auf der Welt und am Ende noch in Deutschland was passiert, dass es sofort den Ruf nach härteren Gesetzen gibt. Als wir das im Bundestag gemacht haben, war Herr Seehofer noch gar nicht da, war der noch Ministerpräsident in Bayern.
    Wir werden darauf ganz deutlich hinweisen gleich in der ersten Sitzungswoche nach der Weihnachtspause, dass wir keinen Regelungsbedarf sehen, sondern dass es um den Vollzug der Gesetze geht.
    "Ich setze sehr darauf, dass Herr Seehofer aus dieser Debatte gelernt hat"
    Heinemann: Wo verläuft, um es noch mal ganz klar auszudrücken, für die SPD die rote Linie?
    Grötsch: Unsere Linie, unsere rote Linie, verläuft dort, wo wir Menschen in unsichere Gebiete abschieben müssten – Stichwort Afghanistan, das ist seit vielen Jahren ein Zankapfel. Und sie läuft ganz grundsätzlich dort, wo nur durch lautes Geschrei nach härteren Gesetzen in Bereichen, in denen es nicht notwendig ist, Angst und Unsicherheit in Deutschland verbreitet wird.
    Das haben wir im letzten Jahr erleben müssen, wenn Sie an die Debatte um die Rücknahme der sogenannten Dublin-Flüchtlinge denken. Ich setze sehr darauf, dass Herr Seehofer aus dieser Debatte gelernt hat – das hat er damals ja auch gesagt – und nicht dann den gleichen Fehler noch mal macht.
    "Dieses Land hat unter dem Wort Hetzjagd genug gelitten"
    Heinemann: Herr Grötsch, Rainer Wendt, der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, hat gefordert, der Sprecher der Bundesregierung müsste sich jetzt zu diesem Fall äußern. Es könne nicht so sein, dass man nur dann von Hetzjagden spreche, wenn es um rechtsextreme Täter gehe, in Anspielung auf die Stellungnahme der Bundesregierung nach Demonstrationen in Chemnitz. Sollte die Bundesregierung das Wort Hetzjagd im Zusammenhang mit Amberg verwenden?
    Grötsch: Dieses Land hat unter dem Wort Hetzjagd genug gelitten. Dass Herr Wendt, der Vorsitzende der DPolG, noch schneller ist als alle anderen, wenn es um solche Forderungen geht, haben wir in den letzten Jahren auch gelernt. Ich bin froh, dass sich die anderen Gewerkschaften, dass sich die Gewerkschaft der Polizei da auf ihre Zuständigkeit und ihre Arbeit konzentriert. Das ist jetzt kein Fall, in dem man wieder irgendwo Feuer schürt oder gar Öl ins Feuer gießt, sondern das ist jetzt ein Thema, über das man reden muss und für das man Lösungen braucht und keins, über das man sich persönlich profilieren sollte.
    Heinemann: Wie sehen Sie persönlich, hat in Amberg eine Hetzjagd stattgefunden?
    Grötsch: Ich war nicht dabei. Das ermitteln gerade die Polizeibehörden. Ich weiß, das ist bei der Polizei in Amberg in den besten Händen, was sich dort genau zugetragen hat. Dann ist es Aufgabe der Gerichte, darüber zu urteilen.
    Wir haben in Deutschland die Regelung, wenn jemand wegen einer Gewalttat oder einer Sexualstraftat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wird, dann kann das Asylverfahren beendet und die Person abgeschoben werden. Ob das dort so kommt, wie gesagt, das ist nicht Sache der Politik, das ist Sache der Justiz, der Gerichte, das zu entscheiden, aber ich könnte es mir gut vorstellen.
    "Es ist wieder die Gefahr von rechts"
    Heinemann: Herr Grötsch, blicken wir auf die mutmaßliche Straftat von Bottrop. Der Fahrer soll sich ausländerfeindlich geäußert haben, der Mann wurde in der Vergangenheit offenbar wegen einer psychischen Erkrankung behandelt. Gehen Sie von einem Einzeltäter aus?
    Grötsch: Das ist auch Sache der Ermittlungen. Natürlich muss man jetzt danach fragen, und das wird die Polizei auch tun, da bin ich der festen Überzeugung, ob es Mitwisser gab, ob es eine Verabredung zu dieser Tat gab, ob es ein Aufstacheln zu dieser Tat gab, aber, wie wir sehen, es ist wieder die Gefahr von rechts, der Rechtsextremismus, der in Deutschland am gefährlichsten ist. Das war im Jahr 2018 der Fall, und ich fürchte, dass das auch 2019 so bleiben wird.
    Heinemann: Verbal etwa in den sogenannten sozialen Medien ist Hetze gegen Migrantinnen und Migranten ja alltäglich. Rechnen Sie damit, um Ihre letzte Aussage da noch mal aufzugreifen, dass sich solche Aktionen wie in Bottrop und Essen wiederholen werden?
    Grötsch: Na ja, das wäre jetzt hypothetisch, zu sagen, da rechne ich damit, aber es sieht ja sehr danach aus. Es sind immer wieder die Angriffe von rechts gegen andersdenkende Menschen, es sind immer wieder die Feinde der Demokratie, die in Deutschland Gewalt anwenden gegen Andersdenkende. Das ist auch eine Aufgabe der Politik, auch von uns im Bundestag, und ich würde mal behaupten wollen, dass wir in den letzten Jahren eine ganze Menge gemacht haben in dem Bereich, das einzudämmen. Das ist aber nicht nur eine Aufgabe der Politik, sondern es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das hat mit politischer Bildung zu tun, mit Unterrichtsinhalten, es hat auch damit zu tun, wie wir uns im persönlichen Umgang gegenübertreten – also wirklich ein Thema, das unser ganzes Land betrifft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.