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Debatte um "Armutsmigration"
Scharfe Kritik an CSU-Vorstoß

Forderungen der CSU nach einer härteren Gangart gegen sogenannte Armutszuwanderer aus EU-Staaten stoßen beim Koalitionspartner SPD auf deutliche Kritik. Die Opposition nennt die Vorschläge "üble Hetze".

    Wenige Tage vor der Aufhebung der letzten Jobschranken in der EU ist innerhalb der Großen Koalition offener Streit um die sogenannte "Armutszuwanderung" ausgebrochen. Die CSU fordert in einer Beschlussvorlage einen schärferen Kurs gegen Armutsmigranten aus EU-Staaten. Ihnen soll der Zugang zum deutschen Sozialsystem erschwert werden, heißt es in einem Papier, über das auf der Klausur der CSU-Landesgruppe Anfang Januar in Wildbad Kreuth abgestimmt werden soll.
    Aus der Beschlussvorlage hatten die "Süddeutsche Zeitung" und die "Deutsche Presse-Agentur" zitiert. Vorgesehen sind den Berichten zufolge außerdem Wiedereinreise-Sperren, wenn etwa Dokumente gefälscht wurden oder Sozialbetrug nachgewiesen wurde. Geprüft werde zudem "eine generelle Aussetzung des Bezuges von Sozialleistungen für die ersten drei Monate des Aufenthalts in Deutschland. "Wer betrügt, fliegt", zitierte die "Süddeutsche" aus dem Papier.
    Özgouz: Arbeitnehmerfreizügigkeit kein Schreckgespenst
    Die stellvertretende Parteivorsitzende und neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, erklärte am Samstag in Berlin, die CSU solle ihren Jahresauftakt in Wildbad Kreuth nicht dazu nutzen, durch falsche Pauschalurteile die Stimmung gegen Arme aufzuheizen. Zwar sei es richtig, dass einige Kommunen in Deutschland vor große Herausforderungen durch sogenannte Armutswanderung aus südosteuropäischen EU-Staaten gestellt würden, erklärte Özoguz. Sie bräuchten aber keinen Populismus, sondern vor allem schnelle und effektive finanzielle Hilfen. Die SPD-Politikerin warnte davor, die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU "als Schreckgespenst an die Wand zu malen. Wer so tue als seien alle Menschen aus Bulgarien und Rumänien arm und würden in Deutschland nur um Sozialleistungen anstehen, verkenne die vielen Hochqualifizierten, die beispielsweise als Ärzte und Pflegekräfte im Gesundheitsbereich arbeiten, so Özoguz weiter.
    SPD-Vize Aydan Özoguz
    SPD-Vize Aydan Özoguz (picture alliance / dpa / Hannibal Hanschke)
    Opposition wirft CSU rechte Hetze vor
    Grüne und Linkspartei warfen der CSU vor, mit ihrer Warnung vor Armutszuwanderung Ressentiments zu schüren. Der Innenpolitiker der Grünen, Volker Beck, sagte am Samstag: "Die CSU sollte nicht das innenpolitische Klima vergiften!" Linksparteichef Bernd Riexinger sieht mit Blick auf die CSU-Aussage "Wer betrügt, der fliegt" gar eine gedankliche Verwandtschaft zur NPD: "Das ist üble Hetze, mit der die CSU braune Banden zur Gewalt ermutigt", schrieb er im Internet-Kurznachrichtendienst Twitter.
    Der Slogan "Wer betrügt, der fliegt" könnte auch aus der NPD kommen. Das ist üble Hetze, mit der die CSU braune Banden zu Gewalt ermutigt.— Bernd Riexinger (@b_riexinger) 28. Dezember 2013

    Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl wiederum sagte dem "Tagesspiegel am Sonntag", es müsse auf lokaler Ebene "alles getan werden", um Missbrauch von Sozialleistungen zu verhinderen. Auf nationaler Ebene brauche es dafür Gesetzesänderungen. So dürfe Kindergeld nicht an Kinder ausgezahlt werden, die nicht in Deutschland lebten.
    Arbeitsmarktforscher: Deutschland profitiert von Zuwanderung aus Südosteuropa
    Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) rechnet damit, dass die Zahl der Rumänen und Bulgaren in Deutschland im kommenden Jahr um 100.000 bis 180.000 steigen könnte. Derzeit leben in Deutschland gut 370.000 Bürger aus beiden Staaten. Die beiden Ländern rangieren bei den Durchschnittslöhnen in der EU auf den letzten beiden Plätzen.
    Die Forscher der Bundesagentur für Arbeit halten in ihrem Bericht aber auch fest: "Die Zahlen zur Beschäftigung und zum Leistungsbezug rechtfertigen es gegenwärtig nicht, die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien pauschal als 'Armutszuwanderung' zu qualifizieren." Die Probleme konzentrierten sich auf einige strukturschwache Kommunen wie Duisburg, Dortmund und Berlin. Seit langem weisen diese Kommunen auf eine drohende Überforderung durch zusätzliche Sozialleistungen hin.
    Der Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, Reiner Klingholz, verwies in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" darauf, dass die bereits in Deutschland lebenden Zuwanderer mit bulgarischem und rumänischem Hintergrund zu 55 Prozent über mindestens einen Fachhochschulabschluss verfügten. "Damit liegen sie nicht nur deutlich über dem Schnitt aller Migranten, sondern auch über jenem der Deutschen." Der Migrationsforscher Klaus F. Zimmermann weist in einer Studie darauf hin, dass Rumänen und Bulgaren schon jetzt zu den besonders gut integrierten Ausländergruppen zählen.
    Der IAB-Studie zufolge waren Mitte 2013 rund 10 Prozent aller Bulgaren und Rumänen in Deutschland auf Hartz-IV-Bezug angewiesen. Der Wert liegt zwar über der Quote der Gesamtbevölkerung (7,5 Prozent), aber deutlich unter der aller Ausländer (15 Prozent).
    Gefährdet die neue Freizügigkeit in der EU den sozialen Frieden? - Diskutieren Sie mit am 30.12.2013 um 10.10 Uhr im Deutschlandfunk (Kontrovers)