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Debatte um Atomausstieg endlich sachlich führen

Wir brauchen ordentliche, faire, glaubwürdige, breit angelegte Stresstests, betont Herbert Reul, Vorsitzender des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie des Europäischen Parlaments. Verabredungen müssten europaweit einheitlich gelten. Wichtig sei auch, die Bürger über die Konsequenzen aus dem Atomausstieg zu informieren.

Herbert Reul im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 05.05.2011
    O-Ton Angela Merkel: Wenn schon in einem Land wie Japan mit sehr hohen Sicherheitsanforderungen und hohen Sicherheitsstandards nukleare Folgen eines Erdbebens nicht verhindert werden können, dann kann auch ein Land wie Deutschland nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

    Dirk-Oliver Heckmann: Bundeskanzlerin Angela Merkel am 12. 3., einen Tag nach dem verheerenden Erdbeben in Japan, das den Tsunami und die nukleare Katastrophe von Fukushima auslöste. Nicht nur sie, auch die anderen Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union standen unter dem Eindruck der Ereignisse. Auf ihrem Gipfeltreffen Ende März haben sie beschlossen, alle Reaktoren in Europa sollen einem sogenannten Stresstest unterzogen werden, und das bedeutete, die Anlagen sollten daraufhin überprüft werden, ob sie nukleare Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Erdbeben, aber auch Terroranschlägen gewachsen wären. Nun sickerte durch, dass die EU-Energieminister offenbar ein Auge zudrücken wollen. Bei den Tests soll nur noch auf Naturkatastrophen hin untersucht werden. Terroranschläge wie Flugzeugabstürze wären dann nicht mehr Teil der Tests.

    Vor einer guten Stunde hatte ich die Gelegenheit zu sprechen mit Herbert Reul. Er ist Vorsitzender des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie des Europäischen Parlaments, gehört der CDU an. Und ihn habe ich gefragt, ob die Politik schon jetzt vor der Atomlobby eingeknickt ist.

    Herbert Reul: Nein, weil diese Berichterstattung falsch ist und eigentlich nur dem Zweck dient, wieder eine bestimmte Stimmung zu machen. Es gibt überhaupt noch keinen Beschluss! Es gibt ja noch nicht mal eine ordentliche Vorlage der Energieminister. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es nur die Vorlage der Vereinigung der westeuropäischen Aufsichtsbehörden, und das ist eine von drei unterschiedlichen Vorgängen, die stattfinden, wo dann am Ende ein Stresstest festgelegt wird. Also es ist überhaupt noch nichts entscheiden, das ist Unsinn.

    Heckmann: Es ist nichts entschieden, aber die Richtung könnte sich möglicherweise abzeichnen. Wofür sind Sie denn? Sind Sie für einen breit angelegten Stresstest, oder dafür, dass diese Tests beschränkt werden auf Naturkatastrophen, wie das eben jetzt vorgeschlagen worden ist?

    Reul: Also erstens aus der Sache und zweitens auch für alle diejenigen, die Kernenergie für einen Beitrag halten, gibt es nur eine klare Antwort. Die heißt: Wir brauchen ordentliche, faire, glaubwürdige, breit angelegte Stresstests. Alles andere ist Unsinn und deswegen bin ich auch sicher, dass der Kommissar Oettinger und die Kommission großen Wert darauf legen werden, und die Mitgliedsstaaten werden dann auch schwer unter Druck kommen, wenn einige meinen, sie könnten da ausbüchsen. Allerdings muss man sagen, entschieden ist noch nichts. Das ist auf dem Weg, da wird im Moment gerungen und gesucht, das verstehe ich auch, weil das auch nicht ganz so einfach ist. Besprochen worden ist auf der Konferenz lediglich der Zeitplan, nämlich der Zeitplan, dass es zuerst eine Selbstevaluierung der Betreiber geben soll, ab 1. Juni, dann sollen die Aufsichtsbehörden das überprüfen und evaluieren, und dann gibt es noch ein internationales Team, das noch einmal daran gesetzt wird. Also es ist praktisch ein dreistufiges Verfahren, sodass dann im November, Dezember ein Abschluss da sein wird.

    Heckmann: Sie haben es gerade eben erwähnt: Energiekommissar Oettinger, der spricht sich weiter für einen breit angelegten Stresstest aus, ebenso wie Umweltminister Norbert Röttgen. Denken Sie nicht, dass die beiden möglicherweise auf verlorenem Posten kämpfen dürften, da sich die EU-Mitgliedsländer wie zum Beispiel England oder Frankreich nicht hineinreden lassen?

    Reul: Natürlich ist das eine Schwierigkeit, das verstehe ich auch, dass Mitgliedsstaaten sagen, also zum Beispiel wie Frankreich, Moment mal, warum soll eigentlich jetzt Österreich sagen, die überhaupt keine Kernenergie betreiben, aber verlogenerweise dann Kernenergie aus anderen Staaten beziehen, wie wir Kernenergie zu organisieren haben. Verstehen kann ich es, aber es geht nicht. Wir brauchen eine Verabredung, die europaweit gleich ist. Es kann da nicht jeder einen anderen Maßstab anlegen. Und das ist mit Sicherheit ein Ergebnis aus Japan und da bin ich auch nach wie vor noch Optimist. Dass das auf dem Wege nicht einfach ist und schwierig werden wird, überrascht ja nun nur begrenzt. Aber ich bin ganz sicher, dass alle diejenigen, auch übrigens diejenigen, die für Kernkraft sind, beweisen müssen, dass sie es ernst meinen.

    Heckmann: Noch offen ist, ob die AKW-Betreiber selbst diese Tests durchführen, oder ob auch unabhängige Fachleute Zutritt haben sollen. Ihre Meinung dazu?

    Reul: Da ist ein dreistufiges Verfahren vorgesehen. Das halte ich im Moment auch für richtig, zu sagen, erst mal die Betreiber selber, dann die Aufsichtsbehörden und dann diese unabhängigen Teams. Ich vermute, das ist jetzt einfach das Praktikabelste. Man muss jetzt auch gucken, dass man in überschaubarer Zeit zu Ergebnissen kommt. Spannend wird es dann, wenn es da irgendwo Diskrepanzen gibt, also wenn man merkt, dass das eine mit dem anderen nicht übereinstimmt, wie verfährt man dann. Die Debatte ist im Moment, wenn ich das von meiner Stelle sagen darf, auch ein Stück verlogen.

    Wir hatten vor ein paar Wochen im Parlament die Chance, als Parlament zu der Frage der Stresstests als auch zu der Frage der Sicherheitsbestimmungen eine klare Position abzugeben, und das haben wir nicht hingekriegt. Obwohl man sich über die Sachen geeinigt hat, ist es daran gescheitert, dass die Grünen und andere Kernkraftgegner einfach unbedingt auch in den Beschluss rein haben wollten "Ausstieg aus der Kernkraft". Da merkt man, dass diese Debatte leider nicht sachlich im Moment geführt wird. Wir müssen uns konzentrieren auf die Frage Stresstest und mögliche oder wahrscheinliche neuen Richtlinien, und da gilt nur ein einziger Maßstab, alles andere ist nicht akzeptabel: Das muss sicher sein, Punkt, aus, Ende, und es kann nicht in jedem Mitgliedsstaat ein anderer Maßstab gelten.

    Heckmann: Energiekommissar Oettinger hat jetzt von der Bundesregierung ein neues aktualisiertes Energiekonzept angemahnt. Es reiche nicht aus, nur zu sagen, man wolle auf erneuerbare umsteigen. Ist das eigentlich als Kritik zu verstehen an der schwarz-gelben Bundesregierung?

    Reul: Das müssen Sie eigentlich ihn fragen. Aber wie ich das verstehe – und so würde ich es aber auch genauso sehen -, ist das richtig. Einfach nur zu erklären, wir machen jetzt eine andere, wir nutzen jetzt andere Energien stärker, ohne die Folgen im einzelnen zu berechnen, ohne den Menschen zu sagen, was das denn heißt, ohne die Probleme auch zu benennen, wird uns ja – und da bin ich ganz sicher – in ein paar Monaten oder in ein paar Jahren vor die nächsten Probleme stellen. Was nützt es denn, wenn wir den Leuten jetzt versprechen, das machen wir, und in ein paar Jahren stellen wir fest, kriegen wir nicht hin, oder wird irrsinnig teuer. Deswegen muss man die Sachen erklären. Also es ist immer klug, bevor man entscheidet, alle Konsequenzen auf den Tisch zu legen. Da hat der Kollege Oettinger hundertprozentig recht.

    Heckmann: Innerhalb der Union, Herr Reul, scheint die Debatte um den Atomausstieg noch lange nicht beendet. Denken Sie, dass dieser Atomausstiegskurs noch einmal aufgehalten werden kann?

    Reul: Das glaube ich nicht. Ich würde mir nur wünschen, er würde endlich mal sachlich geführt und es würde mit den Bürgern auch offen und ehrlich darüber geredet, was denn die Folgen sind.

    Heckmann: Nämlich?

    Reul: ... , dass sie sich ein Bild machen können. Also ich sage mal, wenn man das macht, muss man den Leuten sagen, erstens es wird teurer, zweitens wir werden ein großes Projekt haben, zusätzliche Netze in großen Mengen zu bauen. In den letzten fünf Jahren haben wir 99 Kilometer geschafft. Wir müssen 3600 neu bauen. Was meinen Sie, was da noch an Protesten los sein wird. Und ich glaube, man muss darüber reden, wenn wir das wollen, dann sind die Konsequenzen A, B, C. Dann kann man sich entscheiden, macht man's, macht man's nicht, oder macht man's zum Beispiel zeitlich etwas vorsichtiger, damit man die Folgen beherrschen kann, denn die Kostensteigerungen sind ja nicht nur Kostensteigerungen für private Haushalte. Das ist der eine Teil. Da wird ein Teil der Leute sagen, das ist mir egal. Aber ein anderer Teil der sagen wir mal Hartz-IV-Abteilung, die werden schon dicke Probleme kriegen. Wir werden ein Energiearmutsproblem kriegen.

    Und für die Industrie, insbesondere für die, die energieintensiv ist, wird es dramatisch werden. Und dann, wenn man das auf dem Tisch hat – ich behaupte das ja jetzt nur mal, das muss man checken und prüfen -, dann muss man einen Plan machen, wenn man diesen Weg des Ausstiegs gehen will, wie man das auf der Zeitschiene ordentlich hinkriegt. Da nützt es nicht, jetzt ein Glaubensbekenntnis und dann eine schnelle Entscheidung, damit alle zufrieden sind. Das holt einen am Ende wieder ein und dann verliert die Politik Glaubwürdigkeit. Das ist mein größtes Problem.

    Heckmann: Der Vorsitzende des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie des Europäischen Parlaments, Herbert Reul, war das von der CDU. Herr Reul, ich danke Ihnen!

    Reul: Herzlichen Dank, Herr Heckmann!