Freitag, 19. April 2024

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Debatte um Bismarck
"Alles andere als ein Demokrat"

In vielen deutschen Städten hat man ihm Denkmäler gesetzt: Otto von Bismarck. Doch die Statuen stehen zunehmend in der Kritik. Zu Recht, sagte der Historiker Christoph Nonn im Dlf - denn der erste deutsche Reichskanzler sei ein Rassist gewesen.

Christoph Nonn im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 16.07.2020
Denkmal für Reichkanzler Otto von Bismarck in Hamburg
Umstritten: im Zuge der Kolonialismusdebatte geriet auch das große Bismarck-Denkmal in Hamburg in die Kritik (imago / Foto: epd-bild/Stephan Wallocha)
Ziemlich genau 150 Jahre ist es in diesen Tagen her, dass der deutsch-französische Krieg begann. Er endete mit der Gründung des deutschen Kaiserreichs. Provoziert hatte auch diesen Krieg damals - letztlich mit der berühmten "Emser Depesche" - der preußische Ministerpräsident und Kanzler des Norddeutschen Bundes, Otto von Bismarck. An die Reichsgründung erinnert nun eine Ausstellung im Militärhistorischen Museum in Dresden, über die wir gleich berichten.
Christoph Nonn, Professor für neueste Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und Autor einer viel beachtete Bismarck-Biografie aus dem Jahr 2015, mit Einschätzungen.
Stefan Koldehoff: Im Rahmen der aktuellen Kolonialdebatte stehen auch Denkmäler des Reichskanzlers und die zahlreichen nach ihm benannten Türme in der Kritik- einige wurden bereits beschmiert. Zu Recht?
Christoph Nonn: Ja, zu Recht gegen Bismarck, wenn man aus einer demokratischen Perspektive argumentiert und wenn man aus einer antirassistischen Perspektive argumentiert, ist das sicherlich zu Recht, weil Bismarck durchaus ein Rassist gewesen ist und alles andere als ein Demokrat gewesen ist. Wobei man direkt hinterhersagen muss, dass zumindest Rassismus damals so universell verbreitet gewesen ist, im 19. Jahrhundert, dass er sich da überhaupt nicht abgesetzt hat von der ganz großen Mehrheit der Menschen.
Die beschädigte Skulptur "Hockende Negerin" von Arminius Hasemann in Berlin-Zehlendorf, der der Kopf abgeschlagen und entfernt wurde.
Historikerin: "Jedes Denkmal muss man extra betrachten"
Die Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte sei wichtig, sagte die Historikerin Hedwig Richter. Was den Umgang mit Denkmälern angehe, rate sie zur Vorsicht. Richter warb dafür, mehr Geschichte in den Lehrplänen aufzunehmen.
"Hat nichts von Kolonien gehalten"
Stefan Koldehoff: Viele Proteste im Moment richten sich gegen Kolonialpolitiker, gegen den Imperialismus der damaligen Zeit – wie hat Bismarck sich da aus Ihrer Sicht des Biografen verhalten?
Nonn: Er hat interessanterweise sehr lange Zeit überhaupt nichts von Kolonien gehalten. Also es gibt so Äußerungen von ihm, 1871 zum Beispiel, als das Deutsche Reich gegründet worden ist, woran er ja einigen Anteil gehabt hat, da haben die Franzosen angeboten, im Friedensvertrag nicht Elsass-Lothringen an Deutschland abzutreten, sondern französische Kolonien. Die Rede war von Vietnam, Laos und Kambodscha, und da hat Bismarck damals gesagt, das wollen wir überhaupt nicht haben, mit Kolonien können wir gar nichts anfangen. Also die meiste Zeit hat er von Kolonien gar nichts gehalten, er hat einmal sogar gesagt, solange er Reichskanzler sei, würde das Deutsche Reich keine Kolonien bekommen.
Koldehoff: Sie haben angesprochen, er sei auch Rassist gewesen, nicht in allen Punkten sicherlich auch Demokrat gewesen - schmälert das die Bedeutung, die er trotzdem für die deutsche Nation hatte, um es mal so pathetisch zu formulieren?
Nonn: Ja, das schmälert schon die Bedeutung, die sehr häufig angenommen wird, weil sehr oft ja nach wie vor von Bismarck als dem Reichsgründer gesprochen wird, also der, der den Nationalstaat begründet hat. Und das ist in der Form nicht richtig, weil es keinen einzigen Reichsgründer gegeben hat, weil die Reichsgründung, also die Gründung dieses deutschen Nationalstaats, ein sehr komplexer Prozess gewesen ist, der sehr, sehr lange gedauert hat und an dem sehr, sehr viele Leute beteiligt gewesen sind - da war er eigentlich nur einer von.
Koldehoff: Und dennoch haben wir wahnsinnig viele Bismarck-Denkmäler, haben riesige Bismarck-Türme - wie kam es dazu?
Nonn: Das ist eine Mythologisierung. Man hatte nach 1871, als dieser Nationalstaat einmal bestand, das Bedürfnis auch nach Nationalhelden. Bismarck hat sich damals angeboten, selbst dieser Nationalheld zu sein, er hat ziemlich laut "hier" geschrien - in Interviews, in Reden, die er gemacht hat, auch in seinen Memoiren dann, in den "Gedanken und Erinnerungen", da hat er sich selbst zum Reichsgründer stilisiert. Das haben die Menschen damals eben sehr gerne angenommen, weil man eben nach einem solchen Nationalhelden gesucht hat.
Ein Denkmal zur Erinnerung an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama im Zentrum der namibischen Hauptstadt Windhoek.
Deutsche Afrikapolitik: Kurze Kolonialzeit mit Nachwirkung
Nachdem Bismarck den Erwerb von Kolonien lange abgelehnt hatte, waren es handelspolitische Gründe, die ihn schließlich doch dazu motivierten. Wie wirkt die Geschichte wirtschaftlich nach?
Kaiser Wilhelm im Schneewittchensarg
Koldehoff: Und Herr Nonn, was machen wir damit jetzt? Es wird im Moment immer der Ruf laut nach Kontextualisierungen - man müsse beschreiben, unter welchen Umständen solche Denkmäler, solche Türme entstanden sind, man müsse dem eventuell was entgegensetzen. Wäre auch der Weg des Abräumens möglicherweise einer?
Nonn: Ich bin als Historiker da ein bisschen sehr vorsichtig, weil ich denke, man kann und soll als Historiker informieren und man soll aufklären, aber Entscheidungen über so was sollen und können Historiker eigentlich nicht treffen, das muss die Gesellschaft machen. Letzten Endes das Wichtigste bei der ganzen Sache ist eigentlich, dass in der Gesellschaft darüber geredet wird, weil dann letzten Endes diese Frage, in welchen historischen Traditionen sich die Gesellschaft selbst verorten möchte, eigentlich geklärt werden kann.
Was man dann letzten Endes mit solchen Bismarck-Denkmälern macht, ist vielleicht so konkret gar nicht wichtig. Ich persönlich finde es eigentlich am schönsten, wenn man die nicht einfach stehen lässt, wenn man sie aber auch nicht abreißt und, sagen wir mal, in Hamburg dann in die Elbe kippt - nicht nur weil das die Schifffahrt gefährdet, sondern auch weil das Entsorgen von Denkmälern ja irgendwie auch ein Vergessen von Geschichte ist.
Es gibt ein sehr schönes Beispiel: Es gibt ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Wesel - oder gab’s bis 1945 - an exponierter Stelle direkt vorm Bahnhof, und das haben die Engländer 1945 abgerissen, die haben das gestürzt. Dann verschwand das irgendwo auf einem städtischen Bauhof, im Museum, und vor ein paar Jahren ist es wieder aufgestellt worden, aber nicht wieder auf den Sockel drauf, sondern man hat die Trümmer auf die Wiese gelegt, so wie sie gestürzt waren, und dann so eine Art Schneewittchensarg aus Glas drumrum gemacht.
Das führt dazu, dass die Leute, die da jetzt hinkommen - kurze Erklärungen, was ist hier passiert, wann ist das aufgerichtet worden, warum liegt es jetzt da so -, das viel mehr wahrnehmen als ein normales Denkmal, an dem man häufig achtlos vorbeigeht. Es erzeugt so eine produktive Verstörtheit, was ist eigentlich hier passiert, warum ist das gestürzt worden, warum ist das sozusagen jetzt in diesem Schneewittchensarg drin. Diese Art von produktiver Verstörtheit durch Denkmäler zu erzeugen, das sind eigentlich, finde ich, die schönsten Lösungen, weil dann dieser Nachdenkensprozess über die Geschichte angestoßen wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.