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Geschichte auf dem Prüfstand
Debatte über historische Namen im Stadtraum

Militaristische Tradition, Kolonialgeschichte, männliche Dominanz: In vielen Städten kämpfen Initiativen dafür, Straßen und Plätze umzubenennen. Was steckt dahinter: die Vision vom politisch korrekten Stadtraum oder - wie von Kritikern moniert - eine wachsende Geschichtsvergessenheit?

Von Sebastian Engelbrecht | 02.05.2020
Einweihung der Uwe-Lieschied-Straße (vormals Morusstraße) in Berlin am 27. Februar 2020
In Berlin werden zwei Straßen nach zwei getöteten Polizisten teilumbenannt (Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht)
Das Landespolizeiorchester Berlin-Brandenburg spielt und die landespolitische Prominenz Berlins tritt auf: Polizeipräsidentin Barbara Slowik, Innensenator Andreas Geisel und der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel. An diesem Tag, dem 27. Februar, kurz vor Ausbruch der Coronakrise, können sie noch vor etwa 150 Polizeibeamten, Journalisten und Anwohnern feierliche Reden halten. Der Anlass: Zwei Straßen in Neukölln werden – zum Teil – umbenannt. Die Kopfstraße erhält den Namen "Roland-Krüger-Straße", die Morusstraße heißt nun "Uwe-Lieschied-Straße". Krüger und Lieschied waren Berliner Polizisten. Krüger wurde 2003, Lieschied 2006 im Dienst getötet. Innensenator Geisel würdigt die beiden Männer.
"Die heutige Umbenennung zweier Straßen im Gedenken an Roland Krüger und Uwe Lieschied ist für mich ein starkes Zeichen der Anerkennung. Die Umbenennung drückt aus, dass wir solidarisch hinter denen stehen, die uns beschützen. Denn jeder Angriff auf diejenigen, die uns beschützen, ist auch ein Angriff auf unsere Gesellschaft, auf unsere verfassungsmäßige Ordnung, auf unsere Demokratie, auf unsere Freiheit."
Die Umbenennung folgt einem politischen Programm: Hier, im Neuköllner Rollbergviertel, haben Polizisten mit Bandenkriminalität, mit bewaffneten Clans zu kämpfen.
"Ich danke dem Bezirk Neukölln, ich danke der Bezirksverordnetenversammlung, dass in Erinnerung an die beiden nun auch zwei Straßennamen nach ihnen benannt sind. Der Senator hat es gesagt: es ist ein starkes Zeichen. Es ist für die Polizei Berlin ein wichtiges Zeichen, ein großes Zeichen des Bezirks, die Kollegen so zu ehren."
Unter den gespannten Blicken der Berliner Polizeigemeinde enthüllen Slowik, Hikel und Innensenator Geisel das Schild "Uwe-Lieschied-Straße".
"Roland Krüger und Uwe Lieschied sind Teil, unserer Stadt und sie werden es auch immer bleiben."
Reichspräsident von Hindenburg und Adolf Hitler, winkend in einem Auto bei einer Jugendkundgebung im Lustgarten in Berlin. Postkarte aus der Weimarer Republik.
"Hindenburg steht für eine antidemokratische Tradition"
Dem ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg die Ehrenbürgerwürde von Berlin abzuerkennen, hält die Historikerin Hedwig Richter für richtig. Hindenburg sei nicht nur Legitimationsbeschaffer für Hitler gewesen, sondern er stehe insgesamt für eine hochproblematische Tradition.
Nichts für die Ewigkeit
Werden sie es immer bleiben? Die Benennung von Straßen und Institutionen ist ganz offenbar nichts für die Ewigkeit. Schnell ist die historische Bedeutung einer Person dann doch nicht mehr so groß. Die Uwe-Lieschied-Straße hieß bis 1950 Lessingstraße, benannt nach dem Dichter und Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing. 1950 tilgten die Verantwortlichen im Bezirk Neukölln Lessing von der Stadtkarte und ehrten den englischen Staatsmann Thomas Morus, der als Autor des Romans "Utopia" in die Geschichte einging. Für die Repräsentanten des Staates waren bei der Umbenennung der Straßen nach zwei Polizisten weder Morus noch Lessing der Rede wert.
Den Vorwurf, hier werde ein Stück Geschichte verdrängt und vergessen, weist Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel zurück.
"Na, es bleibt ja noch ein Teil der Morusstraße, bleibt ja. Es wird ja nicht - es wird ja nur ein Teil der Straße wird umbenannt. Es wird ja nicht die ganze Straße umbenannt. Ich glaube, die Utopien behalten wir weiter, glaube ich, in uns. Und insofern ist es so: Wenn wir da hinten ein kleines Stückchen umbenennen in die Uwe-Lieschied-Straße, dann kommt was Neues eher dazu, und das finde ich eigentlich ganz schön. Also weniger ein Abschied, sondern es kommt etwas Neues dazu."
Straßenumbenennungen folgen politischen Zwecken. Das ist nirgendwo so greifbar wie im Nachbarbezirk von Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg. In der Bezirksverordnetenversammlung verfügen Grüne und Linke gemeinsam über die absolute Mehrheit. Mit dieser Mehrheit beschloss das Bezirksparlament am 27. Februar 2019 – unter dem Titel "Entmilitarisierung des öffentlichen Raums":
"Das Bezirksamt wird beauftragt, einen öffentlichen Diskurs- und Beteiligungsprozess zu initiieren, in dem eine mögliche Umbenennung aller nach Generälen und Schlachten benannten Straßen und Plätze im Umfeld des sogenannten Generalszugs im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg grundsätzlich diskutiert und gegebenenfalls auch Vorschläge für potentielle neue Namensgeber- und Namensgeberinnen der umzubenennenden Straßen entwickelt werden sollen."
Initiator dieser Entscheidung ist der Vorsitzende des Kulturausschusses der Bezirksverordnetenversammlung, Werner Heck von der Grünen-Fraktion.
"In Kreuzberg ist ja relativ viel sowohl nach Generälen als auch Schlachtfeldern und so weiter benannt, was ja auch daran liegt, dass da die ganzen Kasernen waren, der Aufmarsch hin zum Tempelhofer Feld. Da einfach mal eine grundsätzlichere Diskussion zu führen, nämlich auch nach der Frage: Passt das einfach heute noch in die Zeit? Will man das?"
Werner Heck und die Bezirksverordnetenversammlung stellen hier ein Stück Stadtplanung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Diskussion, ein Stück Berliner Identität – den sogenannten "Generalszug". Das Band aus breiten repräsentativen Straßen zieht sich durch weite Teile der Stadt, durch die Stadtteile Charlottenburg, Schöneberg und Kreuzberg. Es ist nach den Generälen Tauentzien, Kleist, Bülow, Blücher, Yorck und Gneisenau benannt. Sie alle spielten in den Befreiungskriegen gegen Napoleon in den Jahren 1813 bis 1815 eine zentrale Rolle, als es Preußen mit europäischen Bündnispartnern gelang, die Vorherrschaft Napoleons über Europa zu beenden.
Zentrale Plätze im Verlauf des "Generalszugs" heißen nach den Orten wichtiger Schlachten dieser Kriege – wie zum Beispiel Wittenberg und Nollendorf. Im Umfeld des "Generalszugs" sind mehr als 30 weitere Straßen nach preußischen Offizieren aus der Zeit vom 17. bis zum 20. Jahrhundert benannt.
Werner Heck betont, der Kulturausschuss habe seinen Entwurf noch erweitert und zwölf Straßennamen zur Diskussion gestellt, die an preußische Generäle und die Stätten ruhmreicher Schlachten erinnern. Demnach sollen auch Orte wie Möckern, Hagelberg, Preußisch Eylau und der Katzbach, in deren Umfeld Schlachten der Befreiungskriege stattfanden, nicht mehr im Stadtraum erscheinen.
"Macht es heute, in Zeiten der Europäischen Union, wo die Erbfeindschaft mit Frankreich hoffentlich für alle Zeit Geschichte ist und man sich ja heute eher als Freunde versteht, noch Sinn, so prominent an just diese Kriege zu erinnern, selbst wenn man sagen muss, dass Napoleon natürlich ein Eroberer war?"
Mehr als 200 Jahre nach den Befreiungskriegen, heißt es auch im Beschluss des Bezirksparlaments, stelle sich die Frage, ob die Generalsnamen "noch als angebracht betrachtet werden" könnten, gerade angesichts der "tiefen Partnerschaft zwischen den ehemaligen ‚Erbfeinden‘ Frankreich und Deutschland".
Vorwurf der Geschichtsvergessenheit
Einer der wenigen, die offen gegen die Pläne der Kreuzberger Grünen opponieren, ist der Fraktionsvorsitzende der CDU in der Bezirksverordnetenversammlung, Timur Husein:
"Davon halte ich sehr wenig, aus verschiedenen Gründen. Zum einen tragen die Straßen teilweise über 150 Jahre ihren Namen, und als Konservativer, denke ich, sollte man gute Traditionen bewahren. Auch nicht ganz unwesentlich: Diese Generäle haben ja damals gegen die französische Besetzung gekämpft, also für die Freiheit der Preußen. Und aus all diesen Gründen halte ich es für falsch, die preußischen Generäle aus unseren Straßennamen zu tilgen."
Niemand tritt auf der politischen Bühne Kreuzbergs so entschieden als Anwalt preußischer Tradition auf wie Timur Husein. Er wurde 1980 in Berlin geboren, als Sohn einer Kroatin und eines Türken. "Preuße zu sein", sagt der CDU-Mann, sei keine Frage der Geburt, sondern des Bekenntnisses. Husein wehrt sich dagegen, Preußen als überholt darzustellen und die Erinnerung an die preußische Geschichte im Berliner Stadtbild zu entsorgen.
"Ich verstehe diese Geschichtsvergessenheit der Grünen nicht. Das ist ein Teil unserer Geschichte. Die sollten wir bewahren. Das Gute aus der preußischen Zeit sollten wir fortsetzen: Etablierung des Rechtsstaates, Abschaffung der Todesstrafe zum Beispiel, Religionsfreiheit – jeder nach seiner Fasson. Also Preußen ist schillernd, es hat seine negativen und seine positiven Aspekte. Aber Preußen aus Kreuzberg zu tilgen, halte ich für den falschen Weg."
Werner Heck von den Grünen hält dem entgegen, es sei noch nichts entschieden. Im Übrigen werde das Umbenennungsprojekt basisdemokratisch organisiert. Die Bezirksverordnetenversammlung hätte die Umbenennung der Straßen einfach beschließen können, sagt der Grünen-Repräsentant – so wie der Generalszug 1864 per preußische Kabinettsorder eingeführt worden sei. So einfach werde man es sich nicht machen. Und schließlich fügt Heck hinzu, er habe vor allem eine Debatte auslösen wollen.
"Ehrlich gesagt habe ich den Generalszug halt ausgewählt, weil ich wusste: Das gibt einen Aufschrei."
Wie Städte mit belasteten Straßennamen umgehen
Es gibt andere Beispiele für systematische Versuche in Deutschland, belastete Namen aus dem öffentlichen Raum zu tilgen. In München hat die SPD-Fraktion im Stadtrat eine Liste mit historisch belasteten Straßennamen erstellen lassen. Im Januar gelangte die Liste mit 40 Straßen ungewollt an die Öffentlichkeit. Nach Informationen der "Bild"-Zeitung soll in München nicht nur die Debatte über Mittäter des nationalsozialistischen Regimes angeregt werden, die durch Straßennamen geehrt werden. Auf der Liste stehen auch die Namen von Persönlichkeiten wie Franz Josef Strauß, Otto von Bismarck, Arthur Schopenhauer, Erich Kästner, Martin Luther und Christoph Kolumbus. Nicht das Gedenken an alle insgesamt 320 Personen solle aber einer Umbenennung zum Opfer fallen – es werden auch öffentliche Kommentierungen der Straßennamen diskutiert.
Auch in den Städten Mainz und Koblenz haben Ausschüsse belastete Straßennamen recherchiert. Einige Städte befragen zusätzlich die Bürgerinnen und Bürger nach ihrer Meinung. Im Wesentlichen geht es um Persönlichkeiten, die heute im Zwielicht stehen, weil sie mit dem nationalsozialistischen System zusammengearbeitet haben.

Düsseldorf hat – ähnlich wie München – die Expertise von Historikern in Diensten der Landeshauptstadt bemüht. Vertreter des Stadtarchivs und der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte haben zusammen mit einem wissenschaftlichen Beirat 79 Straßennamen überprüft. Bastian Fleermann, Leiter der Mahn- und Gedenkstätte, betont, dies geschehe im politischen Auftrag – nämlich im Auftrag des Düsseldorfer Stadtrats.
"Da kam in der Politik der Wunsch auf: Jetzt wollen wir dieses Thema einmal richtig von oben bis unten systematisch aufarbeiten lassen. Es bestand keine Lust mehr, alle paar Jahre eine neue Debatte um eine neue Straße zu führen, die wir in Düsseldorf haben. Sondern man hat gesagt: Wir wollen das der Fachverwaltung, den Historikerinnen und Historikern übertragen, das jetzt einmal von oben bis unten richtig und systematisch zu machen."
Die Düsseldorfer Historiker überprüften alle Namensgeber, die nach 1870 gestorben sind. Sie konzentrierten sich bei der Suche nach problematischen Straßennamen auf die Bereiche Kolonialismus und Nationalsozialismus, auf Militarismus und Antisemitismus. Im Januar stellten sie einen 300-seitigen Abschlussbericht vor – der 79 Gutachten umfasste. Zwölf Straßennamen bezeichnen die Historiker als "nicht haltbar", etwa die Pfitznerstraße, benannt nach dem deutschen Komponisten Hans Erich Pfitzner, der noch nach 1945 offen antisemitische Positionen vertrat.
Werner Ullmann, Präsident der Beuth Hochschule für Technik in Berlin
Werner Ullmann, Präsident der Beuth Hochschule für Technik in Berlin (Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht)
Wo zieht man die Grenze bei der Bewertung?
Der wissenschaftliche Beirat stieß immer wieder auf Grenzfälle bei seinem Versuch, die Düsseldorfer Straßennamen systematisch nach problematischen Persönlichkeiten zu durchforsten.
"Wir sind zum Beispiel gefragt worden: Warum habt ihr nicht über die Wagnerstraße gesprochen? Der Richard Wagner war in der Tat ein überzeugter Antisemit. Und wir haben aber gesagt: Wenn wir eine Gesamtlebensleistung, eine gesamte Biografie betrachten, ist es sehr wohl ein großer moralischer Unterschied, ob jemand Mitte des 19. Jahrhunderts antisemitisch schwadroniert wie Wagner oder ob jemand mit den Erfahrungen von Auschwitz-Birkenau zwei, drei Jahre später, nach 1945 eben, zum Rassenhass und zur Vertreibung der Juden und so weiter – und die Schuldabwehr so auf die Spitze treibt, dass er sagt: Eigentlich waren sie selber schuld."

Bastian Fleermann von der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte – und mit ihm die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats – haben sich ausdrücklich bemüht, die umstrittenen Namensgeber von Straßen "in ihrem historischen Kontext zu sehen". Deshalb kamen die Düsseldorfer zu dem Schluss:
"Im Großen und Ganzen hat diese Kommission die Erfahrung gemacht: Die perfekte, unbefleckte Heldenbiografie gibt es nicht."
Zudem, so heißt es in einem resümierenden Bericht, sei sich der Beirat ...

"Der Tatsache bewusst, dass auch seine eigene Arbeit eine zeitgebundene ist und dass die Bewertung den Kenntnisstand sowie moralische Maßstäbe unserer Gegenwart spiegelt."
Das Rudi-Dutschke-Straßenschild, aufgenommen am Donnerstag (10.05.2007) in Berlin. Das Schild wurde am Morgen an der bisherigen Straßenkreuzung Kochstraße/Axel-Springer-Straße im Stadtteil Kreuzberg angeschraubt. Obwohl das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom Mittwoch noch nicht rechtskräftig sei, wolle man die Umbenennung nun "aktiv vollziehen", teilten die Grünen mit. Die Richter hatten entschieden, dass die Namensänderung eines Teils der Kochstraße nicht willkürlich sei und keine Grundrechte der Anlieger verletze. Die Klägergemeinschaft, zu der auch das Verlagshaus Axel Springer gehört, hielt die Benennung nach dem früheren Studentenführer Dutschke für rechtswidrig. Sie will Berufung gegen das Urteil einlegen.
Rudi-Dutschke-Straßenschild in Berlin (picture alliance / Johannes Eisele)
Umbenennung öffentlicher Einrichtungen
Nicht nur Straßennamen stehen zur Debatte. Die Akademische Versammlung der Berliner "Beuth Hochschule für Technik" beschloss im Januar, den Namen der Fachhochschule abzulegen und einen neuen Namen zu suchen. Erst 2009 hatte sich die Hochschule diesen Namen gegeben. Peter Beuth war ein hoher preußischer Ministerialbeamter, der sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts um den Technologietransfer aus England und anderen westeuropäischen Ländern nach Preußen verdient gemacht hatte. Eine frühe Form der Industriespionage, für die Beuth in Berlin anderthalb Jahrhunderte lang geehrt wurde.
Dann aber, im Jahr 2017, machte Achim Bühl, Soziologieprofessor an der Beuth-Hochschule, eine Entdeckung. Der Präsident der Hochschule, Werner Ullmann, erinnert sich.
"Der Professor Bühl, der hat sich auf eine neue Lehrveranstaltung vorbereitet und stieß auf einen Eintrag zur Person Beuth als Mitglied der Tischgesellschaft und dass der dort eine Rede gehalten hat, die halt sehr stark – also man kann schon sagen in außergewöhnlicher Weise – antisemitisch geprägt war."
Beuth war auch Mitglied der "Deutschen Tischgesellschaft", eines Vereins von Honoratioren, der 1811 gegründet worden war. Er diente auch der "antisemitischen Belustigung". Beuth polemisierte gegen die Gleichstellung der Juden in Preußen. Wenn sie gar Landbesitz erwerben könnten, phantasierte er, könne ein christlicher Geistlicher die Aufgabe erhalten, den Sohn eines jüdischen Gutsherrn zu beschneiden. "Das Verbluten und Verschneiden manches Judenjungen" sei dann die "wahrscheinliche und wünschenswerte Folge", so Beuth.
Nach dieser späten Entdeckung von Beuths aggressivem Antisemitismus empfand die Mehrheit der Mitglieder des Akademischen Senats den Namen "Beuth Hochschule" als nicht mehr erträglich. Die Gegner einer neuerlichen Umbenennung argumentierten allerdings, fasst Präsident Ullmann zusammen, "dass es Bedenken gab, wenn wir uns umbenennen, dass dann eigentlich die Auseinandersetzung mit dem Thema, dass die dann eigentlich sofort von der Tagesordnung verschwindet, nach dem Motto 'Jetzt ist aber mal gut‘. Und eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus, Rassismus findet dann eigentlich nicht mehr statt."
Timur Husein, CDU- Fraktionsvorsitzender in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg
Timur Husein, CDU-Fraktionsvorsitzender in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg (Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht)
Namensträger haben eine Art Vorbildfunktion
Die Führung der Beuth-Hochschule einschließlich ihres Präsidenten hat – im Gegensatz zu den Düsseldorfer Historikern – einen kompromisslosen Schluss aus ihrer historischen Untersuchung gezogen. Das Lebenswerk von Peter Beuth, dem Vater der Industrialisierung Preußens, steht aus ihrer Sicht im Schatten seines Antisemitismus. Beuth kann aus Sicht der Hochschule kein Vorbild für Studentinnen und Studenten sein. Der Name wird deshalb aus dem Stadtraum verschwinden, sobald ein neuer gefunden ist.
Umbenennungen von Institutionen wie der Beuth-Hochschule und von Straßen sind nichts Neues. Sie folgten auch früher immer der politischen Agenda der Zeit. Die Nationalsozialisten wählten Namen, die für Deutschtum und Nationalismus standen, die Sozialisten bevorzugten Antifaschisten und kommunistische Theoretiker.
Auch heute spiegelt sich in den Umbenennungen das politische Selbstverständnis der Gesellschaft. Wo das Tilgen von Namen und die Neubenennung mit System geschieht – wie zurzeit in vielen Städten – lohnt der kritische Blick. Dafür steht der CDU-Fraktionsvorsitzende im Kreuzberger Bezirksparlament, Timur Husein. Er sieht sogar den Namen des Stadtteils Kreuzberg in Gefahr.
"Letzten Endes, wenn die Grünen die Mehrheit hätten, die absolute, würden sie auch das umbenennen, da bin ich mir sehr sicher. Die Umbenennung der Straßen, das ist – aus meiner Sicht jedenfalls – ein Versuchsballon. Sie schauen sich an, was geht und was nicht geht. Und wenn wir hier keinen Widerstand leisten, da bin ich mir sicher, wären die nächsten Schritte die Umbenennung des Bezirks."
Kreuzberg ist nach dem Eisernen Kreuz benannt, das auf der höchsten Erhebung des Bezirks, dem Kreuzberg, steht. Das Kreuz ziert die Spitze des deutschen Nationaldenkmals, das der preußische König Friedrich Wilhelm III. 1821 errichten ließ. Es ehrt die Kämpfer der Befreiungskriege gegen Napoleon – wie die Straßen des "Generalszugs" auch.
Der konservative Timur Hussein befürchtet, dass Grüne und Linke in Kreuzberg geschichtliche Fundamente aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit streichen wollen.
"Das ist eine vor allem bei linken Parteien tief sitzende Geschichtsvergessenheit – oder sagen wir noch besser: eine Geschichtsversessenheit. Man will mit der eigenen Geschichte abschließen, man will damit nichts zu tun haben, und will eine neue Geschichte beginnen. Das hat aber früher schon nicht geklappt und es wird auch in Zukunft nicht funktionieren. Wer seine Geschichte vergisst, weiß nicht mehr, wer er ist und weiß auch nicht, wohin er in Zukunft gehen soll."