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Debatte um Bluttests als Kassenleistung
Selbstbestimmung der Frauen gegen Recht auf Leben?

Sollen gesetzliche Krankenkassen vorgeburtliche Bluttests auf Trisomien bezahlen? Führt dies zu mehr Schwangerschaftsabbrüchen? Eine junge Aktivistin mit Down-Syndrom hat dazu im Interview mit dem Deutschlandfunk eine klare Position. Die Fragen bewegen Deutschland dennoch seit Wochen und erinnern an den Streit um den sogenannten Abtreibungsparagraphen vor 25 Jahren. Heute beschäftigt sich auch der Bundestag mit dem Thema.

11.04.2019
    Eine Medizinisch-Technische Aisstentin überprüft die Blutprobe einer schwangeren Frau auf Trisomien 21, 18 und 13 beim ungeborenen Kind
    Der Bundestag debattiert heute über vorgeburtliche Bluttests. (Patrick Seeger / dpa)
    Befürworter vorgeburtlicher Bluttests weisen unter anderem auf das Selbstbestimmungsrecht von Frauen hin. Sie betonen das geringere Risiko dieser Untersuchungsmethode im Vergleich zu anderen Verfahren wie der Fruchtwasseruntersuchung. Gegner argumentieren, mit der Kostenübernahme solcher Tests auch durch gesetzliche Kassen würde die Zahl der Abtreibungen von Menschen mit Down-Syndrom weiter steigen.
    Demonstrationen im Vorfeld der Bundestagsdebatte
    "Wir Menschen mit Down-Syndrom wollen auch auf der Welt bleiben", sagte die Behindertenrechts-Aktivistin Natalie Dedreux im Deutschlandfunk. Die 20-Jährige hat selbst das Down-Syndrom (Trisomie 21). Aus ihrer Sicht ist das weder eine Krankheit noch ein persönliches Leid. "Wir Menschen mit Down-Syndrom sind cool", sagt sie: "Die Menschen brauchen keine Angst vor uns zu haben." Dedreuxs Worten zufolge fühlen sich Menschen mit Down-Syndrom wohl, sind zufrieden und glücklich und empfinden ihr Leben als lebenswert.
    Dedreux sitzt am Tisch mit Mikro.
    Natalie Dedreux gibt ein Interview im Deutschlandfunk. (Deutschlandfunk / Stefan Ehrhardt)
    Heute hatte der Bundestag über die Bluttests gesprochen. Es handelte sich um eine Orientierungsdebatte ohne Beschlussfassung. Schon seit Wochen wird eine teils sehr emotionale Debatte geführt, bei der es immer wieder auch um den Wert jeden Lebens geht, aber auch um die Freiheit der Frauen. Mit Blick auf die Bundestagsdebatte demonstrierte gestern eine Gruppe von Aktivisten in Berlin gegen den Bluttest als Kassenleistung. Mit dabei war auch Natalie Dedreux, die aktuelle auch ein zweiwöchiges Praktikum in der Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks ableistet. Sie beschreibt ihr Syndrom so: "Wir haben ein anderes Gesicht. Eine kleinere Nase und andere Ohren. Und wir werden mit Mandelaugen geboren. Manche Menschen mit Down-Syndrom sind schneller beim Denken, manche langsamer." Bei einer Trisomie ist ein Chromosom dreimal, statt nur zweimal vorhanden.
    Die Kölnerin startete jüngst eine Online-Petition gegen die Überlegungen, dass die Krankenkassen künftig die Kosten für einen vorgeburtlichen Bluttest auf Chromosomenanamolien wie Trisomie 21, 18 oder 13 tragen sollen. Sie befürchtet, dass die Zahl der Abtreibungen von Menschen mit Down-Syndrom dadurch weiter steigen wird.
    Die Kölner Aktivistin Natalie Dedreux (M.), die mit dem Down-Syndrom lebt, nahm in Berlin an der Demonstration gegen Gen-Tests für Schwangere teil. 
    Demonstration in Berlin gegen Gen-Tests für Schwangere, auch die Kölner Aktivistin Natalie Dedreux nahm teil. (picture-alliance / dpa /ZB / Britta Pedersen)
    Schätzungen zu den Abtreibungszahlen
    Derzeit werden Schätzungen zufolge neun von zehn Kindern mit Trisomie 21 abgetrieben. In Dänemark, wo die Bluttests schon seit 2004 Kassenleistung sind, ging nach der Kostenübernahme die Zahl der Neugeburten mit diesem Gendefekt deutlich zurück. Statistisch gesehen kommt bei etwa 600 bis 700 Geburten ein Baby mit Down-Syndrom zur Welt.
    Dedreuxs Petition haben mehr als 14.000 Menschen unterzeichnet. Damit fehlen nur noch wenig hundert, um das selbstgesteckte Ziel von 15.000 Unterschriften zu erreichen. Zu den Erstunterzeichnern gehören Schauspielerinnen und Schauspieler mit Down-Syndrom sowie der Behindertenrechts-Aktivist Raul Krauthausen. Der ebenfalls mit Down-Syndrom lebende Schauspieler Sebastian Urbanski plädiert ebenfalls gegen das Screening: "Wir sind verdammt noch mal auch Menschen", sagte er. Der Pränataltest sortiere "Menschen wie mich schon vor der Geburt aus".
    Befürworter der Bluttests
    Befürworter des Bluttests NIPT (Nicht-invasiver Pränataltest) weisen darauf hin, dass er im Vergleich zu anderen vorgeburtlichen Diagnoseverfahren wie die Fruchtwasseruntersuchung als wenig riskant für Mutter und Kind gilt. Für Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU), ist das geringere Risiko dieser Methode ein zentrales Argument für die Kostenübernahme.
    Ein weiteres Argument für die Kostenübernahme durch gesetzliche Kassen ist das der Gerechtigkeit. Wohlhabende Menschen können sich die Kosten des Bluttests von mehreren hundert Euro problemlos leisten. Menschen, die über weniger Einkommen verfügen, müssen darauf verzichten, und ein Kind mit Behinderung gegebenenfalls gegen ihren Willen zur Welt bringen. Die FDP erklärte, man wolle nicht, dass nicht der Geldbeutel entscheidet, ob Schwangere Klarheit bekommen.
    Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister, steht während einer Befragung der Regierung im Plenarsaal. 
    Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist für die Bluttests, unter anderem weil sie ein geringeres Gesundheitsrisiko darstellten als andere Diagonosverfahren. (picture alliance / Fabian Sommer)
    Immer wieder wird zentral auf das Selbstbestimmungsrecht von Frauen hingewiesen. Nach den Worten der gesundheitspolitischen Sprecherin der FDP, Aschenberg-Dugnus, soll es dabei bleiben, dass jede Schwangere selbst und diskriminierungsfrei darüber entscheiden könne, ob und welche Untersuchung sie durchführen lasse und wie sie mit dem Ergebnis umgehe. Ähnlich äußerte sich der gesundheitspolitische Sprecher der AfD, Gehrke: Ihm zufolge stünde eine Beschränkung der Informationsmöglichkeiten durch den Bluttest im Widerspruch zum sonstigen Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen. In Deutschland würden auch zehntausende "gesunde Kinder" abgetrieben, betonte er.
    "In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?"
    Inzwischen hat die Frage allerdings einen grundlegenden Charakter bekommen: Sollen Menschen mit geistigen Behinderungen ein Teil der Gesellschaft bleiben, oder ist es erstrebenswert, sie zu vermeiden, sie abzutreiben? Sagt nicht das Grundgesetz in Artikel eins, dass die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist? Manche befürchten einen Dammbruch beim Lebensschutz. All dies sind ethische Abwägungen, die quer durch die Parteien und Fraktionen kontrovers diskutiert werden.
    So sieht der Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, Ralph Brinkhaus (CDU), die Auseinandersetzung mit dem Bluttest als "Vorboten von vielen Debatten", die in den nächsten Jahren zu führen seien."Die medizinisch-ethischen Fragen werden die Art und Weise, wie wir und nach welchen Werten wir leben, massiv hinterfragen", sagte er in der jüngsten Ausgabe der "Welt am Sonntag". Die SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt, die selbst Mutter eines Sohnes mit Trisomie 21 ist, betonte: "Wir müssen eine ethische Debatte über die Grenzen des Machbaren führen: Was können wir erkennen, was wollen wir erkennen und wie gehen wir mit diesem Wissen um?" Die behindertenpolitische Sprecherin der Grünen, Corinna Rüffer, führte aus: "Wir müssen weg von der Frage der Kassenzulassung hin zu einer ethischen Debatte darüber, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen."
    Ob die Bluttests zur Kassenleistung werden, muss letztlich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) festlegen. In ihm sind die Akteure des Gesundheitswesens vertreten, wie Ärzte, Kassen und Krankenhäuser. Der Ausschuss berät bereits darüber, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen der Test in den Leistungskatalog der Kassen aufgenommen werden soll. Bislang heißt es, die Tests sollten nur dann Kassenleistung werden, wenn es besondere Risiken oder Auffälligkeiten in der Schwangerschaft gibt. Die endgültige Entscheidung wird für den Spätsommer erwartet. Die Tests kosten derzeit 200 Euro und aufwärts. Einige private Kassen übernehmen die Finanzierung.
    Wie funktioniert der Bluttest
    Bis vor einigen Jahren konnten Ärzte Trisomie 21 vor der Geburt nur durch invasive Methoden - etwa die Untersuchung des Fruchtwassers - feststellen. Dieses Verfahren liefert zwar sehr präzise Ergebnisse, kann aber auch zu Komplikationen führen - bis hin zu einer Fehlgeburt. Bei Risikoschwangerschaften zahlen die Kassen den Test - etwa, wenn die Schwangere über 35 Jahre alt ist oder schon ein Kind mit Chromosomen-Anomalie bekommen hat. Praktisch keine Risiken gibt es bei dem seit 2012 existierenden Bluttest.
    Ein sogenannter "Praena-Test", der über eine vorgeburtliche Blutentnahme Aufschluss über eine mögliche Erkrankung des Kindes an Trisomie 21 geben soll, liegt auf einem Tisch.
    Ein sogenannter "Praena-Test", der über eine vorgeburtliche Blutentnahme Aufschluss über eine mögliche Erkrankung des Kindes an Trisomie 21 geben soll. (Tobias Kleinschmidt /dpa / lsw)
    Dabei wird der schwangeren Frau ab der vollendeten neunten Schwangerschaftswoche Blut aus der Vene abgenommen. Die Bluttests ermöglichen es, die DNA-Spuren des Ungeborenen herauszufiltern und auf Chromosomen-Störungen zu untersuchen. So lässt sich ermitteln, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie ist. Die Tests gelten als weniger zuverlässig als die Fruchtwasseranalyse; ihr großer Vorteil liegt aber in dem sehr geringen gesundheitlichen Risiko.