Archiv


Debatte um Hans Filbinger

Doris Simon: Am Sonntag wird der Bundespräsident gewählt und wenn nicht noch etwas völlig Überraschendes passiert, wird es wohl Horst Köhler werden. Die Stimmverhältnisse sind klar. Eröffnet wird die Bundesversammlung von Hans Filbinger, dem Ältesten der 1205 Wahlmänner und Wahlfrauen. Der Jurist Filbinger, inzwischen 90 Jahre alt, war in den 70er Jahren ein populärer Ministerpräsident in Baden-Württemberg, in seiner Partei, der CDU, eine ernst genommene Figur. 1978 machte der Dramatiker Rolf Hochhuth bekannt, dass Filbinger gegen Kriegsende 1945 als Marinerichter an Todesurteilen gegen Matrosen beteiligt gewesen war. Filbinger musste in der Folge vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten und kämpft seither um seine Rehabilitierung. So gesehen ist seine Nominierung als Wahlmann durch die CDU in Baden-Württemberg ein deutliches Zeichen. Am Telefon ist nun Gerd Langguth, er ist Professor in Bonn und war davor viele Jahre CDU-Bundestagsabgeordneter. Herr Langguth, was verbindet Sie über das Parteibuch hinaus mit Hans Filbinger?

Moderation: Doris Simon |
    Gerd Langguth: Mich verbindet nicht sehr viel mit ihm. Ich kannte ihn sehr viele Jahre und hatte, als ich damals Landesvorsitzender der Jungen Union und auch baden-württembergische Bundestagsabgeordneter war, natürlich ganz zwangsläufig mit Herrn Filbinger sehr viel zu tun. Er war ein fairer Landesvorsitzender, auch der Jungen Union gegenüber, das muss man sehen. Mich verbindet insofern etwas mit ihm, dass ich damals der erste CDU-Politiker war, der öffentlich seinen Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten gefordert hatte. Die Junge Union spielte insofern damals in dieser Frage eine relativ große Rolle. Ich hatte die Beschlüsse der Jungen Union auszuführen, diese gesagt hatte, dass es auf Dauer nicht tragbar sei, dass Filbinger weiterhin Ministerpräsident sein würde. Unabhängig davon muss man aber sagen, dass sich die Zeit ja jetzt verändert hat und dass man heute mehr Zeit hatte, die Dinge aufzuarbeiten. Ich glaube, Filbinger hatte zwar in mancherlei Beziehung selber Schuld, dass er zurücktreten musste, einfach durch die Art und Weise bedingt, wie er mit den Veröffentlichungen damals umging. Aber historisch betrachtet ist er in falscher Weise zu einem Buhmann erklärt worden, auch das muss man einmal ganz eindeutig erklären. Er arbeitet natürlich, wie Sie eben gesagt haben, an seiner Rehabilitation. Aber es gibt ja auch ein ganze Reihe von wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die bestätigen, dass er nicht der blutrüstige Richter war, wie man ihn immer versucht hat hinzustellen.

    Simon: Wir müssten vielleicht bei dieser Gelegenheit noch einmal daran erinnern, dass der Ministerpräsident damals 1978 auf Unterlassung geklagt hatte gegen Hochhuth und dabei unterlegen war. Er wollte sich nicht mehr daran erinnern, aber er hatte eben diese Todesurteile gefällt. Die Dokumente kamen von der Stasi, aber sie waren echt, sie waren nicht gefälscht. Vor allem seine Uneinsichtigkeit hat ja damals Filbinger Amt und Ansehen gekostet. Sie erinnern sich sicher auch noch an den Spruch, "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein." Ist vor diesem Hintergrund die Berufung Filbingers als Wahlmann nicht trotzdem das falsche Signal?

    Langguth: Auch dieser eine Satz, den er gesagt haben soll, wird ja von ihm heftig bestritten. Man muss ja sagen, Filbinger war ja auch bei den letzten Bundesversammlungen immer wieder Wahlmann gewesen. Man muss auch deswegen die Dinge etwas tiefer hängen: Er wird ja gar nicht die Bundesversammlung eröffnen, wie es so schön heißt. Es gibt gar keinen Alterspräsidenten im Falle einer Bundesversammlung, eröffnet wird die Bundesversammlung durch den Bundestagspräsidenten und das ist gar nicht zu vergleichen mit der Eröffnung des Bundestages. Außerdem muss man auch sehen, dass es wissenschaftlichen Forschungen gibt, die nachweisen, dass Filbinger nicht allein in diesem Licht gesehen werden kann, wenn ich allein an die Veröffentlichung von Hürten, Ott und Jäger denke, aber auch andere Veröffentlichungen. Die führen zum Teil, ob das vielen nun passt oder nicht, zu einer Entlastung Filbingers.

    Man muss auch sagen, zum Beispiel die Stuttgarter Zeitung, die immer wieder mit großer Kritik an Filbinger hervorgetreten ist, hatte nun aus Anlass seines 90sten Geburtstages erklärt, Filbinger sei seinerzeit als Ministerpräsident ein Glücksfall gewesen. Er habe in den zwölf Jahren seiner Amtszeit in Baden-Württemberg - jetzt zitiere ich wörtlich - "Baden-Württemberg an die Spitze der westdeutschen Bundesländer geführt". Jetzt ist natürlich die Frage, die man schon stellen muss: Filbinger ist damals zum Rücktritt gezwungen worden, aber er hat ja auch ein Stück weit Buße getan. Aber ihm ist juristisch nichts anzulasten, vielleicht moralisch. Aber damals waren viele Menschen in schwierige Entscheidungen verquickt. Er selber wollte gar nicht Marinerichter werden und hat auch einen Großteil der Urteile gar nicht selber gefällt, teilweise war er ja nur Anklagevertreter, musste Dinge ausführen. Es ist schwierig, so viele Jahrzehnte nach dem Krieg dem Ganzen gerecht entgegen zu treten. Aber dass ein über 90-jähriger Mann, der einer Kriegsgeneration angehörte, der sich sein Schicksal nicht aussuchen konnte, durch seinen Amtsverzicht auch ein Stück weit, wenn auch ungewollt, auch Buße, geleistet hat, das müsste man auch einmal mit in Rechnung stellen, wie auch seine zweifellos vorhandenen Aufbauleistungen in eine Gesamtbewertung mit einbeziehen.

    Simon: Herr Langguth, Sie sprechen häufiger von Buße, aber das, was ihm die Kritiker vorwerfen, ist ja, dass er uneinsichtig geblieben ist und bis heute nie gesagt hat, dass das alles stimmte, was ihm vorgeworfen worden ist, was ja auch belegt ist, wenn vielleicht auch nicht mit dem Beiton, der damals dabei war, dass er das niemals richtig anerkannt hat. Ist das wirklich jemand, den man in der Bundesversammlung haben sollte?

    Langguth: Ich sage noch einmal, wir, die wir damals das Kriegschicksal selber nicht zu erleiden hatten, wir tun uns heute sehr leicht mit einer moralischen Geste gegen die damalige Generation. Er war kein Widerstandskämpfer, aber er war auch kein Nazi, wie man versucht ihn darzustellen. Er kam aus der katholischen Jugendbewegung. Er hatte sozusagen indirekt im weiteren Sinne Kontakt zum Widerstand. Er hat halt Urteile mit ausgeführt, was übrigens damals in einer Zeit des Zusammenbruchs auch teilweise von ihm so begründet wurde. Und das gibt eine gewisse Plausibilität, dass gerade in den Monaten vor Kriegsende ein gewisse Disziplin aufrecht erhalten werden musste. Warum? Weil die Marine weiter tätig sein musste. Sie musste zum Beispiel bei der zusammenbrechenden Front, die es gab, da mussten Millionen von Deutschen noch gerettet werden, gerade von Ostpreußen. Es ist gar nicht so einfach, heute mit einem Schlag die gesamte Zeit von damals beurteilen zu können. Es war übrigens die Entscheidung des baden-württembergischen Landtages, der gesagt hat, wir wollen, dass Herr Filbinger in die Bundesversammlung kommt, und das Recht hat ja jeder Landtag, wie ja auch andere Prominente in die Bundesversammlung gewählt worden sind - Jette Joop in Niedersachsen oder Schorsch Hackel im bayerischen Landtag -, so hat es auch die CDU-Fraktion im baden-württembergischen Landtag erklärt angesichts der gesamten Aufbauleistung, die Filbinger erbracht hat. Das kann und will ich - weil ich die Details auch nicht kenne - moralisch in dem Sinne nicht bewerten, dass ich sage, dass Filbinger nicht vielleicht auch ein Stück weit die Verhängnisse, die er hatte, in die er gekommen ist, nicht vielleicht hätte anders bedenken sollen. Aber er hat ja auch ein Buch geschrieben, in dem er versucht hat, mit sich ins Reine zu kommen. Ich finde, das muss man alles auch in irgendeiner Form mit anerkennen. Und aus diesem Grund denke ich, sollte man den ganzen Fall etwas tiefer hängen. Wenn auch in der Presse steht, er würde die Versammlung eröffnen, das tut er nicht, er ist normales Mitglied, und insofern glaube ich, dass man das auch in dieser Form so akzeptieren kann.