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Debatte um humanitäre Visa
"Kein Zugang zum gesamten Schengen-Raum für Flüchtlinge"

Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, Paolo Mengozzi, plädiert dafür, dass EU-Botschaften humanitäre Visa für nachweislich verfolgte Flüchtlinge ausstellen sollen. Das lehnt der CSU-Innenpolitiker Michael Frieser ab. Man dürfe Flüchtlingen keinen Zugang für den gesamten Schengen-Raum geben, sagte Frieser im DLF.

Michael Frieser im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 08.02.2017
    Der CSU-Innenpolitiker Michael Frieser.
    Der CSU-Innenpolitiker Michael Frieser. (pa/dpa/Kappeler)
    Ein EU-Visum gelte nicht nur für ein bestimmtes Land, sagte Frieser. Angesichts der weltweiten Konflikte könne man nicht allen eine Route in den Schengenraum eröffnen. Außerdem gehe es ja nicht nur um Syrien: "Es geht ja hier, wenn wir den Generalanwalt richtig verstanden haben, nicht nur um die Frage Syrien, sondern es geht an dieser Stelle auch genauso um jeden anderen Krisenherd. Das heißt, wir reden über den gesamten afrikanischen Kontinent. Glauben Sie denn tatsächlich, dass bei den 60 Millionen Menschen, die auf der Welt weltweit auf der Flucht sind, vor Krieg, Verfolgung und und und, dass wir denen tatsächlich eine Route in den Schengen-Raum eröffnen können?"
    Auslöser der Debatte ist ein Gutachten des EuGH-Generalanwalts. Darin kommt er zu dem Schluss, dass Botschaften der EU-Staaten nachweislich verfolgten Menschen Visa ausstellen müssen, wenn ihnen Folter oder eine andere unmenschliche Behandlung drohen. In dem Fall geht es konkret um die Klage einer Familie aus Syrien.
    Frieser lehnte es zudem ab, dass syrische Flüchtlinge ihre Familien nach Deutschland nachholen dürfen. "Das hat wenig mit Gewissen zu tun und sehr viel mehr mit der Frage der Kapazitäten, die wir in Deutschland haben", betonte Frieser. Bei der großen Menge an Flüchtlingen in Deutschland müsse klar sein, dass diese auch wieder zurückkehren können. Schließlich handele es um ein höchst individuelles Asylrecht. Wenn ein Flüchtling seine Familie nachholen wolle, müsse geprüft werden, ob er er für den Unterhalt und Wohnraum seiner Familienmitglieder sorgen könne.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Flüchtlinge aus Syrien bekommen zurzeit in Deutschland nur noch eingeschränkten Asylstatus, subsidiärer Schutz genannt. Das bedeutet, dass ihr Aufenthaltsrecht erst einmal für ein Jahr begrenzt ist, und außerdem hat die Bundesregierung für subsidiäre Flüchtlinge den Familiennachzug ausgesetzt, bis März 2018.
    Der Städte- und Gemeindebund möchte, dass das noch verlängert wird. In der SPD, die ja auch für diese Maßnahme gestimmt hat, regt sich dagegen Widerstand. Eine Gruppe Parlamentarier möchte diese Praxis aussetzen. Kommt da wieder Bewegung in die deutsche Flüchtlingspolitik? Darüber möchte ich mit Michael Frieser sprechen, innenpolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Frieser.
    Michael Frieser: Einen schönen guten Morgen aus Nürnberg. Grüß Sie Gott!
    Büüsker: Herr Frieser, Hilde Mattheis, die Vorsitzende des Forums Demokratische Linke, die hat gesagt, sie könne es nicht verstehen, wie wir es zulassen können, dass Kinder ohne Eltern allein in einem Kriegsland zurückbleiben. Wie können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren?
    Frieser: Ich kann und ich muss das sogar mit meinem Gewissen vereinbaren, weil sich doch klar ergibt, dass wir bereits bis 2015 genau diese Art von subsidiärem Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention hatten, und da klar ist, dass ein Flüchtling, der selber wirklich durch mehrere, übrigens auch sichere Länder nach Deutschland kommt, dass wir dort schon sehr hohe Anforderungen stellen müssen, dass wir dem auch die Möglichkeit geben, tatsächlich seine manchmal nicht ganz kleine Familie nach Europa zu holen.
    Diese Regelung des Familiennachzugs war immer eine Regelung des absoluten Ausnahmefalles. Wenn ich das sagen darf: Das hat wenig mit Gewissen zu tun und sehr viel mehr mit der Frage der Kapazitäten, die wir in Deutschland haben.
    "Absehbare Rückkehr muss machbar und möglich sein"
    Büüsker: Herr Frieser, Sie sagen, eine Regelung, die für den absoluten Ausnahmezustand geeignet ist. Aber ist das nicht de facto der Zustand in Syrien? Wir wissen doch, was mit den Menschen dort passiert.
    Frieser: Ja. Sehen Sie, es hatte ja einen Grund, warum wir in Anbetracht der Zahlen des Jahres 2015 deutlich gemacht haben, dass wir erst mal schauen müssen, was wir mit den Menschen tun. Wir wissen übrigens auch, dass die Mehrzahl derer, die hier zu uns kamen - das ist übrigens heute noch so -, tatsächlich ja nicht aus dem direkten Kriegsgebiet kommen, sondern aus anderen sicheren Herkunftsstaaten.
    Aber noch mal dazu, die entscheidende Frage ist doch eher: Wir haben doch tatsächlich Menschen hier, bei denen wir im Augenblick nicht sagen können, wie lange sollen sie eigentlich oder werden sie eigentlich da bleiben. Es muss klar sein, dass bei dieser großen Menge an Menschen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention kommen, wirklich eine absehbare Rückkehr auch wieder machbar und möglich sein muss, insbesondere auch in die Länder um Syrien herum.
    Büüsker: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Frieser, die Syrer sollen ihre Familien nicht nachholen, damit sie leichter wieder nach Syrien zurückkehren können?
    Frieser: Nein. Das ist etwas, was ich weder beurteilen kann, noch beurteilen möchte. Ich kann nur sagen, wenn hier tatsächlich jemand an die Grenze kommt, hier seinen Asylantrag stellt, dann sind wir verpflichtet, nach unserer Rechtslage und nach der europäischen das auch ausreichend zu prüfen, aber dass die entscheidende Frage, ob er denn letztendlich seine gesamte Familie nachholen kann - das kann ich nämlich nicht unterschreiben -, erst nach einem Prüfungsprozess gehen würde, weil er sich um die ja auch kümmern muss.
    Es geht ja letztendlich um die entscheidende Botschaft zu sagen, an dieser Stelle ist es ein höchst individuelles Recht des Asylrechts. Das wird geprüft. Dann wird entschieden, inwieweit ihm das auf welche Zeit zugeordnet wird und wie weit ihm das zugestanden wird. Und dann müsste er eigentlich erst mal nachweisen, dass er überhaupt in der Lage ist, diese Familie nicht nur zu unterhalten, zum Beispiel beim Thema Arbeit. Das heißt aber auch beim Thema Wohnraumnachweis.
    Insofern geben wir uns wirklich alle Mühe, die Menschen, die hier herkommen, auch wirklich einer sinnvollen Beschäftigung zuzuführen. Aber dann gleich zu sagen, jetzt musst Du dann auch sehr frühzeitig dafür sorgen, dass Du nachweisen kannst, dass Du die auch erhalten kannst, die Menschen, die Du hier herholst, das ist doch ein wirklich sehr schwieriger Vorgang. Da bin ich der Auffassung, das sollten wir im Augenblick so lassen wie es ist.
    Büüsker: Aber Experten sagen immer wieder, dass die Integration der Flüchtlinge leichter fällt, wenn die ihre Familien nachholen, dass sie eher imstande sind, dann tatsächlich auch für ihre Familie zu sorgen und für sich selbst. Das wäre doch ein Punkt, der dafür sprechen würde, dass sie ihre Familie nachholen können.
    "Insofern muss der Familiennachzug auch ausgesetzt bleiben"
    Frieser: Das mag durchaus sein. Übrigens empfinde ich weder in irgendeiner Art und Weise Freude, noch irgendein Triumphgefühl bei dieser Frage, wenn ich sage, ich habe hier Menschen mit einem wirklich unglaublichen Schicksal hinter sich. Es ist doch nicht so, als ob wir nicht wüssten, dass diese Menschen wirklich Tausende von Kilometern auf dem Buckel haben, mitunter eine wirklich schreckliche Geschichte, und dass es selbstverständlich für die insofern ganz gut wäre und ganz günstig wäre, das würde sich jeder von uns wünschen. Das ist doch nicht die entscheidende Frage.
    Die entscheidende Frage ist, ob wir bei denjenigen, die wir hier einen Asylantrag stellen lassen, die wir hier prüfen, ob wir denen auch noch aufbürden zu sagen, an dieser Stelle musst Du auch noch gleichzeitig nachweisen, dass Du Wohnraum und dass Du jemandem tatsächlich auch den Lebensunterhalt sicherstellen kannst. Insofern geht es um die entscheidende Frage, es muss klassischerweise eher der Ausnahmefall sein.
    Deshalb, glaube ich, ist es wichtig, dass wir in dieser Situation deutlich machen, der subsidiäre Schutz, das ist das, was das Individuum, das hier bei uns an der Grenze steht, auch wirklich beanspruchen kann, beanspruchen soll, und letztendlich ist die Frage des Familiennachzuges etwas, was ich dem nachordne.
    Insofern, glaube ich, ist die Position gerade in Anbetracht der Zahlen, die wir im Augenblick vorfinden, und es geht ja auch nicht, dass wir das in dieser Frage im Einzelfall klären, denn die entscheidende Frage ist, das gilt für alle Krisenherde dieser Welt. Entweder kehren sie zum ausreichenden Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention zurück, oder sie bleiben beim subsidiären Schutz, und da bin ich der Auffassung, das sollten wir in jedem Fall tun. Insofern muss der Familiennachzug auch ausgesetzt bleiben.
    Büüsker: Herr Frieser, der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, der hat nun in einem Schlussantrag eines Verfahrens so eine Art humanitäres Visum gefordert. EU-Botschaften sollen nachweislich verfolgten Menschen künftig Visa ausstellen, damit die Betroffenen in der EU Asyl beantragen können. Das ist noch keine rechtskräftige Entscheidung, aber in der Regel folgt der EuGH diesen Anträgen. Damit müssten sich Flüchtlinge dann gar nicht mehr in die Hand von Schleusern begeben. Wie beurteilen Sie das?
    Frieser: Das ist, Frau Büüsker, wenn ich das sagen darf, doch in der Fragestellung schon etwas sehr verkürzt. Richtig ist, der Generalanwalt hat gutachterlich zu dieser Frage Stellung genommen. Wir sind diesbezüglich tatsächlich, ehrlich gesagt, etwas erschrocken. Europa hat in den letzten Monaten, in den letzten eineinhalb, zwei Jahren nicht gerade das Erscheinungsbild gegeben, das wir uns wünschen würden.
    Ich glaube, die Deutschen konnten durchaus deutlich machen, dass wir in der Lage sind und willens sind, dem Elend dieser Welt ein Stück weit tatsächlich Linderung zu verschaffen und unsere Türen zu öffnen. Und jetzt kommt der EuGH und erzählt uns, wir müssten auch im Ausland ein Visum erteilen, um diesen Menschen dann hier einen Asylantrag zu gewähren. Ich bin der Auffassung, dass auch genau das nach dem Schengen-Visa-Kodex durchaus eine Ausnahme bleiben müsste, die es übrigens im Augenblick schon gibt.
    Nach einer gründlichen Prüfung könnte auch jetzt bereits für ganz bestimmte Anlässe ein solches Visum ausgestellt werden. Aber es kann doch nicht die Grundlage sein, dass jemand in einem bestimmten Krisenland ein Visum ausgestellt bekommt, um mit dem dann tatsächlich diese Frage zu klären.
    "Bei den Zahlen allein merken wir schon, dass das auf die Dauer nicht funktionieren wird"
    Büüsker: Weil es politisch nicht machbar ist, können wir es praktisch nicht umsetzen?
    Frieser: Nein, das ist falsch, sondern die entscheidende Frage ist schon der Raum, um den es geht. Es geht ja um den gesamten Schengen-Raum, weil wir nämlich mit unserer Freizügigkeit nicht mehr sagen können, jetzt gibt es tatsächlich ein Visum, das nur für Deutschland, nur für Belgien und nur für Italien gilt, sondern wenn, dann gilt es für den gesamten Schengen-Visa-Raum. Das bedeutet auf der anderen Seite, dass ich glaube, dass wir wirklich aufpassen müssen, denn es geht ja hier, wenn wir den Generalanwalt richtig verstanden haben, nicht nur um die Frage Syrien, sondern es geht an dieser Stelle auch genauso um jeden anderen Krisenherd.
    Das heißt, wir reden über den gesamten afrikanischen Kontinent. Und das bedeutet auch, wenn ich wirklich Schleusern und Schleppern das Handwerk legen will, dann muss ich mir gründlich überlegen, was für eine Geschäftsmanier haben die eigentlich. Glauben Sie denn tatsächlich, dass bei den 60 Millionen Menschen, die auf der Welt weltweit auf der Flucht sind, vor Krieg, Verfolgung und und und, dass wir denen tatsächlich eine Route in den Schengen-Raum eröffnen können? Bei den Zahlen allein merken wir schon, dass das auf die Dauer nicht funktionieren wird. Deshalb bleibe ich dabei, das wird kein Mittel sein, um den Menschen tatsächlich zu sagen, eine sichere Herkunft und eine sichere Zukunft zu bieten.
    Büüsker: … sagt Michael Frieser, innenpolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen im Deutschlandfunk, Herr Frieser.
    Frieser: Danke Ihnen! Einen schönen Tag.
    Büüsker: Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.