
Christine Heuer: Wir besprechen das Thema jetzt mit Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin, sie ist auch Gründungsmitglied im Liberal-Islamischen Bund. Das möchte ich kurz erklären: der vertritt muslimische Bürger in Deutschland, die sich mit ihrer liberalen Auffassung des Islam in den öffentlichen Debatten in anderen islamischen Organisationen und auch in politischen Prozessen nicht angemessen vertreten sehen. Langes Vorwort. Guten Tag, Frau Kaddor!
Lamya Kaddor: Guten Tag!
Heuer: Die Moscheesteuer, sind Sie dafür oder dagegen?
Kaddor: So sympathisch sie auf den ersten Blick ist, und trotzdem lehne ich sie ab lehne ich sie doch ab, doch, ich lehne sie eigentlich ab.
Heuer: Warum?
Kaddor: Weil wir, glaube ich, aus meiner Sicht, den fünfzigsten Schritt vor dem ersten gehen würden, wenn wir allen Ernstes das in Erwägung zögen. Aus meiner Sicht ist das ein bisschen widersprüchlich. Zum einen argumentiert der Staat damit, zu Recht, er sei ein säkularer Rechtsstaat, er dürfe sich nicht in die Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften einmischen - das ist alles korrekt und gut so -, und zugleich argumentiert er für diese Moscheesteuer, indem er sagt, wir können darüber Kontrolle ausüben, und damit mischt er sich ja dann doch ein.
"Wenig praktikabel"
Heuer: Frau Kaddor, da hake ich ein und sage, eigentlich sagt der Staat, wir wollen eine Kontrolle von außen eher verhindern dadurch. Das ist ja dann doch noch mal ein anderer Zungenschlag.
Kaddor: Na ja, aber indem wir versuchen, Strukturen zu schaffen nach kirchlichem Vorbild vielleicht, damit wir dann vielleicht doch irgendwie den einheitlichen Ansprechpartner finden - den es übrigens seit 40 Jahren und seit 1.400 Jahren in der Geschichte des Islams nie gegeben hat und wahrscheinlich nie geben wird -, suchen, um dann selbst Kontrolle darüber auszuüben, das ist für mich ein sehr schwaches Argument. Liegt doch darin, zu sagen, wenn wir erst einmal anerkennen - also Verein XY, mir ist das jetzt erst mal egal, wen wir benennen -, dann müssten wir ja auch den anderen Verein und den anderen Verein und den anderen Verein anerkennen, und dann sind wir vielleicht bei der Anerkennung von, weiß ich nicht, 300 Religionsgemeinschaften, und jede Religionsgemeinschaft, die dann vielleicht auch noch Körperschaftsstatus erhalten würde, die könnte dann eine Kirchensteuer beziehungsweise eine Moscheesteuer einführen.

Also ich halte das für wenig praktikabel. Um ehrlich zu sein, wir sind im Moment im Islamdiskurs an der Stelle, also im Moment sind wir hoffentlich darüber hinweg, dass wir allen Ernstes über die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit des Islams zu Deutschland sprechen, um jetzt quasi Zukunftsmusik zu spielen, die eigentlich im Moment überhaupt nicht umsetzbar ist.
Heuer: Frau Kaddor, lassen Sie es uns sortieren. Sie sagen, dass Kontrolle ausgeübt werden soll über diese Steuer. Ist das Ihnen lieber, es bleibt so wie es ist, und die Ditib ist die Stelle, die Kontrolle ausübt über Moscheegemeinden in Deutschland?
Kaddor: Nein, das ist mir … Das eine hat nicht unbedingt … bedeutet nicht unbedingt das andere. Natürlich ist mir das nicht lieber, und mal abgesehen davon gibt es einen sehr großen Druck auf die Ditib, auch seitens unserer Medien und Politik, was gut ist, dass die Ditib sich bitte unbedingt von der Diyanet in der Türkei irgendwie loslösen soll und dass sie ein deutscher Verein mit deutschen Strukturen und hier gewachsen und so weiter werden soll, die deutsche Interessen vertritt. Druck gibt es ja schon länger, nicht erst mit dieser Diskussion.
Steuer "nicht das richtige Mittel"
Heuer: Frau Kaddor, Entschuldigung, die Interessen der Muslime in Deutschland vertritt, der die Muslime in Deutschland vertritt, es geht ja nicht so sehr um Kontrolle, sondern darum, dass man den äußeren Einfluss versucht ein bisschen zu vermindern, damit sich hier liberale Muslime auch, die Sie ja auch vertreten, damit die sich frei entfalten können. Was ist daran verkehrt?
Kaddor: Daran ist nichts verkehrt. Ich sehe nur nicht, dass das mit einer Moscheesteuer gelingt. Das ist nicht das richtige Mittel zu diesem Zwecke. Ich bin ja selber … Wenn wir sagen, wir müssen den Einfluss bestimmter Herkunftsländer versuchen zu unterbinden, finanzielle Ströme ein bisschen offener legen, wir müssen das mal ein bisschen transparenter alles gestalten, um überhaupt mal einen Überblick zu bekommen, na klar sehe ich das genauso, gerade als Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, aber ich glaube nicht, dass es mit der Einführung einer Moscheesteuer machbar ist und dass wir dann die sogenannte Kontrolle hätten.
Heuer: In Österreich hat dieses Modell geklappt. Warum geht das in Österreich und nicht in Deutschland?
Kaddor: Weil es in Österreich historisch gewachsen ist. Dort gibt es ein sogenanntes Dach der Muslime, die IGGÖ. Die ist dort anerkannt als Religionsgemeinschaft, schon seit über 100 Jahren übrigens. Also das ist historisch gewachsen. Davon können wir hier in Deutschland ja nur träumen. Das haben wir schlichtweg nicht. Wir haben kein Dach. Wir hatten ja mal sowas wie ein Dach der vier großen islamischen Dachverbände, den sogenannten KM-Koordinationsrat der Muslime. Der ist hier kläglich gescheitert. Der existiert praktisch kaum mehr, also jedenfalls nicht in funktionaler Art und Weise. Deshalb können wir natürlich nicht sagen, wir übernehmen das österreichische Modell, kappen Auslandsfinanzierung - der Punkt ist mir natürlich sehr sympathisch, das möchte ich deutlich sagen -, und dann verteilen wir das quasi an eine zentrale Stelle, und die verteilt das dann weiter. Diese zentrale Stelle haben wir im Moment in Deutschland nicht. Vielleicht - deshalb gebe ich das durchaus zu bedenken -, vielleicht haben wir sie in 50 Jahren, vielleicht haben wir sie sogar schon in 100 Jahren, wer weiß, wann wir sie haben, aber wir haben sie im Moment nicht.
Heuer: Woran liegt das, dass wir sie im Moment noch nicht haben? Warum wollen sich die Muslime hier nicht zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, zu einem Ansprechpartner zusammenschließen?
Kaddor: Weil unser Glaube, sprich der Islam, so nicht strukturiert ist und so nicht organisiert ist. Es gibt keinen einheitlichen Ansprechpartner, weil wir theologisch gesehen kein Oberhaupt haben, womit das viel einfacher zu begründen wäre, ein Dach zu formen, um zu sagen, dieses Dach, also diese Person oder dieses Dach ist von oben für alle zuständig. Aus meiner Sicht müsste man Übergangsmodelle schaffen. Da setzt man dann Gremien ein, wo dann alle möglichen Vertreter am Tisch sitzen, die natürlich bestimmte Kriterien erfüllen müssen, nämlich keine Finanzierung aus Herkunftsländern, keine unübersichtlichen Finanzströme, vernünftige Mitgliederzahlen, alles muss transparent gestaltet werden.
Heuer: Nicht so viele Imame, die aus dem Ausland zu uns geschickt werden.
Kaddor: Das ist ja nicht nur ein Problem, ehrlich gesagt, der islamischen Organisationsgemeinschaften, sondern das ist auch ein Problem des deutschen Staates, der diese Imamausbildung im Moment jedenfalls nicht finanzieren will oder nur für eine bestimmte Zeit finanziert hat. Das muss ich hier deutlich auch mal sagen. Es ist also nicht immer nur: auf Seiten der Muslime liegt das Problem. Es ist leider auch häufig auf der anderen Seite so, dass gerne eine verkirchlichte Struktur gefordert wird, die der Islam aber leider so gar nicht anbieten kann.
"Selbst innerhalb des Sunniten- und Schiitentums tausende Spaltungen"
Heuer: Ja, aber vielleicht passt diese kirchliche Struktur tatsächlich zu Europa und zu Deutschland. Das sind natürlich die Strukturen, in denen dieser Staat funktioniert.
Kaddor: Ja, das ist ja auch richtig so, nur trotzdem kann man ja keine Religion zwingen, sozusagen kirchliche Strukturen zu schaffen, damit der Staat es dann möglichst einfach hat. Darin besteht ja genau das Dilemma: Einerseits muss es darum gehen, dass aus der Struktur der Religion heraus etwas vielleicht geschaffen oder gegründet wird, was dem nahekommt, was der Staat gerne hätte, aber inhaltlich, also rein theologisch funktioniert es nicht, zu sagen, wir haben da einen einheitlichen Ansprechpartner. Dafür sind die Muslime schon immer sehr unterschiedlich geprägt gewesen, auch in der Theologie sehr unterschiedlich geprägt gewesen. Ich möchte gar nicht anfangen zu erklären, worin der Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten alleine besteht. Also selbst innerhalb des Sunniten- und Schiitentums haben Sie ja tausende Spaltungen.
Heuer: Haben wir jetzt in der Tat auch keine Zeit zu. Frau Kaddor, eine Frage möchte ich noch stellen: Seyran Ates, die ja den Vorschlag wieder ins Gespräch gebracht hat, die hat heute Morgen im "Frühstücksfernsehen" ein bisschen, ich sage mal, zurückgerudert und hat gesagt, Moscheesteuer, das sei eher ein Arbeitstitel. Also auch sie sieht da Probleme. Sie schlägt eine soziale Pflichtabgabe als Einstieg vor. Ist das realistisch, wäre das etwas, wo Sie sagen, das ist ein guter erster Schritt?

Kaddor: Da muss ich sagen, den Schritt gibt es ja längst. Also diese sogenannte Pflichtabgabe entspricht ja der vierten Säule des Islams, dem sogenannten Zakat, also der Pflichtabgabe und auch Armensteuer gerne mal genannt. Da ist jeder Muslim angehalten, ein Vierzigstel, steht im Koran, also 2,5 Prozent seines Kapitalvermögens, das er quasi über hat, das er nicht fürs Leben benötigt, an oder für gute Zwecke jährlich herzugeben. In der Regel war es so, also das kennt die islamische Geschichte durchaus, es gibt Stiftungen und so weiter, an die gingen früher sozusagen lange Zeit diese Ausgaben. So, und hier in Deutschland haben wir solche Stiftungen nicht, die gemeinnützig, für gute Zwecke die Gelder dann unter Muslimen oder wohin auch immer in die Gesellschaft verteilen. Deshalb ist das Modell oder die Denke, das ist schon längst da.
Dass Menschen spenden, dass Muslime gerne auch an Moscheegemeinden spenden, hilfsbedürftigen Menschen dieses Geld zukommen lassen, das passiert ja längst. Nur ich glaube nicht, dass der Staat sich da einschalten kann und sagen kann, wir regulieren das, was Bürger dieses Landes privat spenden. Also das können wir nicht. Das wäre sehr merkwürdig, wenn plötzlich die vierte Säule des Islams quasi in staatlicher Hand organisiert wird, glaube ich, funktioniert auch nicht.
Heuer: Okay, also ich glaube, das war nicht das letzte Gespräch über die Moscheesteuer hier im Deutschlandfunk, Frau Kaddor. Ein schwieriges Thema und möglicherweise Zukunftsmusik. Lamya Kaddor war das, Islamwissenschaftlerin, Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, ich danke Ihnen fürs Gespräch!
Kaddor: Gerne doch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.