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Debatte um Reise der Kanzlerin
"Wir müssen uns um den Konflikt um Bergkarabach kümmern"

Die Reise von Angela Merkel nach Aserbaidschan ist umstritten, weil einem Delegationsmitglied die Einreise verwehrt wurde. Der SPD-Politiker Johannes Kahrs verteidigt Merkels Besuch. Es liege im europäischen Interesse, dass aus dem Konflikt um Bergkarabach kein Krieg werde, sagte Kahrs im Dlf.

Johannes Kahrs im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Johannes Kahrs, Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, spricht im Bundestag.
    Es liege auch im europäischen Interesse, dass der Konflikt um Bergkarabach gelöst wird, sagt Johannes Kahr. (dpa / picture-alliance / Michael Kappeler)
    Stefan Heinlein: Albert Weiler ist ein Name, der bundesweit bislang nur den wenigsten etwas sagen dürfte. Doch in dieser Woche sorgte der CDU-Politiker außerhalb seines Wahlkreises in Ostthüringen für einen handfesten diplomatischen Eklat. Im Vorfeld der Südkaukasus-Reise der Kanzlerin wurde er von Aserbaidschan zur unerwünschten Person erklärt. Der Grund: Zweimal hatte Albert Weiler als Mitglied der deutsch-südkaukasischen Parlamentariergruppe die zwischen Armenien und Aserbaidschan umkämpfte Region Bergkarabach besucht. Trotz der Einreisesperre für ihren Parteifreund setzte sich Angela Merkel in den Flieger.
    Am Telefon begrüße ich jetzt den SPD-Politiker Johannes Kahrs. Er ist Haushaltsexperte seiner Partei im Bundestag, aber auch Vorsitzender der deutsch-südkaukasischen Parlamentariergruppe und damit zuständig für die Kontakte nach Armenien, Georgien und Aserbaidschan. Moin, Herr Kahrs.
    Johannes Kahrs: Moin!
    "Von vornherein klar, dass Kollege Weiler nicht mitfährt"
    Heinlein: Kann eine deutsche Bundeskanzlerin ein Land besuchen, das einem deutschen Abgeordneten die Einreise verweigert und mit Verhaftung droht?
    Kahrs: Erstens kann sie es. Zweitens macht sie es. Und ich glaube, dass das kein erfreulicher Vorgang ist. Aber trotzdem: Unter Abwägung aller Aspekte war es ja von vornherein klar, dass der von mir sehr geschätzte Kollege Weiler da nicht mitfährt.
    Heinlein: Wieso war das richtig? Wieso muss man einem Präsidenten Aliyev nachgeben?
    Kahrs: Es geht ja nicht ums Nachgeben, sondern es geht hier darum, dass zwischen Armenien und Aserbaidschan dieser Konflikt sehr alt ist, man völkerrechtlich lange diskutieren kann, wie die Lage ist. Aber Aserbaidschan völkerrechtlich zumindest und was die Beschlusslagen angeht im Recht ist. Und es gibt eine Regel, die setzt Aserbaidschan seit Jahrzehnten durch, dass jemand, der in Bergkarabach war, nicht nach Aserbaidschan einreisen kann. Das hat schon andere CDU-Kollegen getroffen, ich glaube sogar mal einen SPD-Kollegen. Und das wusste jeder vorher, und das ist eine Entscheidung, die jeder für sich selber trifft.
    Heinlein: Also war es ein Fehler von Herrn Weiler, nach Bergkarabach zu fahren?
    Kahrs: Ich glaube, dass Herr Weiler, den ich sehr schätze, genau wusste, was er tat, als er da hingefahren ist. Aber auch genau wusste, was der Preis am Ende dafür ist, weil er natürlich gucken will, wie das in Bergkarabach aussieht, was ich auch vollkommen legitim finde. Aber Aserbaidschan hat diese Regel und die Folgen waren jedem von vornherein klar und bekannt.
    Heinlein: Wie wichtig ist es nun, dass Angela Merkel in den Gesprächen mit dem Präsidenten den Fall Weiler anspricht und hier deutliche Worte findet?
    Kahrs: Ich glaube schon, dass die Bundeskanzlerin es ansprechen muss und dass man sagen muss, dass es aus unserer Sicht eher unüblich ist. Aber es wird von aserbaidschanischer Seite auch erklärt werden, dass sie seit Jahrzehnten diese Praxis so handhaben und dass sie schon die Aufnahme von Herrn Weiler in die Besuchsliste als Provokation empfinden. So wird man sich dann austauschen und feststellen, dass jeder seine Meinung hat.
    Konflikt um Bergkarabach als Kernproblem
    Heinlein: Warum ist ein Besuch, Herr Kahrs, für eine deutsche Bundeskanzlerin überhaupt wichtig in Aserbaidschan? Wie wichtig ist dieses Land, diese Diktatur für Deutschland und für die deutsche Wirtschaft?
    Kahrs: Wenn Sie sich die Lage im Südkaukasus angucken, dann haben Sie da drei Länder, die in unterschiedlichen Abhängigkeiten von Russland sind. Georgien hat das Problem, dass russische Truppen in Teilen des Landes stehen. In Armenien stehen russische Armee-Einheiten in Absprache mit Armenien, wie immer solche Absprachen aussehen. Und auch Aserbaidschan muss gucken, dass sie mit ihren beiden großen Nachbarn, dem Iran im Süden und Russland im Norden, klar kommen. Das ist für alle drei immer ein Balanceakt.
    Dazu kommen diese Feindschaften, die ja weit in die Geschichte der Russischen Republik zurückgehen. Am Ende haben wir alle ein Interesse daran, dass aus diesem "frozen conflict" um Bergkarabach nicht irgendwann ein heißer Konflikt und ein Krieg wird, weil das genau das sein kann, was man in dieser Region im Moment nicht braucht. Ich glaube, es geht schwerpunktmäßig darum, dass man gucken muss, dass man es vielleicht diplomatisch schafft, Fortschritte zu erzielen, um diesen Konflikt um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan friedlich zu lösen.
    Heinlein: Welche Rolle, Herr Kahrs, spielen wirtschaftliche Interessen? Braucht Deutschland auch Gas aus Aserbaidschan, um unabhängiger zu werden von den russischen Erdgaslieferungen, und ist das ein Hauptgrund für die Reise der Kanzlerin?
    Kahrs: Je mehr Gaslieferanten man hat, umso unabhängiger ist man von dem Einzelnen. Aber ich glaube nicht, dass das das Kernproblem ist. Sondern diplomatisch gesehen ist es wichtig, dass man die Konfliktlage, die es um Bergkarabach gibt, mit der Minsk-Gruppe zusammen in den Griff bekommt und entspannt. Das geht nur mit Russland, das ist zurzeit sowieso schwierig. Aserbaidschan wird immer stark historisch von der Türkei unterstützt. Der Iran spielt da mit.
    Am Ende muss man gucken, dass dieser Konflikt irgendwann diplomatisch gelöst wird. Und das werden Sie nur hinkriegen, wenn Sie mit allen reden, wenn Sie in alle diese Länder fahren. Georgien hat ein großes Interesse daran, dass der Konflikt dort nicht explodiert, weil es sofort Auswirkungen auf Georgien haben würde. Armenien ist komplett abgeschnitten durch die Nachbarn, die da sind, mit denen es im Konflikt ist, und hat eigentlich auch ein wirtschaftliches und politisches Interesse daran, mit allen Beteiligten klarzukommen, und Aserbaidschan geht das genauso.
    "Man hätte sich mehr kümmern müssen"
    Heinlein: Herr Kahrs, Sie haben jetzt eindringlich die Bedeutung dieser Region beschrieben. Die Bundeskanzlerin ist ja jetzt seit vielen, vielen Jahren im Amt, aber das erste Mal unterwegs in Armenien und Aserbaidschan. Hat die deutsche Politik diese Region Südkaukasus lange Jahre sträflich vernachlässigt?
    Kahrs: Ich glaube zumindest, man hätte sich mehr kümmern müssen. Und ich glaube, dass dieser Konflikt um Bergkarabach, der ja immer ein bisschen belächelt wird, weil er weit weg ist, weil sowieso nichts passiert, außer ein paar Dutzend Tote jedes Jahr, was ich persönlich schon sehr alarmierend finde, ich glaube, dass wir uns den Luxus nicht leisten können, diese Region zu ignorieren. Und ich glaube, dass wir uns um diesen Konflikt in Bergkarabach kümmern müssen. Es liegt auch im europäischen und im deutschen Interesse, dass dieser Konflikt gelöst wird, auch wenn die Beteiligten alles andere als einfach sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.