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Debatte um Stabilitätspakt
"Das Problem ist, dass die Staaten nicht ernst machen"

Statt zu versuchen, eine Aufweichung des Stabilitätspakts durchzusetzen, sollten Frankreich und Italien Reformen entschlossen anpacken, fordert der scheidende Europaabgeordnete Wolf Klinz (FDP) im DLF. Die Möglichkeiten, Wachstum zu schaffen, seien bisher nicht ausgeschöpft worden.

Wolf Klinz im Gespräch mit Christoph Heinemann | 20.06.2014
    Der scheidende Europa-Abgeodnete Wolf Klinz, FDP
    Klinz: "So wie ich die Sachlage einschätze, wäre es rechtlich sehr bedenklich" (picture alliance / EPA / Ballesteros)
    Christoph Heinemann: Die Signale aus Berlin wird man auch in Brüssel hören, dort beraten die Finanzminister der Europäischen Union über Budget und Wirtschaftspläne der Mitgliedsländer. Indirekt liegt auch der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt mit auf dem Tisch. An den Kriterien soll nicht gerüttelt werden, versichern die Ressortchefs, Wolfgang Schäuble brachte es auf die Formel, dass der Pakt genügend Spielraum für Flexibilität biete. Ein weiterer Aufreger: die Besteuerung von Unternehmen beziehungsweise deren häufig erfolgreicher Versuch, sich dieser Steuer zu entziehen. Am Telefon ist Wolf Klinz, FDP, scheidendes Mitglied des Europäischen Parlaments, guten Tag!
    Wolf Klinz: Ich grüße Sie, guten Tag!
    Heinemann: Rechnen Sie damit, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt vielleicht nicht geändert, aber doch aufgeweicht wird?
    Klinz: Nach allem, was man hört und sieht, muss man in der Tat diese Befürchtung heben. Mir scheint, dass Frankreich und Italien wild entschlossen sind, hier mehr Flexibilität zu erreichen. Gabriel ist ja mit seinem Vorstoß vor wenigen Tagen in dieselbe Richtung marschiert, und auch wenn er es jetzt anders darstellen möchte, so ist klar, dass die Sozialdemokraten ein vitales Interesse daran haben, nicht an die harten Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts gebunden zu bleiben.
    "Dass wir Wachstum brauchen, steht außer Frage"
    Heinemann: Was Sie als Befürchtung charakterisieren, könnte man ja auch eine Hoffnung nennen.
    Klinz: Nein, das sehe ich gar nicht so. Denn ich bin der Meinung, dass wir in der Tat aus dem Dilemma nicht herauskommen, indem wir einfach wieder den Schuldenhahn aufdrehen, sondern indem wir wirklich ganz entschlossen die Reformen durchführen, die wir brauchen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft zu stärken. Dass wir Wachstum brauchen, steht außer Frage. Aber wir haben die Möglichkeiten, Wachstum zu schaffen, die es gibt, noch nicht ausgeschöpft. Wir haben noch nicht ernst gemacht tatsächlich mit der Vollendung des Binnenmarkts, auch gerade was die Dienstleistung betrifft. Wir bauen nicht entschlossen genug die Bürokratie ab und wir haben die Möglichkeiten langfristiger Investitionen mithilfe von Geldern der institutionellen Anleger und eventuell vielleicht sogar der kleinen Sparer noch nicht ausgeschöpft. Die Kommission hat einen Vorschlag vorgelegt, wie man einen sogenannten langfristigen Bond, einen ELTIF, einen European Long Term Investment Fund aufbauen kann.
    Heinemann: Oh, jetzt wird es aber kompliziert!
    Klinz: Ja, und das wäre sicherlich ein sinnvolles Instrument. Also, bevor wir jetzt einfach wieder sagen, mehr Schulden machen, mehr öffentliches Geld investieren, sollten wir diese Möglichkeiten ausschöpfen. Denn wir wissen doch aus der Erfahrung, die ganzen empirischen Untersuchungen zeigen es doch, dass das einfache Mehr-Schulden-Machen nicht das Ziel erreicht. Wir haben in den 70er-Jahren das gehabt, dass damals Helmut Schmidt Kanzler war und er sagte, ich habe lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit, und am Ende hatten wir beides.
    Heinemann: Am Ende hatten wir beides, richtig, genau, das ist ein Bonmot, das immer wieder erzählt wird. Wir wollen uns mal anhören, Herr Klinz, was der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Ralf Stegner heute früh bei uns im Deutschlandfunk gesagt hat!
    O-Ton Ralf Stegner: Die Regeln sollen gar nicht verändert werden. Sehen Sie, ich bin 15 Jahre Fußballschiedsrichter gewesen, da gibt es ein Regelwerk, aber die Frage, wie man dieses Regelwerk anwendet, mit welchem Fingerspitzengefühl man dieses tut, das ist das, worüber wir hier sprechen.
    Heinemann: Sagt Ralf Stegner. Also nicht ändern. Frage an Sie: Ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt so dehnbar wie die Regeln der FIFA?
    Klinz: Also, nach der Meinung von Stegner und auch der Regierungschefs Frankreichs und Italiens scheint das so zu sein. Ich hatte, wenn ich ehrlich bin, gehofft, dass man nach der Revision - und es hat ja schon eine Revision gegeben und eine Verschärfung des gesamten Regelwerks, um die Euro-Zone zu stabilisieren -, dass es danach eben keine Diskussion mehr darüber gibt, wie flexibel oder unflexibel diese Regeln nun sind. Ich habe mich leider getäuscht und ich glaube auch, wenn, so wie Dijsselbloem es vorschlägt, am Ende des Jahres tatsächlich es zu einer erneuten Befassung mit dem Pakt kommt und vielleicht zu einer neuen Formulierung, dann wird es auch nicht zu einem Ende der Diskussion führen. Wann immer ein Staat in Schwierigkeiten ist, noch dazu ein großer, wird er versucht sein, im Eigeninteresse eine neue Interpretation des Regelwerks durchsetzen zu können. Das ist die große, große Gefahr, die ich sehe.
    Heinemann: Herr Klinz, es geht ja nicht nur um Staaten, sondern auch um Menschen. Sie haben eben das Wort Flexibilität benutzt, sprechen wir mal über eine andere Prozentzahl: Wie viel Wählerstimmen müssen Rechts- und Linksradikale noch bekommen, damit Verfechter der nackten Zahlen so wie Sie die Haushaltszahlen des Maastrichter Vertrags doch mal auf den Prüfstand stellen?
    Klinz: Ich glaube, in Ihrer Frage ist ja die Antwort schon gegeben. Sie sehen also die große Gefahr, dass, wenn man hier ein Regelwerk hat, das man auch konsequent umsetzt, dass damit Tor und Tür für die Extremisten geöffnet werden.
    Heinemann: Danach fragte ich Sie, richtig.
    Klinz: Ich sehe diese Gefahr dann nicht, wenn man wirklich die Reformen entschlossen anpackt. Was bringt es denn, wenn ich Frankreich, das schon zweimal eine Verlängerung der Frist bekommen hat, um tatsächlich ernst zu machen mit den Reformen, wenn es einfach nicht in die Puschen kommt? Ich kann jetzt sagen, Frankreich hat bis 2017, aber dann wird das einfach nur ein oder zwei Jahre mehr verloren sein. Das Problem ist doch, dass die Staaten nicht ernst machen mit dem, was sie tun müssen, und wenn wir nicht die Unterstützung durch die Europäische Zentralbank hätten, dann wäre das Thema wahrscheinlich gar nicht mehr so heiß in der Diskussion, weil dann die Märkte von diesen Staaten ein Zinsniveau verlangen würden, was sie automatisch dazu zwänge, entsprechend den Gürtel enger zu schnallen.
    "Rechtlich sehr bedenklich"
    Heinemann: Aber Herr Klinz, es ist doch erkennbar, dass diese Staaten aus den Puschen kommen wollen. Der französische Premierminister Manuel Valls hat gesagt, wir wollen investieren, aber wir müssen eben, um das solide machen zu können, dann diese Investition eben aus den Defizitzahlen herausrechnen können. Wäre das rechtlich zulässig und politisch richtig?
    Klinz: So wie ich die Sachlage einschätze, wäre es rechtlich sehr bedenklich, wahrscheinlich nicht zulässig. Ich verstehe die politische Motivation dahinter, aber was ich nicht verstehe, ist, dass der Ministerpräsident, auch der Präsident und die ganze Regierung nicht da ansetzen, wo sie ansetzen müssen. Nehmen Sie nur den Fall Alstom: Alstom ist ein französisches Unternehmen, an dem der Staat nicht beteiligt ist. Alstom ist in Schwierigkeiten. Jetzt gibt es einen amerikanischen und inzwischen auch einen deutsch-japanischen Interessenten. Was macht die französische Regierung? Statt dass sie marktwirtschaftlich hier eine Lösung sucht, die für Alstom wieder eine Zukunft bietet, stranguliert sie das Ganze, interveniert selber und macht Auflagen, die nicht produktiv sein können.
    Heinemann: Sie macht das, was vermutlich jede Regierung machen würde, sie schaut erst mal auf die Arbeitsplätze.
    Klinz: Natürlich schaut sie auf die Arbeitsplätze, aber da kann ich nur sagen, schauen Sie sich die Briten an: Die Briten hatten zwei oder mehrere Automobilhersteller, unter anderem Rolls-Royce, Bentley und Rover. Und die Briten haben akzeptiert, dass hier andere potente Investoren kommen wie BMW oder auch Volkswagen, und die haben diese Unternehmen wieder in eine Blüte gefahren. Wenn sie es so gemacht hätten wie die Franzosen, hätte der britische Premierminister interveniert und dies und jenes als Forderung gestellt. Und am Ende des Tages wäre etwas herausgekommen, was marktwirtschaftlich nicht konkurrenzfähig ist!
    Heinemann: Frage deshalb unterm Strich: Haben Länder wie Griechenland und Frankreich auf der einen Seite oder Deutschland und Großbritannien auf der anderen noch eine gemeinsame Zukunft in einer gemeinsamen Währungsunion?
    Klinz: Gut, die Briten sind ja aus, wie sie sagen würden, gutem Grund gar nicht der Währungszone beigetreten. Ich glaube, wir haben schon eine gemeinsame Zukunft, wenn wir es verstehen, tatsächlich aufeinander zuzugehen. Und ich sage nicht, dass alle anderen am deutschen Wesen jetzt genesen müssen. Wir haben sicherlich ein paar Spezifika, die in anderen Ländern so nicht umsetzbar sind. Aber wenn ich sehe, dass in Frankreich der Anteil der öffentlichen Hand am Wirtschaftsgeschehen 56 Prozent ist und bei uns 45 Prozent, dann weiß ich zumindest eins: Dann ist vielleicht 45 nicht die magische Zahl, aber ich weiß, dass 56 deutlich zu hoch ist.
    Heinemann: Und mit dieser Bemerkung müssen wir leider das Gespräch beenden. Wolf Klinz von der FDP aus dem Europäischen Parlament, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Klinz: Ich danke Ihnen, einen schönen Tag!
    Heinemann: Gleichfalls!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.