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Debatte um Twitter und Facebook
Medienunternehmen als "Internetpolizei"

Der Internetrechtler Matthias Kettemann begrüßt die Debatte um das Vorgehen sozialer Netzwerke. Die Löschung des Twitter-Profils von Donald Trump stelle dennoch keine Zensur, sondern eine Zäsur dar, sagte Kettemann im Dlf. Es zeige sich, "wie mächtig diese Plattformen geworden sind".

Matthias Kettemann im Gespräch mit Bettina Köster |
Donald Trump und seine Frau Melania bei einem öffentlichen Termin im Weißen Haus am 4. Januar
An öffentlicher Aufmerksamkeit dürfte es Donald Trump auch ohne Twitter künftig nicht fehlen - argumentieren unter anderem Befürworter der Sperrung seines Profils (picture alliance / Consolidated News Photos | Chris Kleponis)
Seit dem gewaltsamen Angriff auf das Kapitol haben Internetunternehmen in den USA begonnen, Donald Trump und seine Anhänger zu sanktionieren. Zunächst hatte Facebook angekündigt, Trumps Konten, also auch das auf Instagram, bis zum Ende seiner Zeit als US-Präsident zu sperren. Twitter machte aus einer zunächst zeitlich begrenzten Sperre eine endgültige. Trumps Profil war mit fast 90 Millionen Followerinnen und Followern bislang sehr gefragt.
Zuletzt löschte der Kurznachrichtendienst mehr als 70.000 Konten der Trump-nahen QAnon-Bewegung. Amazon hat das besonders von Rechtsextremen genutzte Online-Netzwerk Parler aus seinem Angebot gelöscht und so – als technischer Host – dafür gesorgt, dass der Dienst offline ist. Google und Apple hatten schon zuvor Parler aus ihren App-Stores verbannt.
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Debatte um Umgang mit Netzwerken

Vor allem die Löschung von Trumps Twitter-Profil sorgt seitdem für eine Debatte über die Rechte der Betreiber von Sozialen Netzwerken. Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte den Schritt mit Verweis auf die Meinungsfreiheit.
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen begrüßte grundsätzlich den Schritt von Twitter. Es müsse allerdings eine Alternative dazu gefunden werden, dass «Unternehmensbesitzer am Nordrand des Silicon Valley» Informationsströme für Milliarden Menschen beeinflussen könnten, sagte er im Deutschlandfunk. Sein Vorschlag: Plattform-Räte zur Regulierung von Monopolisten wie Twitter und Facebook.
Die Sperrung von Donald Trumps Twitter-Konto sei richtig und lange überfällig gewesen. Man müsse sich aber auch Gedanken machen, wie man diese Plattformen regulieren könne, denn diese hätten sich zu supermächtigen Institutionen entwickelt, so Pörksen. Ähnlich äußerte sich der Blogger und Journalist Sascha Lobo. Er fordert, die Kriterien für entsprechende Schritte präziser und im demokratischen Prozess festzulegen.

Internetrechtler: Wir haben ein Problem

Für den Internetrechtler Matthias Kettemann, der für das Hamburger Leibniz-Instituts für Medienforschung/Hans-Bredow-Institut (HBI) die Gemeinschaftsstandards bei Facebook untersucht hat, zeigt die aktuelle Diskussion, "dass wir hier ein großes Problem haben". Einerseits seien die Plattformen gefordert, eigene Regeln aufzustellen und müssten diese Regeln diskutiert werden, sagte Kettemann in der Dlf-Sendung Mediasres.
Doch nun müsse es um die Frage gehen, "welche Aufgabe die Staaten haben". In der Vergangenheit seien Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich der Plattformen nicht ausreichend geschützt worden, kritisierte Kettemann. Am Beispiel des vor Kurzem bei Facebook eingeführten "Oversight Board" werde sich zeigen, ob ein Plattform-Rates "überhaupt Zähne haben kann".
"Eine Art Plattform-Rat"
Die Sperrung von Donald Trumps Twitter-Konto sei richtig und lange überfällig gewesen, sagte Pörksen im Dlf. Man müsse sich aber auch Gedanken machen, wie man diese Plattformen regulieren könne.
Bettina Köster: Dürfen Medienunternehmen zur Internetpolizei werden?
Matthias Kettemann: Medienunternehmen sind schon als Internetpolizei tätig. Die großen sozialen Netzwerke, die ja ein bisschen anders als klassische Medien fungieren von der Logik her, haben seit langer Zeit schon Regeln aufgestellt nach denen sie Inhalte moderieren, nach der sie manche Inhalte verstärken und andere Inhalte weniger stark präsentieren. Jetzt ist es dazu gekommen, dass wir über diese Regeln sprechen. Und das ist sehr wichtig und richtig, hätte schon viel früher stattfinden müssen.
Köster: Gegen die Geschäftsregeln, also das, was Sie eben angesprochen haben, ist ja schon lange verstoßen worden. Standen da die Eigeninteressen der Mitarbeiter der Netzwerke da im Vordergrund?
Kettemann: Genau! Twitter hätte Trump schon viel früher ausschließen können. Sie haben bisher seine Tweets nur mit Hinweisen versehen, aber das lag daran, dass bisher das Risiko für sie zu groß war. Facebook, Twitter und die anderen haben weltweit schon sehr viele Politikerinnen und Politiker von der Plattform geworfen, etwa in Indien oder Uganda oder Brasilien, wichtige politische Akteure ausgeschlossen. Aber darüber hat man nicht so viel gesprochen, das war für die Unternehmen ein sehr geringes Risiko. Und bis zum heutigen Zeitpunkt war es für die Unternehmen ein sehr großes Risiko, sich gegen Trump, sich gegen die amerikanische Rechte zu positionieren. Jetzt ist dieses Risiko gering geworden. Er hat in zehn Tagen keine Macht mehr, deswegen konnten jetzt Facebook und Twitter, aber auch Amazon und Shopify und andere amerikanische Unternehmen, Twitch und Snapshat, konnten jetzt wie im Dominoeffekt Trump von der Plattform weisen, es war für sie nicht mehr stark risikobelastet. Und das zeigt uns schon das Problem: Er hat in zehn Tagen keine Macht mehr, aber die Unternehmen werden in zehn Tagen noch sehr mächtig sein. Und dass diese Entscheidungen einfach so von heute auf morgen getroffen werden können, ohne dass eine große Debatte darüber stattfindet, zeigt, dass wir hier ein großes Problem haben.

"Keine Zensur im klassischen Sinne"

Köster: Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht ja sogar von Zensur. Kann man in diesem Zusammenhang überhaupt von Zensur sprechen? Die geht doch eigentlich vom Staat aus.
Kettemann: In der Tat liegt hier keine Zensur vor. Wenn etwa auch der Regierungssprecher davon spricht, dass diese Plattformen die Meinungsäußerungsfreiheit beachten müssen, muss man schon ein bisschen differenzieren. Private sind nicht einfach so an die Meinungsfreiheit gebunden. Daher liegt hier keine Zensur im klassischen Sinne vor. Was aber stattgefunden hat, ist eine Zäsur, also ein Moment, den es so nicht mehr geben wird. Nämlich einen Moment, wo wir uns alle vor Augen geführt haben, wie mächtig diese Plattformen geworden sind. Und es ist deswegen auch gut, dass wir jetzt in eine kritischere Debatte eintreten können darüber, was die Plattformen dürfen und was sie sollen. Und vor allem auch, welche Aufgabe die Staaten haben. Denn wenn die Frau Bundeskanzlerin zum Beispiel die Plattformen dafür kritisiert, diese Entscheidungen zu treffen, dann sagt sie ja auch, dass die Staaten hier eine wichtigere Rolle ausüben sollen. Und das ist richtig! Die Staaten sind es, die die zentrale Verantwortung dafür haben, die Grundrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger, von uns allen, zu schützen. Das haben sie über die letzten Jahre hinsichtlich der Plattformen nicht ausreichend getan.
Twitter-Sperre ist keine Zensur
Die dauerhafte Sperrung von Trumps Konto sei keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, meint Mike Herbstreuth. Hetzende Accounts und Inhalte müssten allerdings nach klaren rechtsstaatlichen Regeln gelöscht werden.
Köster: Sind denn so Vorstöße, die jetzt von der EU kommen beispielsweise, ausreichend in Ihren Augen?
Kettemann: Sie sind auf jeden Fall ein wichtiger und richtiger Schritt. Das Gesetz über digitale Dienste, das jetzt vorliegt von der Europäischen Union, ist ja nicht im luftleeren Raum entstanden. Deutschland ist mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz vorgeprescht. Viele der Inhalte des Gesetzes über digitale Dienste sind sehr sinnvoll: mehr Transparenzpflicht, eine Verpflichtung für Plattformen, zu klären, welche Algorithmen sie verwenden, besondere Verantwortung für große Plattformen. Das alles ist sehr wichtig angesichts der Rolle, die die Plattformen für den öffentlichen Diskurs haben. Hier sind Räume entstanden, schon vor zehn Jahren, wo wichtige gesellschaftliche Entscheidungen vorbereitet werden, wo Meinungen ausgetauscht werden. Und zu lange haben die Staaten diese Räume einfach entstehen lassen, haben zu wenig gegen Hassrede getan, und vor allen Dingen haben sie die Verantwortung der Plattformen nicht ausreichend gesetzlich begleitet.

"Staaten können nicht zu stark die Details regeln"

Köster: Man hat den Eindruck, dass genau dieses Problematische der Netzwerke etwas ist, das ja schon lange den Staaten vor Augen geführt wird, aber dass sie da doch keine effektive Ordnungspolitik betreiben konnten, und dass diese Vorstöße, die Sie genannte haben, bisher auch eher so schwache Versuche sind, der Macht Einhalt zu gebieten.
Kettemann: Nun, die Plattformen müssen natürlich auch private Regeln aufstellen. Und sie haben erkannt, die Plattformen, gerade im letzten Jahr, dass diese Regeln von besonderer Bedeutung sind etwa im Kampf gegen Corona-bezogene Desinformation oder im Kampf gegen Desinformation zu Wahlen oder Hassrede im Kontext von Wahlen. Staaten können nicht zu stark die Details der Onlinekommunikation regeln, weil sie die Meinungsäußerungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger beachten müssen. Wir wollen nicht Staaten haben, die zu sehr eingreifen können in das, was wir im Internet und offline sagen. Denn wir dürfen auch nicht vergessen, dass es Staaten gibt, die weit unsensibler mit Grundrechten umgehen als Deutschland. Auch innerhalb der Europäischen Union finden wir Staaten, die versucht sind, sehr stark einzugreifen in die Online-Freiheit. Gleichzeitig dürfen wir nicht Plattformen unkritisch vertrauen, die richtigen Regeln zu setzen. Wir müssen sie beobachten, wir müssen kritisch die Regeln, die sie haben, diskutieren.
Köster: Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen forderte heute Morgen hier im Deutschlandfunk in einem Interview Plattform-Räte für soziale Netzwerke. Wie sehen das als Medienrechtler?
Kettemann: Die Idee eines Plattform-Rates oder eines Soziale-Medien-Rates gibt es schon seit einigen Jahren. Die Idee ist gut. Es gibt schon einige Räte dieser Art, etwa von Facebook, das vor Kurzem ein Oversight Board eingerichtet hat. Genau diese Fragen sollen dort debattiert werden: Wie Entscheidungen im Einzelfall zu treffen sind? Welche Inhalte online zu halten sind, welche zu löschen sind? Die Plattform-Räte sind daher auf jeden Fall eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Und etwa das Oversight Board von Facebook für alle Unternehmen zu öffnen, wäre absolut sinnvoll. Deswegen muss Facebook auch dringend den Fall der Account-Löschung von Herrn Trump diesem Oversight Board vorlegen. Das wäre jetzt ein wirklicher Test, ob dieses Oversight Board überhaupt Zähne haben kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.