Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Debüt Hello Forever
Swinger-Psychedelia made in USA

Das Sandstorm Resort war mal der bekannteste Swinger-Club Kaliforniens, heute lebt und arbeitet in dem Gebäude die Band Hello Forever. Das Debüt des Indie-Rock-Kollektivs feiert zwar Sound und Lebensstil der Gegenkultur der 1960er, dennoch passt ihre Musik bestens in die Gegenwart.

Von Marcel Anders | 04.10.2020
    Sechs Männer und eine Frau sitzen vor einer Wand aus grünen Blättern. Ein Mann hat einen Strauß roter Blumen in der Hand.
    Leben und arbeiten als Kommune: die Band Hello Forever. (Brandon Weiss)
    Musik: "Get It Right"
    Das Bild aus Übersee hat Unterhaltungswert: Samuel Joseph ist ein Endzwanziger, der scheinbar direkt aus dem Sommer der Liebe in die Gegenwart katapultiert wurde. Er trägt wildwuchernde Locken, Rauschebart, offenes Batikhemd und grüßt im Schneidersitz von der sonnenüberfluteten Terrasse der Sandstorm Ranch. Ein Ort mit Geschichte. Ende der 60er befand sich dort der bekannteste Swingerclub von Kalifornien. Heute ist das Anwesen das Hauptquartier der Künstlerkommune Hello Forever, mit Multimedia-Abteilung, aber auch Wohnräumen, in denen, so Samuel Joseph nur noch selten freie Liebe praktiziert wird.
    "Jedenfalls nicht offiziell. Wir halten die Tradition nur aufrecht, wenn uns der Sinn danach ist. Und dass Menschen wieder in Kommunen wohnen, verdeutlicht, dass der Kapitalismus kollabiert und wir zu einer natürlichen, kollektiven Art des Lebens zurückkehren. In Los Angeles gilt das auch für Leute, die gutes Geld verdienen, aber trotzdem mit anderen zusammenleben. Und allein die Chance, unsere Musik machen zu können, war für uns Grund genug, in eine Gemeinschaft zu investieren."
    Musik: "Farm On The Mountaintop"
    Beat-Hybrid
    Das Kommunenleben am geschichtsträchtigen Ort passt zur Musik der Band, die im harten Kern aus sieben Musikern und einem Umfeld von bis zu zehn Personen besteht. Ihr Debüt erweist sich als abenteuerlicher Hybrid aus dem Beat der 60er, kunterbunter Psychedelia, Lagerfeuer-Folk und einem Hauch von 70s Rock. Diese kaum einzuordnende Melange trägt den ebenso treffenden wie lapidaren Titel "Whatever It Is" - "was immer das sein soll". Ein authentischer Retro-Sound, ein buntes Counterculture-Artwork und Songlängen, die die magischen drei Minuten nur selten überschreiten. Eine stilvolle Hommage an Beatles, Zappa, die Grateful Dead und vor allem die Beach Boys, zu denen Samuel Joseph ein besonderes Verhältnis hat.
    "Mit der Musik bin ich aufgewachsen. Und zwar in der South Bay, im Süd-Westen von Los Angeles. Ich habe nur ein paar Straßen entfernt vom alten Haus der Wilsons gelebt – das irgendwann dem Freeway 105 in Hawthorne weichen musste. Ich bin zum selben College gegangen wie die Beach Boys und habe Klavier in den Räumen gelernt, in denen sie ihre frühen Songs geprobt haben. Die Tatsache, dass ich da so viel übernommen habe und aus derselben Gegend stamme, hat scheinbar ähnliche musikalische Interessen und Ausdrucksformen in mir geweckt."
    Musik: "I Want To Marry You"
    Experimentelles Songwriting
    Man könnte auch sagen: Hello Forever sind die Beach Boys des 21. Jahrhunderts, die Band, die sich Mastermind Brian Wilson immer gewünscht haben dürfte, aber für die seine Strandjungs nie mutig genug waren. Samuel Joseph und seine Mitstreiter treiben das Verspielte, Verrückte und Progressive der "Good Vibrations"-, "Pet Sounds"- und "Smile"-Phase auf die Spitze. Ihr Songwriting ist genauso experimentell wie einst der Klang-Visionär Wilson. Momentan basteln Hello Forever auch an einem Kontakt zu Van Dyke Parks, Wilsons legendärem Mitstreiter.
    "Ich habe einen Kurs besucht, den er vor kleinem Publikum abgehalten hat, und der unglaublich war. Er hat da auch Stücke am Klavier gespielt. Hauptsächlich von Discover America, das eines meiner Lieblingsalben ist und gut zur heutigen Zeit passt. Für mich hat er wahnsinnig viel Talent. Also, Van Dyke: Wenn du das hörst und dir unsere Musik gefällt, wovon ich überzeugt bin, würde ich mich freuen, dich mal zu treffen."
    Musik: "Some Faith"
    Liebe zum Sound von Gestern und Sozialen Medien
    Die Begeisterung für die Sounds von Gestern bedeutet aber nicht, dass Hello Forever ausschließlich in der Vergangenheit leben oder sie einfach kopieren. Dafür, so Samuel Joseph, verwende man zu viele moderne Hilfsmittel, setzte zu stark auf Soziale Medien, auf selbstproduzierte Videos und sei überhaupt sehr in der Gegenwart verwurzelt.
    "Ich denke, meine Art von Kunst und meine Ansichten wären nur heute möglich, im Zeitalter des Internets. Denn dort habe ich viele verschiedene Arten von Musik entdeckt, die ich liebe, und die nicht selten auf dem Einsatz von Synthesizern basieren. Genau wie unsere eigenen Kompositionen. Klar, wäre es großartig gewesen, in den 60ern und den frühen 70ern gelebt zu haben, Woodstock besucht und in dieser Szene abgehangen zu haben. Hätte ich eine Zeitmaschine, würde ich das sofort machen. Aber wir leben nun mal in der Gegenwart, und das ist auch OK."
    Musik: "Rise"
    Wie aktuell und zeitgemäß Hello Forever wirklich sind, erschließt sich aus unterschwelligen R&B-Einflüssen in Stücken wie "Rise" und Texten, die Liebe, Harmonie und Frieden als gesellschaftliches Ideal beschwören. Zudem sei "Whatever It Is", dieser wunderbare Flirt mit den 1960ern, nur eine Momentaufnahme der Band. Die neueste Musik von Hello Forever, so Samuel Joseph, klinge bereits ganz anders. Was er darunter versteht, will er nicht verraten. Nur, dass wir sie bald zu hören bekommen.
    "Das zweite, dritte und vierte Album sind bereits fertig geschrieben und auch weitestgehend aufgenommen. Wenn alles klappt, sollten wir in den nächsten zwei Monaten damit durch sein. Letztlich dauert es immer ein bisschen länger als man hofft, aber wir sind dran. Wir machen eine Menge Platten."