Donnerstag, 28. März 2024

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Debüt von Eimear McBride
Unerhört altmodisch und avantgardistisch modern

"Das Mädchen ein halbfertiges Ding", heißt der Debütroman der Irin Eimear McBride. Aus der Perspektive einer anfangs Fünfjährigen schildert die Autorin die Härte, die die Protagonistin und ihr kleiner Bruder von ihrem Umfeld erfahren. Die Vollkommenheit des Buchs liegt in seiner virtuos gestalteten Rohheit und Wildheit.

Von Sabine Peters | 16.08.2015
    Das Bild zeigt Schattenrisse von drohenden Händen eines Erwachsenen und den Schatten eines Kinderkopfes.
    Eimear McBride erzählt von den Verfahren der brutalen Pädagogik Ende des 20. Jahrhunderts. (dpa / picture alliance / Patrick Pleul )
    Der Debütroman von Eimear McBride beginnt atmosphärisch. So, als sei man in einen undurchdringlichen Nebel geraten. Drei Seiten lang ein Satzgemurmel. Der erste schemenhafte Eindruck: Man befindet sich in einer großen, wässerigen Stille. Sätze, die wirken, als würden sie nur mit halber Stimme gesprochen, fast tonlos. Aber sie tragen doch etwas? Es geht anscheinend um die allererste Lebenszeit. Zurückhaltende, aber emotionale Sätze, da heißt es etwa:
    "Und ich schwamm so gern unter deiner Hand."
    Oder man hört die ketzerische Abwandlung von Rosenkranz und Vaterunser:
    "Und wenn du schliefst, harrte ich glorreich in freudenreichen Geheimnissen bis mein Reich komme."
    Man liest die rätselhaften ersten Seiten. Konturen werden deutlich: "Du", der Bruder. "Ich", die Schwester. Sie ist die Sprecherin des Romans von Eimear McBride.
    Kann sein, hier wird am Anfang eine Seele aus dem See gefischt. Oder vielleicht schwimmt ein Embryo im Fruchtwasser. Bald zeigt sich: Das "Du", der zwei Jahre ältere Bruder der Ich-Erzählerin, ist schon als Kleinkind an einem Hirntumor erkrankt. Man operiert ihn, er überlebt nur knapp, ist später oft nicht ganz richtig im Kopf. Der Vater verlässt die Familie, die Mutter ist ständig überfordert. Im Verlauf des Romans gesellt sich weiteres Personal hinzu: Der Großvater, der Onkel, austauschbare Männer, fromme Gemeindemitglieder der Kirche. Alle ohne Namen, aber durchaus kenntlich in ihren Rollen.
    Ein verstörender Romananfang: Gleich zu Beginn die Tumor-Katastrophe. Doch dann, der Junge ist vier, das Mädchen zwei Jahre alt, wird es lebhaft. Die beiden spielen, kreischen, stoßen "Kitzelhickser" aus. Das Leben könnte nur so sprudeln.
    Die Irin Eimear McBride wurde 1976 geboren; sie studierte an einer Schauspielschule in London. Mit 27 Jahren schrieb sie "Das Mädchen ein halbfertiges Ding". Zahlreiche Verleger waren irritiert von den inhaltlichen und stilistischen Grenzüberschreitungen. Das Manuskript war offensichtlich der klassischen Moderne á la James Joyce verpflichtet, hieß es. Das Manuskript war also unerhört altmodisch und dann auch wieder weit vorn, avantgardistisch, der Zeit voraus. Die Autorin wurde mit aufmunterndem Lob abgespeist. Es hieß: Ein großer experimenteller Wurf, nur leider ungeeignet für den Markt.
    Riesiger Erfolg in der englischsprachigen Welt
    Das Manuskript blieb bald zehn Jahre lang unveröffentlicht. 2013 ging der unabhängige kleine Verlag Galley Beggar Press das Risiko der Publikation ein. Der Roman eroberte die englischsprachige literarische Welt im Sturm und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Gleichzeitig fand das Buch auch seinen Weg zu sogenannten "ganz normalen Lesern". Die twitterten: Der Mädchendings-Roman sieht kompliziert aus, liest sich aber leicht, wenn man erst reingekommen ist.
    Das erste Kapitel des Romans vom halbfertigen Mädchen, Untertitel "Lämmer" erzählt von der Kindheit der Geschwister. Diese Lebensphase ist hier nicht der Raum von Unschuld und Reinheit. Bruder und Schwester sind von Anfang an schuldig. Zwei erste Menschen, die nicht in einen paradiesischen Garten, sondern in eine irische Kleinstadt gestellt sind. Kein strafender Gott taucht auf – nur eine furchteinflößende Mutter, die als Waffe den Kochlöffel schwingt.
    Der amerikanische Psycho-Historiker Lloyd de Mause hat über den Umgang mit Kindern vom Altertum bis heute geforscht. Die Spannbreite reicht vom antiken Kindsmord über das mittelalterliche Verstoßen, Verkaufen und Weggeben bis zum modernen liebevollen Unterstützen und Helfen beim Aufwachsen von Kindern. Das klingt schmeichelhaft für unsere Zeit, ist allerdings etwas schematisch – auch in der Antike wurden Kinder geliebt, auch heute werden sie oft grausam zurechtgestutzt. McBride erzählt von den Verfahren der schwarzen Pädagogik Ende des 20. Jahrhunderts.
    Die Ich-Erzählerin ist fünf Jahre alt. Ein Kind mit Ziegenaugen, die ihm vom Teufel angehext wurden. Ein wildes Kind, "ein Purzelbaum im Rock", heißt es. Doch Mutter und Großvater, beide streng katholisch, finden widernatürlich, was unvermeidlich ist: Beim Toben sieht man den Schlüpfer des Mädchens. Der Bruder ist nicht besser als die Schwester. Die beiden Kleinen können nicht einmal den Rosenkranz fehlerfrei aufsagen. Mutters Zorn entlädt sich auf die Kinder:
    "Na schön. Schön ihr beiden. Seht ihr was ihr angerichtet habt? Seid ihr jetzt zufrieden? Was habe ich über Purzelbäume gesagt? Was habe ich über Unterwäsche gesagt die man nicht zeigen soll? Sie springt die Treppe hoch. Eine Stufe zwei auf einmal. Krach platzen mir die Augen aus dem Kopf von dem Hieb. Blut die Nase hoch. Tropf Kopf nach vorn. Tropfen. Sie packt meine Haare. Höre. Mir. Zu. Zuhören. Was du. Schüttelt mich klatsch und klatsch an den Kopf. Drecksgör. Zittern. Schrill vor Wut. Geh mir aus den Augen und mit Wucht ans Geländer. Du. In Panik. Mammy tut mir leid dass ich dass ich nicht wusste. Deine Hände halten sie nicht auf. Sie kennt all unser Ducken und Drehen. Und schlägt dich aufs Ohr. Auf die Wange ... Haut fester. Paff und paff und paff. Rein in die Ecke. Mammy. Mammy. Rotes Gesicht ... Ich sammel mein Nasenblut im Pullover. Kauernd. Du. Frecher. Flegel. Du. Dumm. Dumm. Du wirst nie was hinkriegen. ... Du bist ein Trottel.
    Gegrüßet seist du Maria. Das kann doch nicht so schwer sein. Gegrüßet seist du Maria. Ich hab euch satt. Alle beide. Und du. Du kommst auf die Behindertenschule. Nein Mammy Mammy. Paff. ... Paff paff. Deine Nase weint während sie dich an den Haaren zieht und dann feste drauf. ... Dann ließ sie es bleiben ganz plötzlich. Schob dich zurück auf den Boden. Ging in ihr Zimmer und machte vor uns die Tür zu. Und wir dort kauernd auf dem Treppenabsatz ... Von jetzt an sagst du sind wir brav. Von jetzt an gehorchen wir. Vielleicht verzeiht sie uns wenn wir brav sind. Einverstanden? Wir sind jetzt brav. Ich sagte blöde Scheiße Kacke Pisse Kuh Fotze Zicke Arsch Schwein Wichser Fotze. Hör auf hast du gesagt. Du musst brav sein.
    ... Tomatensuppe machten wir. Du die Dose auf und nur ganz wenig auf die Anrichte gekleckert. ... Die rote Suppe ... Und mit dem Holzlöffel rum um nicht zu kratzen. In eine weiße Schüssel. Mit einer Scheibe Brot. Küchenpapier gefaltet auf dem Tablett. ... Ich trug es hoch. Stellte es hin. Direkt neben ihre Tür. Dann hast du geklopft. Ganz sanft. Mammy geflüstert hier ist dein Abendessen das wir gemacht haben. Wir haben beschlossen ab jetzt sind wir immer brav und machen alles was du sagst. Immer. Bitte schick mich nicht in die Behindertenschule ... "
    Elemente von Comicsprache wirken bewusst grausam
    Wenn man hier über das unvermittelte "gegrüßet seist du Maria" lacht, dann ist es ein entsetztes Lachen, es kommt aus dem Schaudern. Im größeren Zusammenhang ist da das Kitzelwort vom "Purzelbaum im Rock", da sind die spielenden Kinder in ihren fröhlichen Mickey-Mouse-Nachthemden. Aber die Elemente von Comicsprache wirken so grausam, weil die Kinder eben keine unverletzbaren, unsterblichen Zeichentrickfiguren sind. Bei McBride stellt die fortgesetzte Engführung von Comic-Tönen mit Gebeten, mit klirrend floskelhaften mütterlichen Tiraden, mit kindlichem Flehen und Fluchen eine bestürzende Mischung aus Schmerz, beißendem Spott und Grauen her.
    Der Österreicher Ernst Jandl hat in einigen Gedichten über seine frühen Jahre als Kind katholischer Eltern in bewusst elendiglichen Reimen ein schluckendes Wortgeheul inszeniert. Auch wenn dieser Dichter gut 50 Jahre vor McBride geboren wurde, teilen beide Autoren eine Frage: Wie unterscheiden sich die Sprachen der Liebe, der Religion und der Gewalt voneinander? Wo überlappen sie sich oder wo haben sie gemeinsame Wurzeln? Kinder sind anfällig für das Numinose, das so schauervoll und gleichzeitig so anziehend ist; sie bauen sich aus Halbverstandenem bzw. ohnehin Unbegreiflichem ihre eigene Ordnung zusammen. Sie übersetzen sich das religiöse Kauderwelsch der Erwachsenen in leidlich Begreifliches. Das tönt oft wenig nach Liebe, das widerspiegelt vielmehr Erfahrungen alltäglicher Angst und Gewalt. Selbst die Trostworte aus der Liturgie können sich im Gesamttext von McBride verwandeln, sie können Teil von einer Schreckensrede werden.
    Eine der ersten Erfahrungen der Romanheldin: Vermeintlichen Gewissheiten ist nicht zu trauen, also auch nicht der Sprache als einem Mittel der Verständigung. McBride sagt bzw. erklärt das nicht. Sie schreibt nicht "über" kindliche Gefühle, Haltungen und Erfahrungen wie Angst, Schmerz, Unsicherheit, Verwirrung, Zorn, Protest: Sie schreibt in einem einfachen und doch höchst artifiziellen Idiom "aus" diesen Phänomenen heraus.
    Die Geschwister drehen und winden sich aus der Kindheit in die Pubertät. Der schwerfällige Bruder träumt davon, Priester zu werden. Die 13-jährige Schwester wundert sich über den unheimlich freundlichen Onkel. Sie ahnt etwas von Lust. Eine Todsünde, die sie gern ausprobieren würde. Ob der Onkel sie nun "getauft", sie "geöffnet" oder ihr "den Kelch gereicht hat", bleibt sich ziemlich gleich. Das Mädchen ist zwar nur ein halbfertiges Ding, aber es fühlt sich trotz des Missbrauchs frei: Auf Abwegen zum Neuland hin. Der Bruder schafft keinen Schulabschluss, er jobbt als Aushilfe in einem Laden. Die Schwester haut als 17-Jährige auf ein College in eine andere Stadt ab. Dort lässt sie sich von gewalttätigen Männern vögeln, säuft, gibt sich verrucht und ist vor allem eins: verwirrt.
    Nun könnte man sagen: Bis hierher ist "Das Mädchen ein halbfertiges Ding" wenn nicht der Sprache, dann aber zumindest dem Inhalt nach ein typisches Debüt, ein coming-of-age-Roman mit der ewigen Frage, wo komme ich her, wie kann ich da raus. Noch einmal eine junge Mädchenblüte, die sich in die Niederungen, in den Dreck des Daseins begibt, um zu erkennen, was das Ich und was die Welt zusammenhält. Noch einmal innere Leere, die mit Exzessen aller Art bekämpft wird. Das gibt es tausendfach: Mal in der Form des Poetry Slam, der heftig auftritt und dahinter oft nur aalglatt ist. Oder eben als Roman. Viele solcher Machwerke bestehen aus peinlich-pubertärem Geschwätz; der Gestus der Provokation ist höchstens kokett. Diese Bücher riskieren nichts, es fehlt ihnen das Sprach- und Formbewusstsein.
    Ganz anders das Debüt von McBride – von wegen "halbfertig"! Die Vollkommenheit dieses Buchs liegt in seiner virtuos gestalteten Rohheit und Wildheit; es ist, als sei der Roman aus Blitz und Donner gemacht. Hier geht es nicht darum, Inhalte durch Sprache darzustellen, sondern darum, über Sprache Inhalte und Erkenntnisse zu gewinnen. Der Leser hat teil an diesem Prozess, es wird ihm etwas zugemutet, etwas zugetraut. Es ist sinnvoll, sich gelegentlich eine Seite laut vorzulesen, um die Musikalität der Sätze zu erfahren. Der Wortschatz des Mädchens ist überschaubar, allerdings unerhört verdichtet. McBride schreibt spartanisch, fragmentiert, die Sätze sind vorsätzlich unvollständig, voller Ellipsen; ihre Interpunktion gelinde gesagt sparsam. Die Sprache bockt und springt. Das zeigt: Wahrnehmungen, Gefühle und Gedanken sind nicht obrigkeitshörig, sie halten sich auch nicht an grammatische Normen. So können hier Substantive und Adjektive zu Verben werden: "Frech mich nicht", heißt es einmal, oder der wirre Bruder gibt zu, dass er voll Wut den hölzernen Wäscheständer "karatet" hat. Solche Wortschöpfungen klingen bei McBride nicht gesucht, sondern sie wirken wie Versprecher, wie ganz aus der jeweiligen Situation entsprungen.
    Und das soll eine schwierige, eine hermetische Sprache sein? Sie fließt, sie springt, sie leuchtet unmittelbar ein! Im übrigen verfügt diese Autorin über mehr als eine Tonlage, und sie beherrscht verschiedene Tempi. Einmal schießt sie ein Schnellfeuer von Einwortsätzen ab, dann gellen je einzeln kenntliche Stimmen wüst durcheinander, dann wieder verschlingen sich Figurenrede und Erzählstimme. Unversehens wird das rasante Tempo gedrosselt, es wird langsam, liedhaft, und man denkt an eine säkulare Litanei.
    "Ich kannte einen Mann. Ich kannte einen Mann. Ich ließ zu dass er mich hart rannahm. Und rauchte, Joints, und würgte mich bis ich sagte ich sei tot. Ich kannte einen Mann der mit mir spazieren ging. Ausgiebig auf dem Land. Ich biete mich an. In der Hecke biete ich mich an. ... Ich kannte einen Mann mit Kondomen in der Tasche. Unbenutzt. Im Grunde seines Herzens liebt er Kinder. Nein. Ich kannte einen Mann der mich mal kannte. Der mich kannte als ich klein war. Der sagte bist jetzt eine ansehnliche Frau. Der sagte heirate mich komm zu mir auf meine Farm. Nein. Ich kannte einen Mann einen Priester ich habe nicht doch. Ebenso wie so manch andere. Ich kannte einen Mann. Ich kannte einen Mann. Der sagte er würde mich monatlich bezahlen. ... Nein sagte ich. Ich kannte einen Mann der mir eine verpasste.
    Ich kannte einen Mann der mir den Arm verknackste. ... Ich kannte einen Mann. Ich kannte einen Mann. Und wasche meinen Mund mit Seife aus. Wünschte ich. Hätte es damals getan. Ich kannte einen Mann. Dumme Geschichte. Ich kannte einen Mann. Hätte auf dem Absatz kehrtmachen sollen. Ich dachte. Konnte nicht denken. Konnte nicht mal reden. Ich kannte einen Mann. Ich ging weiter. Ich kannte einen Mann.
    ... Und legte mich nieder. Ließ mich schlagen und verwöhnen. Ich kannte einen Mann und viele mehr und dich kannte ich nicht."
    Wer kennt seinen Bruder? Wer ist gar "Hüter seines Bruders"? Die Erzählerin hat vorerst damit zu tun, sich selbst als sexuelles Wesen zu erkennen. Der Begriff "Masochismus" erklärt ihre Verfassung bei weitem nicht. Trotzdem erlebt sie Sexualität fast ausschließlich in Verbindung mit Gewalt, die ihr angetan wird. Der Sex mit anonymen Männern gibt ihr Macht, wenn das Leben außer Kontrolle geraten ist; manchmal dient er der Anästhesierung, er soll den Lebensschmerz und ein immenses Schuldgefühl tilgen. Aber in diesem Buch geht es eben nicht allein um die Schwierigkeiten einer freiheitsuchenden verwirrten jungen Frau beim Heranwachsen in einer katholischen, reichlich bigotten Gesellschaft.
    Bei McBride geht es im Weiteren buchstäblich um Leben und Tod. Der Tumor des Bruders bricht wieder aus. In dessen Sterbephase erkennt die junge Frau, in welchem Maß sie beide als Geschwister zusammengehören. Und während der Leser die herzzerreißende Zärtlichkeit und innige Zuneigung der jungen Frau wahrnimmt, sehen die Mutter und andere Leute nur eine vulgäre und verkommene Person in ihr. Schuldig, schuldig, schuldig – und das ist wohl auch das Selbstbild des "Ich".
    Eine der letzten Szenen: Der Bruder ist gestorben. Seine Leiche liegt noch zu Hause. Verwandte und Nachbarn rücken an, reden viel falsches Zeug. Die Schwester flieht in ein nahegelegenes Wäldchen, dort wird sie von einem anonymen Mann vergewaltigt, misshandelt, ihre Sprache zerbricht. Sie kehrt verletzt und besudelt zurück, ihre Mutter hat nur Wut und Verachtung für sie übrig. Die Schwester geht ins Zimmer zum toten Bruder, spricht dies "du" noch einmal an. Noch einmal werden hier Gewalt, Liebe und Religion auf engstem Raum zueinandergezwungen. Es geht los im Wald und klingt wie folgt.
    "Ich. Kommt das Schwarz ist gefallen. Er hat. Drischt. ... Bin ich das ich bin ich. Glaube ich. Da ist ein mein Körper schubst er zurück. Ich bin. Schleuder Müll geschmissen ich bin bin ich ich. Tork. Wo bis ich krache. Brech. Gesicht. Kopf. Etwas. Kaputt. ... Ungeschehen er drückt mein Gesicht erd rückt mein Kopf. Augen platt mit seine Hand. Im Schädel mein. Dreck meine Krone aus Stein. Nicht aufbrechen Gesicht auf. Krach ich höre Kocken nach geben in mir fickt er. ... Würg. Würg. Essentee brechz. In meine Kchehle ich. Er kommt erkommer. Mehr. Schlitz den fick den Ranz den Rotz hoch mein kotz auf ihn steckt seine Finger in mein Mund. ... Mund rissen. Gur gel vieeel. Dass ich nicht Mund voll Blut und Würgen voll er da Schlampe da Schalmpe da da droslse mich drossl wie du gern wie es dir gefällt ausgeröhlt. Atme seng mein Lung bis ich. Koz Blutt auf mich vom. Nächst aber. Lass mir Luft. Bald bich tot bich sicher. ... Ich schreie in die Schwärze. Schrei bis mein Körper fertig. Voll nichts. Voll Dreck das. Ich bin. Mein kann ich. Da da Atem das. Wo ist dein Gesicht weg irgendwo. Wo bin ich leg das Werkzeug nieder. Ich fall gefallen. Habe mein Gesicht Kopf gestoßen glaube. ...
    Du lieber Gott. Du lieber Gott Allmächtiger, was ist passiert? ... Nichts niemals nie Mammy. Frech mich nicht, Kniff ins Ohr. Aua Mammy. Wie kannst du deinem Bruder das antun mir? Nein. Wo warst du? Ich bin gestürzt Kopf gestoßen gestürzt Mund festgehakt an einem Brombeer rausgezogen ... Was heißt das? Nichts Mammy. Ich hab genug hörst du? Genug von dir. Dein Gesicht. Wie du aussiehtst. Dich so aufzuspielen ausgerechnet heute. Geh sagt sie nimmt ein Bad. Leg dich hin und nachher bring dich jemand um das zu nähen.
    Ich mach die Tür auf sehe. Du bist wach sagst was ist los du bist nicht. Ich wünschte. Du wärst.
    Siehst du was ich gemacht habe was ich mit meinem Gesicht gemacht habe für dich weil du hier liegst? ... Du solltest. Ich kann kaum reden deine Stimme kommt hoch aber weit weg von mir. Ich kenne dich ich kenne den. Ton von.
    Schhh du kannst nicht mit mir reden. Ich weiß ich mach ich nicht doch. ... Ich gehe nein. Raus aus dem Zimmer. Geh mir aus den Augen sagt sie. Ich gehe die. Schmerz. Treppe. Hoch. Hinter mir höre ich die Tür zu und beten. Fürchte dich nicht denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. So du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein; deine Pein wird dich nicht überkommen ..."
    Eine extreme Existenz in Verhältnissen, die immer weiter eskalieren
    Es bleibt nicht bei dem Trost der religiösen Sätze. Der Roman endet in einem Nebel, der dem des Anfangs gleicht. Die Ich-Erzählerin verlässt wieder das Haus, geht an den See, geht ins Wasser. Noch einmal wendet sie sich an den verstorbenen Bruder. Es bleibt offen, ob sie sich umbringt. Man weiß so wenig wie bei den Gewaltszenen, was Wunschdenken und was Realität ist. Das ist auch unwichtig.
    Soll man solch ein düsteres, schmerzliches Buch tatsächlich lesen? Da möche man zurückfragen: Soll man das erste Wandelbild des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald tatsächlich ansehen, oder auch die Bilder von Francis Bacon?
    Das Verlangen nach dem Dreiklang vom Guten, Schönen und Wahren in der Kunst besteht weiterhin. Gerade die Autoren der klassischen Moderne wussten, was sie taten, als sie diesem Verlangen nicht nur inhaltlich, sondern formal und stilistisch widersprachen und Sprachzertrümmerung trieben – denn die Schönheit ist oft unwahr, und die Wahrheit selten schön. "Spar aus dem schönen Bild den Menschen aus", so der finstere Anfang eines Gedichts von Ernst Jandl. Er folgte diesem sarkastischen Rat selbst nicht; und auch McBride malt nicht das "Schöne". Das Bild ihrer Protagonistin zeigt einen Menschen, der unter immensem Druck steht; zeigt eine extreme Existenz in Verhältnissen, die immer weiter eskalieren. Die Wahrhaftigkeit des Buchs liegt in der radikalen Subjektivität, die sich hier artikuliert.
    Wer diesen komplexen Roman übersetzt, muss die fragmentarische Sprache des Originals zunächst vervollständigen, um zu einem ersten Verständnis zu kommen. Dann erst lassen sich die ganzen Sätze erneut in Bruchstücke zerschlagen, die allerdings auch im Deutschen funktionieren, die also jeweils über sich selbst hinausweisen müssen. Miriam Mandelkows Übersetzung steht dem Original gleichwertig gegenüber. Ihr gelingt es, die gesamte Dimension des "halbfertigen Mädchens" ins Deutsche zu transportieren; denn sie überträgt auch all das, was bei McBride zwischen den Zeilen steht.
    Zum Lebenssinn von Literatur gehört es, Sprache aufzustören, wachzurütteln, freizusetzen – und diesen Sinn versteht man bei der Lektüre des Romans.
    Eimear McBride: "Das Mädchen ein halbfertiges Ding"
    Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow
    Verlag Schöffling & Co
    256 Seiten, 21,95 Euro