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Deeskalationszonen in Syrien
"Ein Schritt in die richtige Richtung"

Der Politikwissenschaftler Volker Perthes bewertet die geplante Einrichtung von sogenannten Deeskalationszonen in Syrien positiv. Dies könne aber nur funktionieren, wenn es Russland gelinge, Damaskus dazu zu bewegen, dem Abkommen nicht nur theoretisch zustimmen, sondern sich auch praktisch daran zu halten, sagte Perthes im DLF.

Volker Perthes im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, posiert am 30.09.2015 in Berlin.
    Volker Perthes, Leiter der Stiftung Wissenschaft und Bildung, im DLF: "Es ist ein Abkommen zwischen drei Staaten, die erheblichen Einfluss in Syrien haben." (dpa / picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Christiane Kaess: Ist das ein möglicher Durchbruch im Syrien-Konflikt, oder geht alles so weiter wie bisher? Gestern Nachmittag kam die Meldung, bei den Syrien-Friedensgesprächen in der kasachischen Hauptstadt Astana haben sich Vertreter von Russland, dem Iran und der Türkei darauf verständigt, Sicherheitszonen für Zivilisten in Syrien einzurichten. Schon ab Samstag soll dort nicht mehr gekämpft werden. Internationale Organisationen und Beobachter reagieren optimistisch bis skeptisch.
    Die Gespräche in Astana laufen ja parallel zu den Gesprächen in Genf, die von den Vereinten Nationen geführt werden. Der UN-Syrien-Vermittler Staffan de Mistura hat die Vereinbarung als vielversprechend bezeichnet.
    Volker Perthes wurde 2015 von de Mistura als Vermittler berufenzwischen dem syrischen Regime und den als gemäßigt geltenden Rebellen. Er ist außerdem Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Perthes.
    Volker Perthes: Schönen guten Morgen.
    Kaess: Wir wollen das einordnen mit Ihnen. Die Vereinten Nationen sagen, das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sehen Sie das auch so?
    Perthes: Ja, es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Und wenn man das sagt, sagt man gleichzeitig auch, dass viele andere Schritte noch folgen müssen. Es ist ein Abkommen zwischen drei Staaten, die erheblichen Einfluss in Syrien haben: Russland als wichtigster Unterstützer der Regierung in Damaskus, Iran, ebenfalls als großer Unterstützer der Regierung in Damaskus, und die Türkei als Unterstützerin wichtiger bewaffneter Oppositionsgruppen. Die haben sich nun geeinigt, in vier Gebieten, die noch genau markiert werden müssen, Deeskalationsgebiete zu erklären, und zwar nicht Schutzzonen. Das ist ganz wichtig. Schutzzone heißt ja, irgendjemand schützt die Leute dort drin. Deeskalationsgebiet heißt, die Parteien, die am Kampf beteiligt sind, sollen deeskalieren. Und die Parteien – das haben Sie eben auch gesagt -, also die syrische Regierung und die bewaffneten Oppositionsgruppen, waren zwar in Astana anwesend, haben aber das Abkommen nicht unterschrieben.
    Kaess: Sagen Sie uns kurz noch, Herr Perthes: Was für Gebiete sind das? Wie muss man die sich vorstellen?
    Perthes: Es sind vier Gebiete außerhalb von Damaskus, sozusagen die östlichen Vororte, das Gebiet um Idlib im Norden, angrenzend an die Türkei. Das ist eine Provinz der syrischen Provinzen. Ein Dreieck von drei kleineren Städten in Zentralsyrien und ein Gebiet entlang der syrisch-jordanischen Grenze im Süden, die heute von bewaffneten Oppositionsgruppen gehalten werden.
    Diese Gebiete sollen nicht mehr weiter umkämpft werden. Die Kämpfe sollen dort eingestellt werden und dazu sollen sowohl die Gruppen, die die Gebiete halten, also die bewaffnete Opposition verpflichtet werden, als auch – und das ist wichtig – die syrische Regierung. Es heißt ausdrücklich in dem Abkommen zwischen den drei Staaten, dass die lokalen Kriegsparteien in diesen Gebieten keine Waffen einsetzen sollen, auch keine Luftfahrzeuge, also auch die syrische Luftwaffe nicht, und dass um diese Gebiete herum Sicherheitszonen errichtet würden oder Checkpoints und Beobachtungstürme und Ähnliches eingerichtet werden, und das im Wesentlichen von den Garantiemächten, also den drei Staaten.
    "Abkommen könnte erhebliche Vorteile für die Bürger in diesen Gebieten bringen"
    Kaess: Aber wie soll das funktionieren, wenn die Opposition nicht einmal Teil der Vereinbarung ist, aber gleichzeitig in diesen Gebieten offenbar die Mehrheit bildet?
    Perthes: Es könnte ja tatsächlich erhebliche Vorteile für die Bürger in diesen Gebieten bringen: In erster Linie, dass nicht mehr gekämpft wird. Das ist, was die Bürger und Bürgerinnen in Syrien sich sicherlich erwünschen. Zum zweiten auch, das steht auch in dem Abkommen drin, muss aber tatsächlich umgesetzt werden, dass wenn man Checkpoints hat an den, ich sage mal, Waffenstillstandslinien oder im Niemandsland zwischen diesen Zonen und dem von der Regierung kontrollierten Gebiet, dass dann humanitäre Versorgung oder auch ganz normaler Handel und Verkehr wieder möglich wird. Das würde die Situation in diesen Gebieten, die vom Rest des Landes weitgehend durch Belagerung abgeschlossen sind, erheblich verbessern und würde vermutlich die Zustimmung der zumindest politischen Oppositionsgruppen herbeibringen.
    Die große Frage ist, ob Russland und Iran die Zustimmung der syrischen Regierung nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch erreichen können.
    Kaess: Da hieß es ja gestern erst, dass offenbar auf Druck von Damaskus es keine Flugverbotszonen geben soll. Jetzt heißt es doch, da dürfte nicht mehr geflogen werden in diesen Deeskalationszonen. Wie ist das zu erklären? Warum ist da jetzt plötzlich Bewegung in die Sache gekommen?
    Perthes: Wenn man alle Waffen verboten hätte mit Ausnahme von Flugzeugen, dann hätte die Türkei als gewissermaßen Anwalt der Oppositionsgruppen hier nicht mitgemacht und die Oppositionsgruppen hätten sehr, sehr deutlich nicht nur gesagt, sie seien nicht Teil des Abkommens – auch die syrische Regierung ist ja nicht Teil des Abkommens -, sondern hätten vermutlich auch gesagt, sie würden es nicht akzeptieren. Man kann ja ein Abkommen akzeptieren, auch wenn man nicht selber es ausgehandelt oder unterschrieben hat.
    Kaess: Aber die syrische Regierung hat sich offenbar bewegt. Habe ich das richtig verstanden? Sehen Sie das auch so?
    Perthes: Die syrische Regierung hat deutlich machen lassen, dass sie nicht völlig zufrieden ist mit diesem Abkommen, aber dass sie es respektieren werde. Der Test liegt jetzt in der Praxis der nächsten Wochen. Sie haben deutlich gemacht, ein Regierungssprecher aus Damaskus hat deutlich gemacht, dass Syrien weiter Terroristen überall bekämpfen werde. Terroristen im Sprachgebrauch der syrischen Regierung sind all ihre Gegner, die Waffen in der Hand haben, und auch manche, die keine Waffe in der Hand haben. Und hier stellt sich jetzt wirklich die Frage, wie weit die Garantoren, die gleichzeitig Alliierte Syriens sind, also Russland und der Iran, Einfluss nehmen auf die syrische Regierung, sich an das Abkommen zu halten.
    "Das Engagement der selbst ernannten Garantiemächte scheint ungebrochen zu sein"
    Kaess: Sie sagen, Garantiemächte sind das quasi, und das hat ja schon mal nicht funktioniert mit der Feuerpause, die zum Jahreswechsel vereinbart wurde. Warum sind Sie jetzt, ich würde mal sagen, vorsichtig optimistisch? So klingen Sie zumindest.
    Perthes: Ich bin vorsichtig optimistisch, weil das Engagement der selbst ernannten Garantiemächte trotz der Defizite der Waffenruhe aus dem Dezember ungebrochen zu sein scheint. Russland insbesondere, was hier die Initiative ergriffen hat, hat ein großes Interesse daran, den Krieg in Syrien zu beenden.
    Kaess: Warum?
    Perthes: Es gibt bestimmte Vorstellungen, wie er beendet werden soll, aber es will nicht langfristig in dieses Land hineingezogen werden. Es will nicht langfristig zur Kriegspartei werden. Es weiß, dass die syrische Regierung, die von Moskau unterstützt wird, sich im Wesentlichen an der Macht hält wegen der russischen und der iranischen Unterstützung. Und in Russland spricht man mittlerweile von der Notwendigkeit, eine Kräftebalance in Syrien aufrecht zu erhalten, zwischen Regierung und Opposition, die es dann mögliche machen würde – und hier kommt die UNO ins Spiel -, dass die Vereinten Nationen in Genf unter Umständen einer besser durchgehaltenen Waffenruhe tatsächlich eine politische Lösung aushandeln oder auszuhandeln helfen, an der sowohl die Regierung als auch die Oppositionsgruppen beteiligt sind.
    Kaess: Die Einschätzung von Volker Perthes war das. Er ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Perthes: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.