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"Defizitquote à la carte"

Von dem Ziel, bis 2010 stärkster Wirtschaftsraum der Welt zu werden, ist die EU weiter entfernt. Rolf Peffekoven sieht das Grundproblem in einer fehlenden gemeinsamen europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Durch die Reform des Stabilitätspaktes könne sich nun jedes Land "seine eigene Defizitquote à la carte bestellen."

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Am Telefon begrüße ich den Mainzer Finanzwissenschaftler Professor Rolf Peffekoven, guten Tag.

    Rolf Peffekoven: Guten Tag, Herr Müller.

    Dirk Müller: Man weiß gar nicht so genau, wo wir anfangen sollen, wo man anfangen kann, aber nehmen wir uns diesen ominösen Lissabon-Prozess einmal vor: können europäische Staats- und Regierungschefs Wirtschaftswachstum beschließen?

    Rolf Peffekoven: Das können Sie nicht und das hat auch die erste Runde beim Lissabon-Prozess gezeigt, es war ursprünglich geplant, dass bis zum Jahr 2010 die EU die Wirtschaftsmacht USA von der ersten Stelle verdrängen sollte und dann als, wie es damals hieß, wettbewerbsfähigste und wissensbasierte Wirtschaftsregion darstellen sollte. Es gibt inzwischen viele Kommentare von Forschungsinstituten, es hat Kommissionen gegeben, die zur Hälfte festgestellt haben: aus alledem ist so gut wie nichts geworden, ganz im Gegenteil, der Abstand zu den USA ist noch größer geworden zu Lasten der EU.

    Dirk Müller: Ist so etwas lächerlich?

    Rolf Peffekoven: Es hat wenig Sinn, das immer wieder zu bekräftigen, diesen Lissabon-Prozess, weil das Grundproblem eigentlich ganz woanders liegt, nämlich darin dass eben Wirtschaftspolitik keine gemeinsame Politik in der EU ist, sie liegt in der Autonomie der einzelnen Länder und nach dem EEG-Vertrag ist lediglich die Wirtschaftspolitik eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse und deshalb kann man sich hier höchstens darum bemühen, Maßnamen zu koordinieren. Auch das, was jetzt wieder geplant wird, da kann kein Land dazu gezwungen werden und es sind ja letzten Endes Maßnahmen, die wir eigentlich auch dringend in Deutschland brauchen, denn da ist ja das Unterbeschäftigungs- und Arbeitslosenproblem vielleicht am größten in Europa.

    Dirk Müller: Inwieweit ist das dann nachher zu vermessen, dass die Bundesregierung, die mit der heimischen Wirtschaft ihre Probleme hat nun auf die europäische Ebene geht und sagt, auf dieser großen internationalen Bühne können wir das schon machen?

    Rolf Peffekoven: Das kann man eben nicht dort machen, das muss jedes Land für sich bewerkstelligen und ich sehe sogar die Chance daran, dass das eher gelingt, wenn das die einzelnen Länder in eigener Regie machen, weil einfach auch die Ausgangsbedingungen in den europäischen der EU zu unterschiedlich sind, als dass man da eine gemeinsame Strategie draufsetzen könnte. Die bisherigen Erfolge solcher Strategien sind geradezu kümmerlich und insofern erwarte ich auch von der Neuformulierung der Lissabon-Strategie keinen wirklichen Beitrag. Wir müssen die Probleme schon im eigenen Land angehen und dort lösen. Die kann man lösen, aber dazu muss man eben die bekannten Maßnamen auch ergreifen.

    Dirk Müller: Diejenigen von uns, die heute Nachrichtensendungen im Fernsehen schauen, werden mit dem Brüsseler Gipfel konfrontiert und es gibt auch die entsprechenden Statements des Kanzlers, von Jean-Claude Juncker und so weiter, die sagen, wir machen die europäische Wirtschaft wieder flott. Ist das ein Hinters-Licht-Führen der Öffentlichkeit?

    Rolf Peffekoven: Jedenfalls werden sie das nicht versprechen können und die Erfahrungen mit der ersten Runde des Lissabon-Prozesses, das läuft ja nun schon fünf Jahre, haben ja deutlich gezeigt, dass man mit Bekräftigungen und Parolen alleine das nicht in den Griff bekommt. Sicher ist jedes europäische Land mehr als verpflichtet, gegen die hohe Arbeitslosigkeit im eigenen Land etwas zu unternehmen. Wenn das wirklich jedes Land tut, wird sich natürlich auch insgesamt die Stellung der EU-Wirtschaft verbessern, aber nur auf diesem Weg, dem dezentralen Weg, ist das zu erreichen. Das kann man nicht von oben verordnen, welche Strategie hier zu betreiben ist.

    Dirk Müller: Geben wir doch der Europäischen Union eine konstruktive Chance, Sie haben gesagt, es kommt in erster Linie auf die nationalen Rahmenbedingungen an, aber was kann wirklich an europäischen Rahmenbedingungen verändert werden?

    Rolf Peffekoven: Die EU kann hier ja nicht viel tun, weil wir einen Haushalt haben, der relativ klein ist. 1,24 Prozent des Bruttonationaleinkommens aller EU-Länder macht das Haushaltsvolumen aus, dieses ist zum großen Teil gebunden durch Entscheidungen, die die Agrar- und Struktur- und Regionalpolitik betreiben. Die EU selbst kann hier gar nichts machen, sie kann lediglich Appelle an die Mitgliedsländer starten und ist darauf angewiesen, dass die Länder das dann auch umsetzen und die Erfahrung zeigt, dass sie hier kaum Handhabe hat, das durchzuführen, sie kann ja nur indirekt über bestimmte Förderprogramme versuchen, die Länder in diese Richtung zu drängen, aber sie hat letzten Endes hier kaum Möglichkeiten.

    Dirk Müller: Gilt das auch für die Finanz- und Steuerpolitik?

    Rolf Peffekoven: Die ist in der Währungsunion nach wie vor auch in nationaler Autonomie und das, was sich jetzt in dieser Woche hinsichtlich des Stabilitäts- und Wachstumspaktes abgespielt hat, ist ja letzten Endes auch so zu begründen, dass zum Beispiel Deutschland nicht bereit ist, in der Finanzpolitik irgendeinen Einfluss von Europa durch die Kommission, den Ecofin-Rat oder auch den Ministerrat zu akzeptieren. Man will in der Finanz- und insbesondere auch in der Verschuldungspolitik vollständige Autonomie haben und das steht meines Erachtens auch dahinter, dass wir jetzt alles daran gesetzt haben, die fiskalischen Regeln in der Währungsunion, sprich den Stabilitäts- und Wachstumspakt, im Grunde zu beerdigen.

    Dirk Müller: Gibt es demnach noch eine europäische Finanzpolitik?

    Rolf Peffekoven: In diesem Sinne, dass wir noch einen europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt hätten, der von den Ländern akzeptiert wird, glaubwürdig ist, der, wenn man dagegen verstößt auch Sanktionen zur Folge hat, in diesem Sinne gibt es das nicht mehr. Ich pflege das so zu bezeichnen, dass ich sage, jedes Land in Europa, das der Währungsunion angehört, kann sich im Grunde seine eigene Defizitquote à la carte bestellen.

    Dirk Müller: Und damit ist Deutschland kein Mustereuropäer mehr?

    Rolf Peffekoven: Das sind wir ganz sicher nicht, denn wir sind ja gerade eines von zwei Ländern, die nun schon drei mal in folge - und Fachleute sagen (ich selbst bin auch der Meinung) schon auch in diesem, dem vierten Jahr - gegen die Drei-Prozent-Regel verstoßen haben, sie deutlich überschritten haben und wenn das keine Sanktionen zur Folge gehabt hat, wird auch keiner mehr damit rechnen, dass er jemals über den Stabilitätspakt mit irgendwelchen Schwierigkeiten noch zu rechnen hätte. Dieses Abkommen ist zwar formal noch existent, es ist de facto aber tot.