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Deklaration für Sprachfreiheit in Ex-Jugoslawien
"Gegen gewaltsame Trennungen"

Nach den Balkankriegen haben Nationalisten versucht, das Trennende in der Sprache zu betonen. Nun fordern führende Intellektuelle aus den ehemaligen jugoslawischen Staaten ein Ende der Diskriminierung sprachlicher Varianten - und Sprachfreiheit in Medien und der Kunst.

Von Stephan Ozsváth | 19.04.2017
    "Rauchen tötet" auf einer Zigarettenschachtel auf Bosnisch, Kroatisch und Serbisch
    "Rauchen tötet" auf Bosnisch, Kroatisch und Serbisch (www.ard-wien.de | Eldina Jasarevic)
    Die Komiker der Gruppe "Nadreslisti" machten sich schon zu Beginn der 1990er Jahre über die Nationalisten unter den Linguisten lustig, die das Trennende zwanghaft suchten. Als Beispiel nahmen die Komiker einen einfachen Satz.
    "Ich lese. Ja citam. Das war Serbisch. Auf Kroatisch lautet dieser Satz völlig anders, nämlich: Ja citam. Und Bosnisch unterscheidet sich von diesen Varianten. Hier sagt: Ja citam."
    Was die Komiker vor Ausbruch der Balkankriege noch absurd fanden, ist heute Wirklichkeit, wie ein Blick auf Zigarettenschachteln illustriert: Da steht drei Mal das Gleiche – nur zweimal in lateinischer Schrift, einmal auf Kyrillisch. Filme werden untertitelt, in Gerichtsverfahren werden Übersetzer herangezogen – nur, weil sich das frühere Serbokroatisch in Nuancen unterscheidet – je nachdem, ob man in Kroatien, Serbien, Bosnien oder Montenegro ist.
    Kulturschaffende bei der Präsentation der Erklärung von Sarajevo: (v. l. n. r.) Baksa Bakovic, Dichter und Theaterkritiker aus Mintenegro, Borka Pavicevic, Dramaturgin und kulturelle Aktivistin aus Serbien, Vladimir Arsenijevic, Novelist und Musiker aus Serbien, Enver Kazaz, Literaturhistoriker und Dichter aus Bosnien und Ivana Bodrozic, Schriftstellerin aus Kroatien
    Kulturschaffende bei der Präsentation der Erklärung von Sarajevo (www.ard-wien.de / Eldina Jasarevic)
    Liste der Prominenten, Schauspieler und Intellektuellen aus der Region, die die Deklaration unterzeichnet haben
    Liste der Prominenten, Schauspieler und Intellektuellen aus der Region, die die Deklaration unterzeichnet haben (www.ard-wien.de | Eldina Jasarevic)
    Im bosnischen Fernsehen können deshalb drei Linguistinnen trefflich streiten: Über eine Deklaration führender Intellektueller aus diesen ehemaligen jugoslawischen Staaten. Der Schriftsteller Igor Stiks ist einer der Unterzeichner der "Deklaration" für eine gemeinsame Sprache.
    "Jeder kann seine Sprache nennen, wie er will"
    "Die Deklaration bietet einen sehr offenen Blick an. Danach kann jeder seine Sprache nennen, wie er will und das soll geachtet werden. Die Deklaration äußert sich aber gegen gewaltsame Trennungen und absurde Übersetzungen, weil es einfach den Sprechern dieser Sprache schadet."
    Nach den Balkankriegen haben Nationalisten versucht, das Trennende auch in der Sprache zu betonen. "Sie behaupten Verschiedenheit, wo die Unterschiede verschwindend klein sind", meinte der Slawist Milos Okuka in seiner Studie: "Eine Sprache, viele Erben".
    Tudjman sprach von "serbischer Verschmutzung"
    Der frühere kroatische Präsident Tudjman ordnete an, die Sprache von - Zitat: "serbischer Verschmutzung" - zu reinigen. Und so wurde aus dem 'Helikopter', wie er in Serbien heißt, der 'zrakomlat', übersetzt so viel wie: 'Apparat, der Luft wirbelt'. Dieser Mann aus Sarajevo meint:
    "Früher war es nie wichtig, wie diese Sprache genannt wird: Serbisch, Kroatisch oder anders. Die Kommunikation war uns wichtig."
    Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten kroatische und serbische Sprachforscher eine gemeinsame Schriftsprache: Das Serbokroatische – im Wortschatz gab es Varianten. Die Erklärung von Sarajevo wendet sich nun gegen die Diskriminierung von sprachlichen Varianten in Schulen und Ämtern. Es solle Sprachfreiheit auch in den Medien, der Kunst und der Literatur herrschen.