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Dem albernen Affen Zucker geben

Matthias Hartmann kann Kunst, er kann aber auch Komik. Mit seiner Version von Johann Nestroys "Lumpazivagabundus" nimmt er sogar die Kanzlerin auf den Arm. Prall, schrill und schräg - eine gekonnte Inszenierung.

Von Karin Fischer | 02.08.2013
    Matthias Hartmann ist der Spitzbube unter den Regisseuren. Er kann Kunst, er kann aber auch kasperln. "Seid ihr alle da? Schaut mal, was ich euch mitgebracht habe!" hat er gestern Abend wieder zepterschwingend geprotzt. Mit dem "Lumpazivagabundus" auf der Perner-Insel hat er das Publikum nach genau drei Minuten im Sack. Mit einem Auftritt von Maria Happel als Fee Fortuna mit Angela Merkels Topf-Frisur und unzweideutigen Gesten:

    Der Merkel-Coup gelingt glänzend, im Hintergrund prangt der Europa-Sternenkranz, Feenkönig Stellaris ist ebenfalls ein hochrangiger EU-Politiker. Es geht ja in diesem Fall tatsächlich auch ums Geld: Weil unter den wohlstandsverwahrlosten Jugendlichen im Zauberreich die Verschwendungssucht grassiert, schließen Fortuna und Amorosa eine Wette ab, mit dem der böse Geist Lumpazivagabundus in die Schranken verwiesen werden soll. Das Exempel wird an dem "liederlichen Kleeblatt" statuiert, bestehend aus dem Schuster Knierim, dem Tischler Leim und dem Schneider Zwirn, die per Zufall im Lotto gewinnen, Pläne machen und sich nach einem Jahr wieder treffen wollen, um zu sehen, was aus den anderen geworden sei.

    Um diese Spiel-im-Spiel-Handlung noch zu toppen – drunter macht Hartmann es nicht – hat Bühnenbildner Stephane Laimé die aufwendig konstruierten hölzernen Gerüste und Gestänge eines Vorstadttheaters in die Halle gesetzt. Bemalte Prospekte in Form von Wolken oder Wald werden hereingeschoben und spiegeln naive Volkstheater-Ästhetik vor, die aber jederzeit ironisch gebrochen ist, ob durch die Kostüme oder die Musik:

    Spielen in der dritten Dimension heißt hier auch: Alles ist einen Tick drüber. Die "Schwabin" trägt einen Schwarzwaldbommelhut, Lumpazivagabundus ist ein schmieriger nackter Gesell aus dem Reiche Gollum. Die Inszenierung ist prall, schrill, schräg, hat jede Menge bonbonfarbene Schauwerte und vor allem drei Protagonisten, die der Ausstattungsorgie mit unglaublicher Bühnenpräsenz locker trotzen. Florian Teichtmeister ist der treuherzig verliebte Tischlergeselle Leim. Michael Maertens als Schneider Zwirn macht den Piefke mit Meckerstimme wie direkt bei Wilhelm Busch abgemalt.

    "Ich hatt' so viele, die gehen gar nicht nach Hallein, äh in die Halle rein!"

    Dagegen ist Nicholas Ofczarek als Knierim ein unheimlich echt dauerbesoffen wirkender Melancholiker mit langem Schnauzer und Schlapphut und das wienerische Herz dieser Aufführung.

    "Wann ich mir meinen Verdruss nit versaufet, ich müsst' mich grad aus Verzweiflung dem Trunk ergeben."

    Die Drei sind hervorragende Comedians und bilden das Gerüst der atmosphärisch dichten, aber optisch reichlich zerfledderten Inszenierung, die mit der Szene beim superreichen Zwirn in Prag auch ästhetisch ihren scheußlich-schönen Höhepunkt ansteuert.

    Hartmann gibt dem albernen Affen Zucker, er bedient alle und jeden, und weil jede Stunde einmal die Musi spielen darf, "fürs Herz", kommt man sich ganz schön manipuliert vor. Doch es gibt gegen Ende schon auch die Tirade gegen das moderne Spießertum und Knierim auf kaltem Entzug. Und für das angepappt wirkende Nestroy-Happy End - das liederliche Kleeblatt ist eingemeindet ins biedermeierliche Konsumglück – findet Hartmann ein tolles Bild, das Nestroys sarkastischer Weltsicht wirklich sehr nahe kommt. Die drei landen in einer perfekt eingerichteten Miniatur-Puppenstube.

    Das Spiel ums selbstbestimmte Lotterleben hat das liederliche Kleeblatt zwar verloren. Gewonnen aber haben an diesem Abend alle: das Theater, das Publikum, die Salzburger Festspiele, sogar Nestroy. Den hat Hartmann nämlich intelligent bestätigt: indem er die "Zauberposse" als poppig-bunte Nestroy-Soap satirisch unterlaufen und an den Publikumsgeschmack von heute angepasst hat. Heute wie damals geht es um Volksbelustigung mit gesellschaftskritischen Anklängen. Nestroy hatte immerhin noch die Zensur zu fürchten. Hartmann noch nicht einmal die Kritik. So ändern sich die Zeiten.