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Dem König die Stirn geboten

1837 sorgten sieben Professoren aus Göttingen europaweit für Aufsehen durch ein Protestschreiben, in dem sie sich gegen ihren Dienstherren, den König von Hannover wandten. Der König entließ die unbequemen Gelehrten, deren Tat Vorbildcharakter bekam für das liberale Bürgertum in Deutschland. Sie gelten als Wegbereiter der parlamentarischen Demokratie in Deutschland.

Von Georg Gruber |
    "Was ist das für ein Ereignis, das an die abgelegene Kammer meiner einförmigen und harmlosen Beschäftigungen schlägt, eindringt und mich heraus wirft?"

    Jakob Grimm im Januar 1838, einen Monat nach dem Ende seiner akademischen Karriere in Göttingen.

    "Der Grund ist, weil ich ... eine mir auferlegte Pflicht nicht brechen wollte, und ... nicht zauderte, der Stimme meines Gewissens zu folgen."

    Unter der Herrschaft von König Wilhelm IV. war 1833 im Königreich Hannover ein vergleichsweise liberales Staatsgrundgesetz erlassen worden, das eine Reihe bürgerlicher Rechte und Freiheiten gewährte. 1837 starb Wilhelm IV., König wurde sein Bruder Ernst August. Er verstand sich als Monarch von Gottes Gnaden. Kaum im Amt beurlaubte er die Ständekammer und erklärte in einem königlichen Patent vom 1. November 1837:

    "Das Staatsgrundgesetz vom 26. September 1833 können Wir als ein Uns verbindendes Gesetz nicht betrachten, da es auf eine völlig ungültige Weise errichtet worden ist."

    Sämtliche königliche Staatsdiener wurden von ihrem Eid auf diese Verfassung entbunden - in den Augen vieler aufgeklärter Bürger ein empörender Rechtsbruch. Außerdem verlangte Ernst August von allen Beamten die Einsendung von Huldigungsschreiben, in denen sie den Anspruch des Königs auf den Thron zu bestätigen und Loyalität und Gehorsam zu geloben hatten.

    "Unter den Professoren thaten sich bald verschiedenartige Gruppen hervor","

    notierte Jakob Grimm,

    ""die Charactere ... fingen an, sich zu entblättern gleich den Bäumen des Herbstes bei Nachtfrost; da sah man viele in nackten Reisern, des Laubes beraubt, womit sie sich im Umgang des gewöhnlichen Lebens verhüllten."

    Der Rechtsgelehrte Friedrich Christoph Dahlheim, der das Staatsgesetz von 1833 mitformuliert hatte, ergriff die Initiative:

    "Ich kann keine Revolution hervorbringen, und wenn ichs könnte, thät ichs nicht; allein ich kann ein Zeugnis für Wahrheit und Recht ablegen gegen ein System der Lüge und Gewaltthätigkeit, und so thu ichs."

    Dahlheim entwarf ein Protestschreiben, das neben Jakob und Wilhelm Grimm noch vier weitere renommierte Professoren unterzeichneten: der Jurist Wilhelm Eduard Albrecht, der Orientalist Heinrich Ewald, der Historiker Georg Gottfried Gervinus und der Physiker Wilhelm Weber. In der Note berufen sie sich auf ihr Gewissen und erklären, sie seien durch ihren Eid weiter dem Staatsgrundgesetz verpflichtet - ein Affront gegenüber dem König. Während die Universitätsspitze zögerte, das Schreiben nach Hannover weiterzuleiten, wurde die "Protestation" vor allem von Studenten in Hunderten von Abschriften über alle deutschen Staaten verbreitet, wo sie auf große Resonanz stieß. Sogar französische und britische Zeitungen berichteten:

    "Diese mutige Entschlossenheit wird wahrscheinlich einen beträchtlichen Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben."

    Der König war verärgert: Am 14. Dezember 1837 erhielten die ungehorsamen Professoren ihre Entlassungsurkunden.

    "Seit heute Nachmittag 2 Uhr ist die Entlassung der sieben Professoren bekannt. Sie hat große Sensation erregt","

    vermeldet die Polizeidirektion Göttingen an jenem Tag.

    ""Die Wendestraße (wogte) von Studierenden, welche zwar keine Excesse begingen, aber auch allen Aufforderungen nach Hause zu gehen keine Folge leisteten ... ich ließ daher einige verhaften und die mehrmalige Wiederholung dieser Procedur säuberte bis jetzt die Straßen"

    Dahlmann, Gervinus und Jakob Grimm werden als Rädelsführer des Landes verwiesen. Der König hatte Stärke bewiesen und sich durchgesetzt, ein Sieg der Restauration. Vordergründig, denn für das liberal gesinnte Bürgertum wurden die Sieben durch ihre Tat zu Symbolfiguren und, auch wenn das gar nicht alle so intendiert hatten, zu Vorkämpfern der parlamentarischen Demokratie gegen überkommene absolutistische Herrschaftsansprüche. Vier der berühmten Göttinger Sieben waren 1848 als Abgeordnete im Paulskirchenparlament vertreten: Dahlmann, Gervinus und die Brüder Wilhelm und Jakob Grimm.

    1957 sorgte wieder eine Gruppe von Wissenschaftlern für Aufsehen: Atomforscher, die im Göttinger Manifes" vor einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr warnten. In Anlehnung an die Sieben wurden sie die Göttinger Achtzehn genannt.