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Dem Ursprung der Bewegung nachforschen

An den Ausdrucksformen für die Stimme arbeitet die Komponisten Adriana Hölszky gerade für ihr neues Musiktheater nach Dostojewskis "Dämonen". Rund eine Viertelstunde vom Stuttgarter Bahnhof entfernt arbeitet und wohnt sie.

Von Elisabeth Richter |
    "Man braucht eine Kontinuität und keine Unterbrechung, und deshalb ist die Zeit in der Nacht die beste."

    Adriana Hölszky wohnt nur ein Viertelstündchen vom Stuttgarter Hauptbahnhof entfernt, im Norden der Stadt, in einer ruhigen Seitenstraße. Eigentlich ideal zum Komponieren, doch das Telefon, das uns beim Gespräch unterbricht, sei wie eine "Bremse", so die Komponistin.

    "Man braucht eine unbegrenzte Zeit und keine Abbrechung. Und deshalb ist die Nacht die beste Zeit. Oder ganz früh morgens, so ab 4 Uhr morgens, bis 9, weil dann ist man total ungestört. Aber das kann man nicht täglich, also durchmacht, und dann. Es ist kein Tag wie der andere, man kann nicht sagen, von dann bis dann man muss sich die Zeit stehlen."

    Sancho, der Rehpinscher, kennt seine Herrin. Er ist meist ein stiller Begleiter, doch auch ihn stört das Telefon. Drei Stockwerke gibt es im Komponistenhause Hölszky, im mittleren entstehen die Kompositionen.
    Im Erdgeschoss, im Wohnzimmer, wo wir unser Gespräch führen, steht ein großer Flügel. Früher spielte Adriana Hölszky mit ihrer Zwillingsschwester im preisgekrönten "Lipatti-Klavier-Trio". Das Komponieren geschieht bei Adriana Hölszky aber ohne Klavier.

    "Man kann nicht vom Klavier ausgehen, weil das engt einen ein und stört nur, zum Beispiel Geräusche oder feine Klänge, die Mischklänge sind. Das kann man nicht mit dem Klavier, weil man hat Klangfarben und keine Töne."

    Zwei große Projekte, Bühnenwerke, hat Adriana Hölszky zurzeit in Arbeit: ein Musiktheater nach Dostojewskis "Dämonen" und ein Tanztheater, das in Düsseldorf herauskommen wird. Martin Schläpfer entwickelt mit seiner Kompanie, dem "Ballett am Rhein", die Choreographie, Rosalie entwirft die Objekte und gestaltet das Licht. Schon vor rund 20 Jahren schrieb Adriana Hölszky mit "Schweigetonzwei - Ein Projekt für Tänzer und Schauspieler". Jetzt experimentiert sie mit etwas Neuem.

    "Für mich bis jetzt war immer der Klang, die Stimme, der Klangkörper - und nicht der Körper in sich - als Bewegung brisant, aber ich glaube, jetzt bin ich so in einem Alter und an einer Haltestelle, wo das jetzt reif ist, das zu packen. Und ich spüre, dass ich große Lust dazu hätte. Es ist wie eine große Reise und ein Abenteuer, weil es ist etwas ganz anderes: die Relation zwischen Visuellem und Klang. Aber die Gefahr ist, dass das Visuelle dominiert, egal, was man macht, im Film und so. Sondern es muss wie eine gegenseitig Befruchtung und es müssen Freiräume sein und nicht betoniert zwischen den Medien."

    Die Idee ist, dem Ursprung der Bewegung nachzuforschen. Wie hängen Klang und Bewegung zusammen? Ist es möglich, eine plastische Darstellung oder Entsprechung zu finden? Keinesfalls soll Text illustriert werden.

    "Der menschliche Körper ist so, wie eine Kristallisation des Klangraums. Und nicht ein Tanzen auf einer Musik, sondern die Musik generiert die Bewegung. Und das kann immer diese Abwechselung zwischen körperlich konkret und abstrakt, also es kann auch eine abstrakte Idee sein, aber nicht immer. Es ist so wie ein ganzer Kosmos, das ist abendfüllend."

    Ungefähr 100 Minuten soll das Ballett dauern, einen Titel gibt es noch nicht. Und ein konkreter Termin für die Uraufführung steht auch noch nicht fest, frühestens 2014/15 soll es soweit sein. Dagegen bleibt für die Fertigstellung des Musiktheaters nach Dostojewskis "Dämonen" nur noch ein knappes Jahr Zeit, Abgabe ist Sommer 2013, die Uraufführung am Nationaltheater Mannheim soll im Frühjahr 2014 sein. Außerdem muss ein Instrumentalwerk für Orgel, Schlagzeug, Trompete und Stimme für das Stuttgarter Festival "Eclat" 2013 fertig werden. Ihr Arbeiten, sagt Adriana Hölszky, sei nicht chronologisch. Sie vergleicht es ist mit einem Kuchen, der parallel wächst.

    "Man denkt auch immer an die Sachen, die noch ruhen. Man denkt immer dran, man denkt mehrdimensional, also gleichzeitig, aber nicht gleichzeitig, sozusagen. Weil die Arbeit ist auch unterschiedlich, manchmal Routinearbeit, dann geht der Kopf weiter für andere Sachen und so."

    Die Suche nach einem Stoff zum Beispiel für ein Musiktheater, das nehme, verrät Adriana Hölszky, etwa so viel Zeit in Anspruch wie das Komponieren des Werkes selbst, mindestens zwei bis drei Jahre. Eine innere Dramatik, Reibung, Spannung, Kontrast, Unvereinbares, Zwiespältiges sind Adriana Hölszky wichtig. Ihrem Musiktheater nach Dostojewskis "Dämonen" hat Adriana Hölszky den Arbeitstitel "Böse Geister" gegeben, nach der Übersetzung von Swetlana Geier. Besonders interessieren Adriana Hölszky die ontologisch-existenziellen Aspekte der Figuren des Romans.

    "Wie zum Beispiel gibt es Gott, ein Drama und Problem für Kirilov, für Schatow und Stepan. Sie streiten um diese Idee. Gibt es Gott?
    Zum Beispiel der Kirilov, er will Selbstmord machen, um zu beweisen, dass er die Freiheit hat, unabhängig von Gott zu agieren. Dazu kommt noch dieses im Keim befindende soziale Element von Revolution, besser gesagt Revoluzzer. Aber da sieht man auch Punkte des Leids, aber die Umkippung in Manipulation, also große soziale Ideen, aber klein gemacht von den Figuren, und das ist komisch. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität. Und das ist ganz toll."

    Das Libretto zu Adriana Hölszkys "Bösen Geistern" schrieb die Regisseurin und Autorin Yona Kim, mit der Adriana Hölszky schon bei anderen Musiktheaterwerken zusammengearbeitet hat.

    "Das Tolle ist, dass das Libretto so wie ein Materialgruppe ist, wo ich die Dramaturgie und die Scheiben selber schneiden kann. Mehr Freiheit, auch bei den "Wänden" war es so, dass ich Simultanszenen aus dem Libretto dann ineinandergeschoben habe und dann als Simultanszenen realisiert habe. Das war nicht im Libretto. Und hier gibt noch mehr Möglichkeiten, weil es sind ganz verschiedene Ebenen. Praktisch die Dialoge der Hauptfiguren, dann gibt es diese enigmatische, grauenvolle Figur, Stavrogin, das ist so wie ein Kosmos in sich, das ist ein Block. Dann das Material der Chöre, das ist ein Block, das ist hier so wie ein Reservoir, wo ich selber in Spannung bringen kann. Das ist interessant, weil hier sind im Text separat die Schicht Stavrogin, separat der Chor, separat die Hauptfiguren auf der Bühne. Und eigentlich das Drama entsteht durch Bombardierung zwischen den Schichten."