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Demokratie auf dünnem Eis

Insgesamt nur 34035 Menschen weltweit gaben bis vergangenen Mittwoch ihre Stimme zur Wahl der vakanten Direktoriumsposten bei der Internetverwaltung ICANN ab. Dabei gehörten sie noch zu den Glücklichen, die überhaupt an dem Entscheid teilnehmen konnten, denn obwohl sich viel mehr als Wähler angemeldet hatten, erhielt nur ein Teil die erforderliche Wahl-Geheimzahl noch rechtzeitig.

Peter Welchering | 14.10.2000
    Die erste Wahl des Verwaltungsgremiums der ICANN erfolgte standesgemäß via Online-Abstimmung. Doch bis zur Teilnahme an der Abstimmung hatten die Wähler einige Hindernisse zu bewältigen: Zunächst musste sich der wahlwillige Netzbürger in Listen eintragen, die allerdings auf der ICANN-Webseite nicht gar so leicht aufzuspüren waren. Rund 80000 gelang dieser Schritt - trotz zeitweiser Überlastung der Server. Doch nur etwa 34000 davon nahmen dann letztlich an der eigentlichen Stimmabgabe teil. Der Grund: Die PIN-Geheimnummern, die die Surfer zur Wahl autorisierten, wurden per Post zugestellt und gelangten vielfach nicht rechtzeitig zu den Wählern – sie wurden schlicht zu spät abgeschickt.

    Interessant ist die Verteilung der Wähler bei der ersten Internetwahl: Während alleine in Europa 11309 Internetnutzer ihre demokratische Chance wahrnahmen, waren es in USA und Kanada zusammen gerade 3449. Abgestraft wurde auch das Verhalten der ICANN, fünf der Kandidaten für den europäischen ICANN-Direktorensitz selbst vorzugeben und nur zwei per Vorwahl durch das Netzvolk wählen zu lassen: Der Wahlgewinner Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club erhielt 5948 Stimmen, auf Platz zwei gelangte die Berliner Sozialwissenschaftlerin Janet Hofmann mit 2295 Stimmen – beide waren die in Vorwahlen ermittelten Aspiranten auf den Posten. Dagegen mit nur knapp 1000 Zustimmungen abgeschlagen lag der von der ICANN vorgeschlagene Wilfried Schüller von der Deutschen Telekom AG.

    Noch ist die Demokratie im Internet eine zarte Pflanze, denn nur etwa jeder 4000 Surfer nahm seine Wahlmöglichkeit wahr. Eine Erklärung für die Wahlverdrossenheit könnte die geringe Bedeutung der Volksvertreter sein, denn nur fünf der insgesamt 19 ICANN-Direktoren werden durch die Benutzer ermittelt – Der Rest wird von der informationstechnologischen Industrie sowie den Dienstanbietern delegiert. Im März 2002 soll sich dies etwa ändern: Dann sollen in einem neuen Wahlverfahren weitere vier Direktoren von den Internetbürgern bestimmt werden.