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Demokratie auf wackligen Pfeilern

Über 50 Rundfunksendern in Venezuela hat Präsident Hugo Cháves die Sendelizenzen entzogen. Und auch in anderen Ländern Südamerikas ist es mit der Pressefreiheit nicht weit her. Lateinamerika-Kenner Peter B. Schumann prognostiziert düstere Aussichten für den Kontinent.

Peter B. Schumann im Gespräch mit Dina Netz |
    Dina Netz: Erdöl, Telekommunikation, Stromversorgung, Stahl, Zement und weite Teile der Medien kontrolliert Venezuelas Präsident Hugo Cháves schon lange. Jetzt ist er dabei, auch die Häfen an sich zu reißen. Und gerade hat das Parlament ein neues Gesetz über städtischen Grund verabschiedet: Damit werden nach Ansicht von Kritikern willkürliche Enteignungen von Immobilien möglich. Die venezolanische Wirtschaft dankt die brachiale Verstaatlichung damit, dass die ökonomischen Perspektiven so düster sind wie in keinem anderen Land der Region. Über Cháves’ Gutsherrenpolitik kann man sich in seinem eigenen Land nur noch bedingt informieren: Vor einem guten Monat hat er in Venezuela 34 Rundfunkstationen die Sendelizenzen entzogen. Jetzt sind weitere 29 Radiosender hinzugekommen, Zehntausende Venezolaner haben dagegen protestiert. Ich habe unseren Lateinamerika-Experten Peter B. Schumann gefragt: Was sind das für neue Entwicklungen in Cháves’ Medienpolitik?

    Peter B. Schumann: Dies ist ein weiterer Schlag gegen eine ganze Gruppe von regimekritischen, kleinen, lokalen Sendern, die aus einer Büroetage, aus zwei Büros, gesendet werden, aber sie haben einen großen Einfluss. Außerdem ist ein fünftes Verfahren gegen den privaten, regimekritischen TV-Sender – das ist der letzte mit großem Einfluss –, Globovision, unternommen worden. Dem wurde ja schon die terrestrische Lizenz entzogen, jetzt wird wahrscheinlich auch noch die Kabellizenz fällig werden. Das heißt, hier geht also sehr viel voran in einer Weise, dass man von einer zunehmenden Einschränkung der Pressefreiheit in Venezuela reden kann. Außerdem hat es vor zwei Wochen einen Anschlag auf zwölf Reporter gegeben, wo eine Gruppe Chávester, also Angehöriger von Cháves, mit Stöcken und Steinen auf die Leute eingeprügelt haben, weil sie Flugblätter gegen das neue Bildungsgesetz verteilten, das die Autonomie der Universitäten beschneidet und auch für ein sozialistisches Bewusstsein sorgen soll. Das heißt: In Venezuela ist man dabei, doch auch weitere Grundpfeiler der Demokratie zu demontieren, um ein autoritäres Regime und sein Programm eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts durchzusetzen. Und damit wird der gleiche Fehler gemacht wie bei anderen sozialistischen Regimen, in Kuba zum Beispiel, die angetreten waren, die Menschheit zu beglücken und am Schluss ein Regime zur Unterdrückung etablierten.

    Netz: Herr Schumann, ich habe gerade eingangs schon gesagt: Diesmal gab es Demonstrationen gegen die Schließung dieser 29 Radiosender. Regt sich denn da inzwischen so was wie Widerstand gegen Cháves’ Medienpolitik?

    Schumann: Die hat es schon immer gegeben und die war auch sehr massiv, aber sie wird inzwischen … gerät in Gefahr, weil die Generalstaatsanwältin Ortega – die auch schon mal ein Gesetz gegen die kriminellen Handlungen der Medien, also gegen jegliche Form von Kritik, auf den Weg gebracht hat – nun auch anfängt, Demonstrationen, die sich gegen die Regierung richten, zu verbieten oder die Demonstranten vor Gericht zu stellen, weil die zur Destabilisierung der Regierung beitragen würden.

    Netz: Vergleichbare Entwicklungen – wenn auch nicht in diesem Ausmaße – gibt es ja auch in anderen Ländern Lateinamerikas. Erzählen Sie ein bisschen davon, wie sich diese Politik von Cháves auswirkt, zum Beispiel in Bolivien, Ecuador?

    Schumann: Also, in Bolivien, Evo Morales hat ebenfalls ein etwas gespanntes Verhältnis zur Presse, weil auch diese Presse meist in den Händen der alten Machtelite sich befindet und seine Politik ist ja, wie alle linke Politik, gegen die alte Machtelite und ihren riesigen Einfluss gerichtet und möchte eigentlich viel mehr für die bisher marginalisierten Teile der Bevölkerung in Bolivien, also für die Indios tun. Insofern ist das eine völlig richtige Politik, aber dieses gespannte Verhältnis zu den Medien ist natürlich ein großes Problem. Ähnliches gilt für Ecuador, wo Raffael Correa, der zurzeit auch Vorsitzender der Union Südamerikanischer Staaten ist, eine Kommission zur Beobachtung der Medien in ganz Südamerika vorgeschlagen hat. Das heißt, es geht also hier wirklich in eine Richtung, die wirklich nicht wünschenswert ist.

    Netz: Herr Schumann, wo entstehen denn jetzt diese Zuspitzungen in der Medienpolitik in Südamerika? Hat das vielleicht damit zu tun, dass die mit großen Versprechungen angetretenen, linken Regierungen jetzt nicht eingestehen wollen, dass sie die Probleme ihrer Länder auch nicht lösen können?

    Schumann: Nein, ich glaube, es hängt noch mit etwas anderem zusammen, nämlich: Die Medienlandschaft ist ja in Lateinamerika ganz anders verfasst als für uns. Sie ist stark konzentriert, monopolisiert, in den Händen von zwei oder drei Konzernen, die Machtinteressen vertreten, politische und ökonomische, und die sich oft gegen die Reformprogramme der linken Regierungen richten, weil die ihre Interessen gefährden. In Honduras haben wir das gesehen, bei Zelaya, der eine richtige Kanonade von Kritik über sich ergehen lassen musste, weil er durch die neue Verfassungsreform – die nur angedacht war – die alten Interessen tangierte. Und insofern ist das durchaus verständlich, dass diese Regierungen ein etwas gespanntes Verhältnis zu diesen Medien haben, die ja von der eigentlich auch politischen Opposition ausgehen. Aber dennoch glaube ich, dass diese Maßnahmen völlig falsch sind.

    Netz: Ein ähnliches Problem gibt es in Argentinien, auch wenn man natürlich Präsidentin Kirchner nicht in eine Reihe stellen kann mit den vorher erwähnten linken Präsidenten. Was geht da vor sich?

    Schumann: Im Augenblick heftige Kritik, weil ein neues Mediengesetz im Parlament eingebracht worden ist, das die Kirchners unbedingt durchpeitschen wollen. Dieses Mediengesetz sieht eine Dreiteilung vor in einen staatlichen, einen privaten und in einen gesellschaftlichen Bereich, wo gesellschaftliche Gruppierungen zu Worte kommen sollen, die aber sehr oft von der Regierung finanziert sind. Also es geht eigentlich darum, dass der Regierungseinfluss auf die Medien gestärkt werden soll und der private, das heißt, der kritische Einfluss reduziert werden soll, und das ist in einem Land, wo es bisher eine ziemlich große Medienvielfalt gegeben hat, wirklich gefährlich. Ich glaube dennoch nicht, dass die Situation irgendwie mit Venezuela – wo es eine wirkliche Bedrohung der Pressefreiheit gibt – zu vergleichen ist, aber es gibt doch einen wachsenden Druck in vielen Ländern Lateinamerikas auf kritische Medien, sodass man überall von einer gewissen Gefährdung der Pressefreiheit sprechen kann.

    Netz: Peter B. Schumann mit einem Einblick in die Medienpolitik verschiedener, lateinamerikanischer Staaten.