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Demonstration gegen "alternative Fakten"
"Für die Freiheit der Wissenschaft"

Was in Boston als Protest hunderter Forscher gegen den wissenschaftsfeindlichen US-Präsidenten Trump begann, wird nun weltweit fortgeführt: beim "March for Science", einer Demonstration für die Wissenschaft. Das Ganze sei aus der Bestürzung über das Ansteigen des Populismus weltweit entstanden, sagte Psychologin Tanja Gabriele Baudson im DLF.

Tanja Gabriele Baudson im Gespräch mit Arndt Reuning | 21.04.2017
    Demonstranten mit Plakaten gegen die Politik von US-Präsident auf der Pennsylvania Avenue in Washington D.C.
    Auch Wissenschaftler protestieren gegen die Politik von US-Präsident Trump. (AFP / Molly Riley)
    Arndt Reuning: "Begonnen hat alles in Boston, einem der wichtigsten Forschungsstandorte an der amerikanischen Ostküste. Mitte Februar waren dort hunderte Forscher auf die Straße gegangen, um gegen einen Präsidenten zu demonstrieren, der den Klimawandel für einen großen Schwindel hält und auch sonst kein Freund der Wissenschaft zu sein scheint. Für morgen nun sind erneute Proteste geplant. Nicht nur in Boston. In mehr als 500 Städten weltweit findet der "March for Science" statt, eine Demonstration für die Wissenschaft. Auch in Deutschland werden Kundgebungen stattfinden, etwa in Berlin, München, Hamburg – und sogar auf Helgoland. Vor der Sendung habe ich mit der Psychologin Doktor Tanja Gabriele Baudson gesprochen. Sie hat die Veranstaltungen in Deutschland mit initiiert und organisiert. Von ihr habe ich mir erklären lassen, wie der "March for Science" hier bei uns ablaufen wird."
    Tanja Gabriele Baudson: Im Grunde sind das verschiedene Veranstaltungen vor Ort, also die lokalen Teams haben das organisiert, und wie das dann stattfindet, das ist relativ unterschiedlich. Also bei manchen ist es tatsächlich ein Marsch, also wo die dann durch die Stadt ziehen, sich an einer Stelle treffen und an einer anderen dann so eine Schlusskundgebung stattfinden wird. Bei anderen ist es so, zum Beispiel in Bonn, dass es an einer Stelle stattfinden wird, da im Hofgarten beispielsweise, und in Kiel gibt es noch den Sonderfall, dass die eine Vorabendveranstaltung machen werden, wo es dann sogar eine Lightshow geben wird. Also das ist sozusagen der erste Marsch, wo dann überhaupt etwas passiert.
    Reuning: Mit welcher Motivation haben Sie denn diesen "March for Science" nach Deutschland geholt?
    Baudson: Im Grunde ist das Ganze entstanden aus der Bestürzung über das Ansteigen des Populismus weltweit. Trump war natürlich da wahrscheinlich das salienteste Indiz dafür, dass gerade politisch sehr, sehr viel schiefläuft und sehr viele erschreckende Dinge passieren, und seine Bedrohung der Wissenschaft – Sie hatten das ja in der Anmoderation schon angesprochen – ist halt natürlich für mich als Wissenschaftlerin auch etwas, was so nicht tragbar ist. Jetzt ist Trump allerdings mehr Symptomträger als tatsächlich die Ursache des Problems, und das Problem Populismus, das betrifft uns weltweit, auch in Deutschland, auch vor unserer Haustür. Wir sehen das aktuell in Ungarn, in der Türkei, und da wollten wir dem was entgegensetzen.
    Gestörte Kommunikation
    Reuning: Aber sehen Sie denn tatsächlich eine Notwendigkeit, hier in Deutschland gegen Wissenschaftsfeindlichkeit zu demonstrieren?
    Baudson: Ja, es ist in der Tat so, dass es uns in Deutschland ja wirklich sehr gut geht im internationalen Vergleich. Wir haben eine sehr wissenschaftsfreundliche Regierung. Die Menschen sind auch interessiert an Wissenschaft, allerdings beobachten wir auch, dass es da sehr starke Spaltungen gibt. Im letzten Jahr kam das Wissenschaftsbarometer beispielsweise wieder raus – das kommt ja jedes Jahr – und was wir da gesehen haben, ist zum einen, dass sich Menschen sehr für Wissenschaft interessieren, dass aber andererseits auch sehr viele Menschen der Aussage zustimmen, dass man zu sehr der Wissenschaft vertraut und zu wenig den Gefühlen und dem Glauben. Also das waren mehr Leute, die dieser Aussage zugestimmt haben, als sie abgelehnt haben, und das deutet schon mal darauf hin, dass irgendwas schiefläuft in der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Bevölkerung insgesamt.
    Wenn man auch sieht, wie schnell sich die Dinge entwickelt haben in den USA nach der Wahl, dass dann die Umweltbehörden gekippt werden, dass Humanities, also Geisteswissenschaftsprogramme, in den Mitteln gekürzt werden, dann sieht man halt, dass das ein ganz massives Problem werden kann, und auch im deutschen Wissenschaftssystem ist ja nicht alles wunderbar. Wir haben da auch Probleme und Herausforderungen, was zum Beispiel den wissenschaftlichen Nachwuchs betrifft, mit den befristeten Stellen, mit der Unsicherheit. Wir haben Anreizstrukturen im Wissenschaftssystem, die auch nicht unbedingt gesellschaftliches Engagement fördern. Also da gibt es eine ganze Reihe an Bereichen, die man auch hier angehen könnte.
    Reuning: Dieser "March for Science" wird ja auch unterstützt von großen Wissenschaftsorganisationen, von Universitäten, von Forschungseinrichtungen. Geht da nicht vielleicht eben auch bei dieser Kritik an dem Wissenschaftsbetrieb in Deutschland ein wenig an kritischer Distanz zur Wissenschaft verloren?
    Baudson: Ja, was heißt "es geht kritische Distanz verloren" – also letzten Endes sind wir ja sozusagen drin als Wissenschaftler, und wir erleben ja auch Tag für Tag, dass halt eben die Probleme existieren.
    Reuning: Sie sagen, Sie als Wissenschaftler – an wen wenden Sie sich denn als Zielgruppe für diese Veranstaltung hier bei uns?
    Baudson: Wir wenden uns an Menschen, für die Freiheit der Wissenschaft wichtig ist und die den Wert der Wissenschaft auch erkennen und die auch in einer Gesellschaft leben wollen, in der die Menschen die Lügen durchschauen, dass die Populisten keine Chance haben.
    Wissenschaft und Bildungssystem müssen besser kooperieren
    Reuning: Und was erhoffen Sie sich dann von diesem "March for Science", was möchten Sie damit ganz konkret erreichen?
    Baudson: Wir hoffen, dass der "March for Science" einen Anstoß geben wird, um bestimmte Dinge zu überdenken, die aktuell in der Wissenschaft und in der Wissenschaftskommunikation auch schieflaufen, dass wir zu einem neuen Dialog finden zwischen Wissenschaft und Bevölkerung und der Vermittlung der Wissenschaftskommunikatoren, die eine ganz, ganz zentrale Rolle spielen, und so eine einmalige Veranstaltung, das ist natürlich ein möglicher Anstoß, und es soll auch nicht dabei bleiben. Wir haben jetzt zum Beispiel auf unserer Internetseite einen Aufruf gestartet, wo Menschen ihre Ideen einbringen können, was wir konkret ändern können. Ich denke, wir haben da ein ganz starkes Momentum jetzt gerade erreicht mit dieser Bewegung, und das wollen wir natürlich auch nutzen, um konkrete Probleme und Herausforderungen anzugehen.
    Ganz großartig wäre es, denke ich, wenn Wissenschaft und Bildungssystem auch stärker Hand in Hand arbeiten würden. Also diese Befunde, die ich eben bei dem Wissenschaftsbarometer zitiert hatte, dass Menschen eher meinen, man sollte seinem Glauben und den Gefühlen mehr Vertrauen schenken als der Wissenschaft, deutet meines Erachtens auch darauf hin, dass das Verständnis von Wissenschaft noch ausbaufähig ist. Der Vorwurf, der ja vielfach kommt, dass die Wissenschaftler es vielleicht selber nicht so genau wissen, wenn widersprüchliche Befunde zum Beispiel aufkommen, das ist ja auch teilweise der Tatsache geschuldet, dass Menschen vielleicht auch nicht so intuitiv wissen, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert. Widersprüche sind Teil der wissenschaftlichen Methode, und wenn wir einen Widerspruch finden aufgrund beispielsweise unterschiedlicher methodischer Ansätze, ist das erst mal interessant und kein großes Problem, und das, denke ich, gilt es auch schon früh zu vermitteln, am besten schon in der Schule.
    Reuning: Das heißt, dann könnte diese Veranstaltung auch wirklich nachhaltig sein.
    Baudson: Das hoffen wir, auf jeden Fall.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.